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Einrichtungsbezogene ImpfpflichtUngeimpft? Macht nischt!

In Sachsen sind ein Drittel der Beschäftigten im Gesundheitswesen ungeimpft. Deswegen gilt dort das Primat der Versorgungssicherheit.

In Sachsen sind ein Drittel der Beschäftigten im Gesundheitswesen ungeimpft Foto: Sebastian Kahnert/dpa

Leipzig taz | Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) hat versucht, den Freistaat vor dem Gesetz zu bewahren, über das bundesweit, aber vor allem in Sachsen seit Wochen heftig diskutiert wird: die einrichtungsbezogene Impfpflicht. Mehrmals hatte der Regierungschef gefordert, das Bundesgesetz zu verschieben, zumindest um ein paar Monate. Man müsse die Bedenken aus dem Gesundheits- und Pflegewesen ernst nehmen, sagte der CDU-Politiker. Gelungen ist es ihm nicht: die einrichtungsbezogene Impfpflicht greift ab dem 15. März.

Der Grund für Kretschmers Unmut ist die niedrige Impfquote im sächsischen Gesundheitswesen. 100.000 von 300.000 Beschäftigten, die in Sachsen unter die einrichtungsbezogene Impfpflicht fallen, sind laut sächsischem Gesundheitsministerium ungeimpft. Da Sachsen noch immer die mit Abstand niedrigste Impfquote Deutschlands hat, überrascht dies nicht – gerade mal 64 Prozent der Menschen sind hier grundimmunisiert und 47 Prozent geboostert.

In anderen Bundesländern ist die Impfquote unter Mit­ar­bei­te­r:in­nen im medizinischen und pflegerischen Bereich deutlich höher. In Bremen sind schätzungsweise nur 10 Prozent derer, die unter die Impfpflicht fallen, ungeimpft, in Nordrhein-Westfalen 5 bis 10 Prozent, in Rheinland-Pfalz und Niedersachsen jeweils 5 Prozent. Das teilten die Gesundheitsministerien auf taz-Anfrage mit.

Von der Gesundheitsverwaltung Berlin hieß es, die Impfquote in den Berliner Krankenhäusern liege zwischen 82 und 100 Prozent, in den Berliner Pflegeeinrichtungen bei rund 90 Prozent. Die übrigen Bundesländer konnten zwar keine Angaben dazu machen, wie viele Beschäftigte unter die Impfquote fallen und wie viele davon ungeimpft sind, dafür aber zu den Impfquoten in der Pflege. Diese liegen überall über 80 Prozent.

Gesundheitsämter haben „Ermessensspielraum“

Angesichts der niedrigen Impfquote in Sachsen stellt sich die Frage: Inwieweit kann der Freistaat die einrichtungsbezogene Impfpflicht überhaupt umsetzen, ohne die Versorgung in Krankenhäusern und Pflegeheimen zu gefährden? Und wie reagieren die Mit­ar­bei­te­r:in­nen im Gesundheitswesen auf das Gesetz? Droht eine Kündigungswelle?

Petra Köpping (SPD), Sachsens Gesundheitsministerin, ärgert die niedrige Impfquote im Gesundheitswesen. Sie verstehe nicht, warum sich angesichts der vielen Coronatodesfälle nicht mehr Beschäftigte impfen ließen, sagte die SPD-Politikerin vergangenen Dienstag bei einem Gespräch mit Ärz­t:in­nen und Bür­ge­r:in­nen im Dresdner Uniklinikum.

Fest steht: Würde Sachsen die Impfpflicht konsequent durchsetzen, dürfte ein Drittel der Beschäftigten nicht mehr arbeiten – der Versorgung würde der Zusammenbruch drohen. Daher will der Freistaat das Gesetz „mit Mitte und Maß“ umsetzen. Laut Köpping habe die Versorgungssicherheit die höchste Priorität. Das heißt: Legt ein:e Mit­ar­bei­te­r:in in vier Wochen keinen Impfnachweis vor, droht zwar ein Betretungsverbot oder ein Bußgeld bis zu 2.500 Euro. Die Gesundheitsämter haben bei der Entscheidung aber einen „Ermessensspielraum“. Gefährdet ein Betretungsverbot die Versorgung, soll ungeimpftes Personal weiterarbeiten dürfen.

Ministerpräsident Kretschmer hatte schon Mitte Februar, als sich Bund und Länder auf die genaue Umsetzung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht einigten, kritisiert, dass die Verantwortung auf die Gesundheitsämter abgewälzt werde und diese zwischen Infektionsschutz und Versorgungssicherheit abwägen müssten. Ebenso kündigte er an, den Gesundheitsämtern in Sachsen „den Rücken stärken“ zu wollen.

Pflegerat begrüßt Primat der Versorgung

Michael Junge, der Vorsitzende des sächsischen Pflege­rates, begrüßt es, dass die Sicherstellung der Versorgung in Sachsen oberste Priorität haben soll. Allerdings erzeugten die Regelungen „weiterhin eine hohe Unsicherheit bei den Einrichtungen und den beruflich Pflegenden“, sagte er der taz.

Aufgrund der ohnehin angespannten Personalsituation könnten bereits einzelne Betretungsverbote die Versorgung gefährden. Der Grund für die „emotional geführte Debatte“ über die Impfpflicht, sagte Junge, sei nicht die Impfpflicht als solche, sondern die jahrelange Versäumnis der Pflegepolitik. Eine Kündigungswelle, wovor die Pflegebranche im Vorfeld warnte, sehe der Pflegerat derzeit aber nicht.

