Eine Fernfahrerin unter Männern: Prinzessin auf der Autobahn
Die Truckerwelt besteht aus Männern. Es gibt nur wenige Frauen, die 40-Tonner lenken. Jasmin Wucherer ist eine davon. Wir waren mit ihr auf Achse.
Dieselgeruch liegt in der Luft. Jasmin Wucherer raucht eine Zigarette, die Finger frieren. Es ist Sonntagnacht. Gleich geht es von Berlin nach Nürnberg und zurück. Zwei Tage wird sie unterwegs sein, auf „Prinzessinnentour“, wie sie es nennt.
Als ein Kollege mit einem Traumfänger im Fenster auf den Hof rollt, dreht sie gerade den Zündschlüssel um. Die Zugmaschine ihres 40-Tonners braucht, bis sie in die Gänge kommt, ihr Trailer, der Anhänger, ist randvoll mit Katalogen bepackt. Der Fahrer mit dem Traumfänger deutet mit dem Kopf eine Verbeugung an, Jasmin Wucherer winkt zurück.
Jasmin Wucherer, 33 Jahre alt, ist Fernfahrerin. Sie arbeitet seit zehn Jahren in der Speditionsbranche und ist eine von wenigen Berufskraftfahrerinnen. Der Frauenanteil in diesem Beruf liegt bei 1,7 Prozent. Die meisten Kraftfahrerinnen gibt es laut dem Bundesverband Güterkraftverkehr und Logistik im Regional- und Nahverkehr. Eine Frau, die im Fernverkehr fährt, ist eine Rarität. Das macht ihren Job nicht immer einfach. Nur manchmal, da macht es ihn besonders leicht.
Sie lenkt das fast 17 Meter lange und 4 Meter hohe Gefährt an großen Lagerhallen, grauen Parkplätzen und einem Holiday Inn vorbei in Richtung Autobahn. Dabei thront sie mit geradem Rücken auf ihrem luftgefederten Sitz. Die Haare sind zu einem strengen Dutt gebunden. An ihrer Nase und Unterlippe glitzern kleine Brillanten. Die Dose Red Bull steht für die Nacht in Reichweite.
Wie ist sie hinter dem Lenkrad gelandet? Auf Schule hatte sie als Jugendliche keinen Bock, erzählt sie, während sie der gelben Fahrbahnmarkierung durch eine Baustelle folgt. Ihr gefiel die Vorstellung, mit einem Blaulicht herumzufahren.
Also ließ sie sich als Rettungsassistentin ausbilden. Ihr Chef setztesie und ihre weibliche Kollegin vor allem bei den Kinder- und Hebammendiensten ein. Aber schon mal einen Säugling neben seinen verzweifelten Eltern reanimiert? Irgendwann konnte sie wegen der schrecklichen Bilder im Kopf nicht mehr schlafen, sie waren immer da, sie musste davon weg.
Was macht man, wenn man Anfang 20 ist, seinen Job gekündigt hat und etwas von der Welt sehen will? Jasmin Wucherer überlegte sich, Fernfahrerin zu werden. Doch die Jobsuche war schwieriger als gedacht. Eine Spedition nach der anderen lehnte sie ab. „Du wirst doch sowieso bald schwanger, das hat doch keinen Sinn“, wurde ihr gesagt. Erst ein Gespräch zwischen ihrem damaligen Freund, der selbst Fernfahrer war, und seinem Chef habe ihr einen Praktikumsplatz und später einen Job als Fernfahrerin verschafft.
Jasmin Wucherer zeigt an die Decke der Fahrerkabine, an der unzählige blaue Lämpchen leuchten. „Mein persönlicher Sternenhimmel“, sagt sie und erzählt von Sonnenuntergängen auf der Autobahn. Ihren Truck nennt sie „Sternchen“, weil er von Mercedes ist. „Ein richtiges Mädchenauto“, sagt sie, „mit geräumiger Fahrerkabine statt starkem Motor.“
Trucker mögen es plakativ, sie schätzen Archetypen aus dem großen Fundus der Popkultur. Und so identifizieren sich viele Männer mit dem Lonesome Cowboy. Aber welche Figur ist für die Truckerin vorgesehen, die in dieser Welt lange Zeit keine Rolle spielte?
