Eine zweite Chance für Kuscheltiere: Wahre Schönheit kommt von innen
Muss es immer nahtlos und glatt sein? In einem Schweizer Atelier werden ausgediente Kuscheltiere auf links gedreht – und so wiederbelebt.
Auch Kuscheltiere können sterben. Sie leben nämlich nur genauso lange, wie sie von ihren Menschen geliebt und gehegt werden. Der äußere Zustand ist dabei ziemlich egal, sie dürfen Augen verlieren, ihr Fell kann vor lauter Zuneigung unrettbar verfilzt sein und ihre Gliedmaßen können an einem letzten sehnsüchtigen Faden baumeln – was einzig zählt, ist die Beziehung zueinander. Geht ein Kuscheltier also verloren und sitzt traurig am Straßenrand, dann ist es ganz sicher noch lebendig, denn es gibt jemanden, der es vermisst. Stirbt aber der dazugehörige Mensch oder wird er erwachsen und wendet sich anderen Dingen im Leben zu, dann verblasst der Lebensgeist der Kuscheltiere.
Die Tiere, die im Züricher Atelier Volvox landen, gelangen aus Dachbodenentrümpelungen oder aus den Brockenhäusern, einer Schweizer Secondhandladen-Kette, auf den Nähtisch von Lea Gerber. Dort offenbaren sie ihr Innerstes, das nach außen gekehrt und neu vernäht wird. Der plüschige Inhalt bleibt der gleiche.
„Outsiders“ nennen sich diese Kreationen, die in kleinen Editionen seit vielen Jahren in Gerbers Designgeschäft verkauft werden. Die Idee dazu entstand schon in ihrer Studienzeit an der Zürcher Hochschule der Künste, gemeinsam mit Samuel Coendet. „Was passiert und welches Wesen einen anguckt, wenn man es umdreht, hat uns fasziniert“, sagt Lea Gerber heute.
Die Outsiders widersetzen sich gängigen Niedlichkeitskriterien und sind doch zum Knuddeln schön. Ihre Farbigkeit ist matter, als wir es von den meisten Kuscheltieren kennen, ihre Formen sind eckiger. Auch legen sie Strukturen offen: die Nähte, die das Exoskelett jedes Kuscheltiers bilden, treten deutlicher zutage. Aus Knopfaugen werden Stegaugen. So sind sie ein wenig wie das Centre Pompidou und laden dazu ein, über unser Verhältnis zu Oberflächen nachzudenken. Muss es wirklich immer glatt und verputzt, abgesäumt und nahtlos sein?
Die geretteten Kuscheltiere jedenfalls, die haben es gut. Derartig auf links gedreht, können sie ein neues Leben beginnen. Eine Wiederauferstehung. Wie nachgerade österlich!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken
Waffen für die Ukraine
Bidens Taktik, Scholz’ Chance