Einsätze der Bundespolizei: Verlust statt Gewinn
Seit 2019 sind ganz normale Einsätze der Bundespolizei teils kostenpflichtig. Das lohnt sich aber nicht einmal finanziell, zeigt eine neue Statistik.
Am darauf folgenden Tag legte sie das Originaldokument vor. Für den Arbeitsaufwand der Identitätsfeststellung berechnete ihr die Bundespolizei im Nachgang 53,75 Euro. Hinz weigerte sich, „diesen Unfug“ zu bezahlen. Die nächste Forderung belief sich schon auf 80,35 Euro. Sie hat sich einen Anwalt genommen.
Hinz gehört damit zu den ersten Betroffenen der seit Oktober 2019 geltenden „Besonderen Gebührenverordnung“ des Bundesinnenministeriums, die normale Einsätze der Bundespolizei kostenpflichtig macht: Gewahrsamnahmen kosten seither 74,15 Euro, erkennungsdienstliche Behandlungen 59,50 Euro, jede Viertelstunde in Gewahrsam 6,51 Euro. Insgesamt 2,78 Millionen Euro jährlich wollte das Ministerium von Horst Seehofer (CSU) durch die Gebühren eintreiben.
Der Linke-Bundestagsabgeordnete und umverteilungspolitische Sprecher seiner Fraktion, Victor Perli, hat die Bilanz nach dem ersten vollständigen Jahr seit Inkrafttreten der Gebührenverordnung abgefragt.
„Bürokratischer Wahnsinn“
Demnach hat die Bundespolizei 2020 insgesamt 10.895 Gebührenbescheide verhängt, darunter etwa 5.000 für Anordnung und Vollzug des Gewahrsams, je knapp 2.000 für Identitätsfeststellungen und erkennungsdienstliche Behandlungen, 1.900 für Platzverweise. Unklar bleibt dabei, ob die Maßnahmen gerechtfertigt waren.
Zusammengenommen wurden Gebühren von mehr als einer halben Million Euro berechnet, eingenommen wurden aber nur gut 126.000 Euro. Auf Anfrage der taz beim Innenministerium heißt es zur Erklärung: „Bei einigen Vorgängen sind die Zahlungsfristen noch nicht abgelaufen, bei anderen waren Vollstreckungsmaßnahmen nicht erfolgreich oder dauern aktuell noch an.“ Offensichtlich haben sich viele Betroffene geweigert, die Gebühren zu zahlen.
Selbst wenn schlussendlich die vollen 507.000 Euro eingetrieben werden, sind das nur etwa 18 Prozent der Einnahmen, mit denen das Ministerium ursprünglich rechnete. Dem gegenüber stehen hohe Verwaltungsausgaben. Bei Inkrafttreten der Verordnung rechnete das Ministerium mit jährlichen Kosten für die Verwaltung in Höhe von 852.000 Euro und einer einmaligen Belastung in Höhe von 1,2 Millionen Euro. Wie hoch der Aufwand tatsächlich war, ist unklar.
Für Perli steht fest: „Die Gebührenverordnung ist ein Flop und bürokratischer Wahnsinn. Sie bringt viel zusätzlichen Aufwand für Bescheide und Widersprüche, keinen Nutzen und eine hohe Ausfallquote.“ Der Linke hält diese „Strafe vor der Strafe“ für „rechtlich hochproblematisch“. „Es ist Sache der Justiz, über Strafen zu entscheiden. Es ist nicht die Aufgabe der Polizei, die Kassen des Innenministeriums zu füllen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Überraschende Wende in Syrien
Stunde null in Aleppo
Liberale in der „D-Day“-Krise
Marco Buschmann folgt Djir-Sarai als FDP-Generalsekretär
Trumps Wiederwahl
1933 lässt grüßen