Jasmin Wucherer hat sich für die Figur der Prinzessin entschieden. Sie sagt Dinge wie: „Das ist nichts für Prinzessinnen ohne Windeln.“ Oder: „Das ist ein Eins-a-Prinzessinnenparkplatz.“ Sie ist nicht die Einzige. Neben ihr gibt es mindestens eine weitere Truckerin, die sich als Prinzessin inszeniert: Christina Scheib, die durch die Dokuserie „Asphalt Cowboys“ bekannt wurde und in der Truckerszene viele AnhängerInnen hat.
Sie eignet sich den Spitznamen an
Ist Scheib ein Vorbild für Wucherer? Nein, sagt Jasmin Wucherer. Sie selbst bezeichne sich schon lange so. Angefangen habe es damit, dass ihre männlichen Kollegen sie so genannt hätten. Wegen ihres Aussehens und ihres gepflegten Fahrerhauses, vermutet sie. Dann habe sie den Spitznamen irgendwann übernommen.
Und sie fährt gut damit. Schließlich ist eine Prinzessin schützenswert und mächtig zugleich. Eigenschaften, die auf der Straße nicht schaden. Diese Inszenierung kann man mögen oder nicht. Was aber auffällt: Sie steht im harten Kontrast zur Tristesse des Truckerinnen-Alltags.
„In my mind, in my head
This is, where we all came from
The dreams we have, the love
we share
This is, what we’re waiting for“
Eine künstlich verfremdete Frauenstimme tönt aus dem Radio. Wucherer macht lauter, sie liebt diesen Song, sie könnte ihn in Dauerschleife hören. Am Horizont blinken rote Windradlichter im Takt. Auf der A9 sind jetzt nur noch wenige Trucks unterwegs. Die meisten Kraftfahrer schlafen dicht gedrängt auf den Stellplätzen auf Autohöfen und Raststätten. Jasmin Wucherer fährt lieber nachts. Sie mag es, die Straße fast für sich allein zu haben.
In solchen Momenten erinnert sie sich an Italien. Als sie San-Pellegrino-Wasser abholte, zeigte sich ihr Beruf von seiner besten Seite. Mit freien Wochenenden, an denen sie in Mailand shoppen oder im Meer baden war. Mit deutsch-italienischen Freundschaften und dem Genuss von Mozzarella di Bufala, Salsiccia, Pasticcini. „Da habe ich gefuttert, bis mir schlecht war.“
Zum Abschied ein Tipp
Jasmin Wucherer war so fasziniert von diesem Sehnsuchtsland der Deutschen, dass sie sich selbst Italienisch beibrachte. Wenn sie heute darüber spricht, klingen diese Touren wie ein Abstecher ins Märchenland. Mehr Fernfahrerromantik geht nicht.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Das ist das eine. Dass aber Italien auch andere Seiten hat, hat Wucherer ebenso gelernt. Da war zum Beispiel der Freiluftpuff. Während einer Tour nach Italien machte sie versehentlich Rast auf einem Parkplatz, den Lkw-Fahrer für käuflichen Sex ansteuern. Kaum eingeschlafen, klopfte es.
Vor der Tür stand eine Frau, die im ersten Moment zusammenzuckte, als sie die Fernfahrerin erblickte, dann aber ihre Dienste anbot. Jasmin Wucherer lehnte dankend ab. Die Prostituierte gab ihr zum Abschied einen Tipp: „Wenn du nicht wieder aufgeweckt werden willst, häng deinen BH über den Seitenspiegel. Dann glauben alle, bei dir ist besetzt.“
Ist es nicht manchmal gefährlich, als Frau so allein unterwegs zu sein? „Eigentlich nicht“, sagt Wucherer. „Es gab immer einen Tankwart oder Fernfahrer, der auf mich aufgepasst hat.“ Hin und wieder wurde sie jedoch erstaunt gefragt: „Wie kommst du bloß zu diesem irren Job?“
Nach Tschechien, Russland und in die Slowakei habe sie ihr damaliger Chef aber nie geschickt. Wegen der Gasangriffe und Überfälle – zu gefährlich für eine Frau, sagte er. Und wie ihre männlichen Kollegen auf einem normalen Rastplatz zu übernachten käme Wucherer nie in den Sinn – zu riskant. Stattdessen schläft sie auf bewachten Parkplätzen, die besten schaffen es in ihr Büchlein, in dem sie sie notiert. Oder sie übernachtet in der Nähe eines Firmengeländes, das Kameraüberwachung hat.