Laut der Regionaldirektion Sachsen der Bundesagentur für Arbeit haben sich seit Dezember 2021 etwa 8.800 Beschäftigte im Gesundheits- und Sozialwesen arbeitssuchend gemeldet. Das seien rund 6.000 mehr als üblich, wie ein Sprecher der taz mitteilte. Ihre Entscheidung begründeten die Beschäftigten häufig damit, dass sie sich nicht weiter dem Infektionsrisiko aussetzen wollten, sie im zweiten Pandemiewinter die Grenze ihrer Belastbarkeit erreicht hätten, sich beruflich umorientieren – oder sich nicht impfen lassen wollten.

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6 Kommentare

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  • Welche "Versorgungssicherheit" bieten bitte sehr Ungeimpfte für Vulnerable[1]? Klingt widersprüchlich. Dilemma und Druck wegen Personalmangel in der Pflege, mit denen gegen den wichtigen Schutz der Vulnerablen instrumentalisiert wird, sind sehr gute Argumente für eine allgemeine Impfpflicht. Dann könnte sich imfpverweigerndes Gesundheitspersonal nicht so leicht rauswinden und die Grundlage der Solidarität basierte dann auf den Schultern Aller (aufgrund Impfempfehlung und LongCovid-Risiko am besten bereits auch einschließlich Menschen ab 12 Jahren [2][3]):



    "Liebe Oma, lieb*er Seniorenheimbewohner*in Heinz, lieb*er Assistenzgeber*in Ayşe, lieb*e krebserkrankte*r Arbeitskolleg*in Juri, lieb*er berentet*er Nachbar*in Herbert ...,



    aus Selbstsorge, aber auch aus Solidarität und Verantwortung heraus lasse ich mich impfen!"



    [1] de.wikipedia.org/w...ulnerabilit%C3%A4t



    [2] www.br.de/nachrich...los-mit-14,SquCKB3



    [3] www.aerzteblatt.de...ko-fuer-Long-COVID

  • Die werden sich aber umgucken:



    Das "Primat der Versorgungssicherheit" heisst letztlich, das kein Betretungsverbot ausgesprochen wird, der Gesetzesverstoß wird aber trotzdem mit Bußgeldern in empfindlicher Höhe geahndet werden.



    Für mich ist das Augenwischerei, als kämen die Impfunwilligen damit durch. Das wird nicht so sein.

  • 9G
    93851 (Profil gelöscht)

    Herr Lauterbach wälzt ja ab dem 20.03. auch das ganze Infektionsschutzgesetz auf die Länder ab. Jede:r kann wieder lustig vor sich hin "werkeln...".

    Wenn es in Sachsen in kürze "kein COVID-19 mehr gibt", alle Inzidenzwerte sprechen ja "dafür", kann Sachsen ja den "Freedom-Day" ausrufen.



    Darauf scheint ungeimpftes Pflegepersonal ja nur zu warten, oder?

    Wer freiwillig ein Bußgeld in Höhe von 2500 € bezahlt, braucht auch keinen Tankrabatt mehr, wie schön!

  • Mit Omikron hätte man die



    einrichtungsbezogene Impfpflicht nochmals völlig neu bewerten müssen.



    Der Schutz vor Infektion liegt bei Geboosterten inzwischen laut RKI bei 30%, Tendenz stark fallend.



    Da noch von einem wirksamen Schutz für die Patienten zu sprechen ist recht gewagt, von einer Notwendigkeit zu sprechen absurd.

    Aber da zeigt die Politik leider keinerlei Flexibilität. Stattdessen legt man sich mit einem Drittel der Pfleger in Sachsen an..

    • @CrushedIce:

      Impfungen bieten gerade nach 2 Wochen nach der Impfung den besten unmittelbaren (also nur auf den Körper bezogen) Infektionsschutz mit dem geringsten Risiko für Gesundheitsschäden. Geboostert wird seit Herbst 2021. Auch wenn der Schutz abnimmt, so haben Impfauffrischungen immerhin für einen gewissen Zeitraum für einen verbesserten Impfschutz sorgen können. Daran, was der beste Schutz ist, wird laufend geforscht. Mittlerweile wird Vulnerablen eine vierte Impfung empfohlen und das Omikron-Impfstoff-Update soll kurz bevor stehen. Die Position pro-Impfung beinhaltet ja nicht einen Ersatz anderer Maßnahmen durch die Impfung, sondern die Impfung ist eine weitere Verstärkung des Impfschutzes - je nach Pandemielage zusätzlich zu Masken, Tests u.ä.. Wie bei der OP: nicht nur das Skalpell wird desinfiziert sondern auch sämtliche andere medizinische Instrumente, Ausstattung und Kleidung. Da Vulnerable nun mal vulnerabel sind, ist jede Schutzverbesserung - auch 30 % - besser als keine. Wenn Enkelin Marta also Opa Norbert besucht, ist es besser geimpft und getestet zu sein und eine Maske zu tragen, als ihn ohne Test und Impfung sondern nur mit Maske zu besuchen. Das gilt auch für Pflegende. Außerdem sorgen Impfungen dafür, dass die Verläufe milder sind. Desweiteren gibt es Hinweise darauf, dass das LongCovid-Risiko [1] geringer ist. Ist das Gesundheitspersonal geimpft, dürfte es also langfristig gesünder sein bzw. bleiben und somit auch tatsächlich ihre Arbeit leisten können.



      [1] www.deutsche-apoth...-long-covid-risiko

    • @CrushedIce:

      Wir hatten das bereits mehrfach in den letzten 150 Jahren und manchmal wurden dabei nicht einmal 30 % Schutz erreicht. Wichtig ist dabei nur eins, niemand wird heute noch von einem maskenlosen Vollbart operiert und alle Krankenhäuser haben ein Hygienemanagement. Wir können uns nicht einmal mehr vorstellen, warum es jemals anders war. Und das ist auch gut so.