Einigung im Streit um Gedenkort: Mehr Abstand zu den NS-Profiteuren
Das Hamburger NS-Dokumentationszentrum denk.mal wollte nicht mit einer Firma mit Nazi-Vergangenheit unter ein Dach. Nun gibt es eine Einigung.
Es soll an die mehr als 8.000 Juden, Sinti und Roma erinnern, die von hier aus Mitte 1940 bis Anfang 1945 in 20 Zügen in osteuropäische Ghettos deportiert wurden, in Konzentrations- und Vernichtungslager. Wann und wie genau das Denkmal realisiert werden würde, stand jedoch lange in den Sternen. Nach harter Kritik an den Plänen im Frühjahr 2021 war sogar ein Mediationsverfahren eingeleitet worden.
Das Problem: Ursprünglich war für das Zentrum das Erdgeschoss eines neuen Bürokomplexes in der HafenCity vorgesehen, unweit eines Gedenkortes, der 2017 im Lohsepark eingeweiht wurde. Doch dann kam heraus: Die Büroetagen oberhalb des Zentrums hatte Investor Harm Müller-Spreer von der Müller-Spreer AG an die Wintershall Dea AG vermietet.
Wintershall ist ein Öl- und Gasproduzent, dessen Vorgängerfirmen in der NS-Zeit von Aufrüstung, Kriegswirtschaft und Zwangsarbeit profitierten. Die Opferverbände, eng eingebunden in die „Denk.mal“-Planung, zogen sich unter Protest zurück. „Das war sehr intransparent“, sagt David Rubinstein, Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde in Hamburg, der taz. „Wir haben davon erst aus der Zeitung erfahren.“
Helga Obens, Auschwitz-Komitee
Schnell ist klar: Wintershall bleibt. Ein neuer Ort muss her. Die Mediation hat ihn jetzt auf den Weg gebracht: Müller-Spreer errichtet für das Zentrum ein eigenständiges Gebäude, zweigeschossig, auf dem historischen Bahnhofsgelände, auf städtischem Grund, am Nordende des Parks. Er tut es auf eigene Kosten, schenkt es der Stadt.
Erinnerungskulturell hat sich der Kampf also gelohnt: „Das ist natürlich besser als das Erdgeschoss“, sagt Oliver von Wrochem der taz, Leiter der Hamburger KZ-Gedenkstätte Neuengamme und des Projekts Denk.mal Hannoverscher Bahnhof. „Dadurch erzielen wir weit größere Aufmerksamkeit.“
Er sieht aber auch Nachteile: „Wir müssen nun länger auf das Gebäude warten, und damit verschiebt sich die Eröffnung des Zentrums.“ Aus 2023 wird eventuell 2026. „Und wir müssen konzeptionell stark nacharbeiten, denn die Raumaufteilung und damit die Choreographie der Ausstellung ändert sich ja jetzt.“
Bei Wintershall Dea sieht von Wrochem „Signale der Offenheit“, dass die Aufarbeitung der NS-Zeit der Firmengeschichte, die teils noch aussteht, bald stattfindet. „Ich wünsche mir und hoffe, dass sie sich dieser Aufgabe annehmen.“
In der Mediation sei „sehr um Lösungen gerungen“ worden, sagt Enno Isermann zur taz, Sprecher der Hamburger Behörde für Kultur und Medien. „Das war alles nicht einfach.“ Sichergestellt sei, dass die bisher geplanten 16 Ausstellungskapitel vollständig in den neuen Solitär passen. „Vermutlich sogar noch mehr als das.“ Den Betrieb des Zentrums übernimmt die Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte zur Erinnerung an die Opfer der NS-Verbrechen.
Die Bewertung der Mediation und der Zukunft des Zentrums sind einhellig positiv. „Ein guter Erfolg“, sagt David Rubinstein. „Die Solitär-Lösung stellt eine Aufwertung für das Zentrum dar.“ Arnold Weiß, erster Vorsitzender des Landesvereins der Sinti in Hamburg, ist froh, dass der Protest gewirkt hat. Es wäre eine „Zumutung“ gewesen, „die Erinnerung an unsere Deportierten und Ermordeten im Erdgeschoss der Firmenzentrale eines mit den Nazi-Verbrechen verbundenen Konzerns unterzubringen“.
Helga Obens vom Auschwitz-Komitee Deutschland mahnt indes: Man müsse „feststellen, dass nach wie vor in Hamburg kein Gesamtkonzept für die Sicherung und Präsentation der Erinnerungsorte erkennbar ist“. Zukünftig erwarte man, „dass Politik und Senat die Entscheidung über die Hamburger Erinnerungskultur nicht mehr an private Investoren delegiert“.
Ein neues Bebauungsplanverfahren also, ein neuer Gestaltungswettbewerb. Die Relikte des alten Bahnsteigs 2 werden noch lange auf ihren neuen Nachbarn warten müssen.
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