Zwischen Romantik und bitterer Realität: Über die Arbeitsbedingungen auf Europas Fernstraßen diskutieren auf dem taz lab am 6. April die FernfahrerInnen Jasmin Wucherer und Mehdi Naseri sowie Autobahnanwalt Klemens Bruch. Mehr Infos unter tazlab.de
Das Brückenrasthaus, wo sie jetzt einen Stopp einlegt, ist ein Urwald aus Zimmerpflanzen und verwaisten Sitzgarnituren. In einer Ecke hält sich ein übernächtigter Mann an einem einarmigen Banditen fest. Wucherer sucht die Toilette und ist erleichtert, weil diese sauber ist. Um 2.30 Uhr gibt es in dem Rasthaus nur noch faustgroße Buletten in braungrüner Soße, die fast 10 Euro kosten. Also schnell zur Tankstelle gegenüber und wieder mal ne Bockwurst mit Senf. „Truckerfutter“ nennt Wucherer das.
Was hilft bei langen Touren eigentlich gegen Einsamkeit? „In Doppelbesetzung fahren, aber da muss man der Typ für sein.“ Sie habe das mal mit ihrem Exfreund ausprobiert. Er habe eine Schicht übernommen und sie eine. Nach zwei Tagen gaben sie auf. Keiner von beiden wollte sich reinreden lassen. Ein Haustier helfe auch. Manch ein Kollege habe einen Hund dabei. Sie schaffte sich irgendwann zwei Frettchen an, die mit ihr mitfuhren.
„Als Fernfahrerin braucht man einen starken Partner“, sagt Jasmin Wucherer. Ihr jetziger Freund habe sie immer unterstützt. Seit einiger Zeit geht sie ihm zuliebe nur noch selten auf Tour. Heute arbeitet sie in ihrer Spedition vor allem als Personalmanagerin und kümmert sich am liebsten um neue Azubis.
Aktuell gebe es deutschlandweit 45.000 offene Stellen, sagt sie. Weiblicher Nachwuchs sei daher sehr gefragt. Klar sei der Job anstrengend, biete aber auch Freiheiten. „Dein Chef sagt dir bloß, dass du von A nach B musst. Der Rest liegt in deiner Hand.“ Weiterbildungsmöglichkeiten gebe es auch. „Ich wünsche mir eine neue Prinzessin im Betrieb“, sagt Wucherer.
Um 5.15 Uhr geht es von der Autobahn nach Nürnberg in ein Industriegebiet mit Lebkuchenfabrik. Sie biegt in eine Seitenstraße ein, die zum Zentrallager der Deutschen Post führt, dem Auslieferungsort für die Kataloge.
Eine Gruppe Lageristen hält gerade am Automaten Kaffeeklatsch. Tattoos, Solariumbräune, Muskelberge. Als sie Jasmin Wucherer erblicken, verstummen sie. Taxierende Blicke vom Scheitel bis zur Sohle, dann ein Grinsen wie von pubertären Jungs im Freibad. Sie geben sich gentlemanlike: Nein, selbst ausladen müsse sie auf keinen Fall.
Zwei Lageristen beobachten, wie sie an die Rampe fährt. Wucherer lässt das kalt. Mit einer Marlboro im Mundwinkel legt sie in aller Ruhe den Rückwärtsgang ein, blickt über die Schulter und schlägt das Lenkrad nach links. Der Schichtleiter wartet schon. Er will, dass sie die Ladefläche ihres Trailers bis zum Anschlag hochpumpt. Sie hat Bedenken, dass die Luftfederbalken platzen könnten, fügt sich dann aber. Wenn die Männer schon ausladen, sollen sie wenigstens hier ihren Willen kriegen.
Während sie in der Fahrerkabine wartet, rumst und wackelt es hinter ihr. Die Gabelstaplerfahrer rasen mit hoher Geschwindigkeit in den Trailer. Als sie fertig sind, drückt Wucherer ihre Zigarette in der Red-Bull-Dose aus, steckt sich einen Fruchtkaugummi in den Mund und macht sich auf den Weg ins Büro, den Lieferschein abstempeln. An der Wand neben ihr ein Poster mit Marilyn Monroe im Kreise ihrer männlichen Schauspielerkollegen beim Abendmahl.
„Hätte ich jetzt Zeit gehabt, hätte ich mit den Jungs noch ’n Käffchen getrunken.“ Aber Zeit hat sie nicht, sie muss den nächsten Termin schaffen. In einem anderen Lager Achselhemden und Hausschuhe für Männer einladen.
Als sie wieder auf der Autobahn ist, drängelt ein Trucker hinter ihr. „Was klebst du mir am Hintern?“, fragt sie entnervt und zieht an ihrer Marlboro. Der andere Truck überholt, will in die enge Lücke zwischen ihr und ihrem Vordermann. „Bist du betrunken? Ich lass dich hier nicht rein“, flucht Wucherer. Ihr Chef ruft an, sie flötet ins Telefon: „Bis jetzt die perfekte Prinzessinnentour. Ich musste nicht mal ausladen.“ Das sei aber nicht der Regelfall, sagt sie.
In der Branche gebe es schon den ein oder anderen, der immer noch sage: Frauen gehören hinter den Herd. Für andere sei sie einfach „Wildfleisch“. „Aber nur weil diese Typen wochenlang ohne ihre Frauen unterwegs sind, haben sie nicht das Recht, mich blöd anzumachen.“
Dann ist Ruhe im Karton
Doch es gebe Mittel und Wege, fügt sie hinzu, sich Respekt zu verschaffen: „Wenn du besser an die Rampe kommst als sie, ist Ruhe im Karton.“
Mittlerweile ist es 9 Uhr morgens. Wucherer wird müde, muss abfahren – da, das erlösende Schild, der kleine Autohof am Rand eines Waldes liegt in den Morgenstunden fast verlassen da. Kentucky Fried Chicken, eine Tankstelle. Nur ein einzelner Truck steht dort auf der Fläche aus Beton. Der Fahrer pinkelt gegen einen Busch, als sie auf den Parkplatz einbiegt. Sie könne Wildpinkeln nicht leiden, sagt sie. Erst neulich habe sie beobachtet, wie einer gegen seinen eigenen Reifen gepullert habe. Das komme übrigens öfter vor. „Ich hoffe, der hatte danach einen Reifenplatzer.“
Jetzt noch eine heiße Schokolade, und dann ab ins Bett. Gar nicht so leicht, wenn es draußen taghell ist.
Ihr schlimmstes Erlebnis hatte sie vor einigen Jahren nicht mit einem anderen Lkw-Fahrer, sondern mit einem Lageristen. Der begrüßte sie nach durchgefahrener Nacht mit den Worten: „Wie siehst du denn aus? Wer hat dich denn durchgefickt?“ Sie beleidigte daraufhin seine Mutter. Bei dem Mann habe es sich aber um den obersten Schichtleiter des Lagers gehandelt, erzählt Wucherer. Er erteilte ihr Hausverbot. Heute würde sie sich auf so ein Niveau nicht mehr herablassen, sagt sie.
Nach ein paar Stunden Schlaf und einer Dusche auf dem Autohof ist Wucherer Montagnacht wieder auf der Autobahn. Aus den Boxen in ihrem Fahrerhaus schallt jetzt Lucilectric.
„Keine Widerrede, Mann
Weil ich ja sowieso gewinn
Weil ich ’n Mädchen bin“
Wucherer singt mit, während sie im Dunklen dahinrollt. Die Prinzessin beißt von ihrer Bifi ab. Noch 79 Kilometer bis Berlin.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu
Er wird nicht mehr kommen
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin