Eindrücke aus Moskau: Angst, Unsicherheit, Trotz
Im Moskauer Siegespark zeigen sich viele Befragte unbeeindruckt von den Entwicklungen um die Ukraine. Doch einige geben sich auch kampfbereit.
Waren sie bis vor Kurzem noch recht gelassen oder gleichgültig, unterhalten sie sich nun im Supermarkt, auf den Spielplätzen, in den Parks über Truppenstärken, über Putins aufgedunsenes Gesicht, über die „Politik“, wie sie es nennen. „Was für einen Stuss sagte er denn da?“, „Was tun unsere Mächtigen uns nur an?“, „Ich habe Angst vor dem Morgen“, sagen sie. Aber auch: „Wir haben es den Amerikanern gezeigt.“
Im Siegespark im Moskauer Westen posieren am Mittwoch Männer und Frauen vor den Soldatendenkmälern für Fotos. Junge Paare spazieren durch den Nieselregen, Großmütter ermahnen ihre Enkel*innen, nicht allzu rasant auf ihren Rollern herumzufahren. „Mama, was sind denn das für Stöcke in den Händen der Männer?“, fragt ein Mädchen in rosafarbener Winterjacke. Sie klettert auf das Podest des Bronzedenkmals für die „Helden des Ersten Weltkriegs“, gleich am Eingang zum Park.
Drei Jahre alt ist sie, die abschüssige Fläche des Mahnmals mit der Nachbildung von Offizieren, Krankenschwestern und einer riesigen russischen Flagge, nutzt sie als Rutsche. Sie jauchzt – und wundert sich. „Komische Stöcke, wirklich.“ Die Mutter geht in die Hocke, nimmt ihre Tochter in den Arm und sagt: „Das sind keine Stöcke, das sind Waffen. Jemand, der sehr böse ist, hat das Haus dieser Männer überfallen, also haben sie sich zusammengetan und sind losgezogen, um für ihr Haus einzustehen. Dafür brauchen sie ihre Gewehre, Pistolen, Geschosse. Sie wollen ihr Haus behalten, deshalb kämpfen sie, manche sterben dabei. Und wenn diese Waffen nicht helfen, holen sie noch andere Männer, die noch mutiger sind. Mit noch größeren Waffen.“
Anna Pham, 29, Passantin
Das Mädchen schaut fragend und rennt weg, ihre Zwillingsschwester einholen. „Man kann den Kindern gar nicht früh genug erklären, wie wichtig es ist, sich vor Feinden zu verteidigen“, sagt Alexandra, die Mutter.
Es ist Feiertag in Russland, Tag des Vaterlandsverteidigers. Die Busse sind mit Fähnchen geschmückt, im Radio läuft Militärmusik. Zu Sowjetzeiten bastelten Mädchen wie Jungen für Brüder, Väter und Großväter am 23. Februar Panzer aus Streichholzschachteln, sangen Armeelieder, marschierten zum Appell. Bastelstunden in Museen, Kindergärten und Schulen gibt es bis heute. Thema: Militär. So wollen auch Alexandra und ihr Mann ihren Zwillingen im sogenannten Museum des Sieges die Geschichte ihres Landes erklären.
„Wenn es Krieg gibt, dann ist es eben so“
„Eine Geschichte der Sieger“, wie die 36-Jährige im Park sagt. Ihren Nachnamen will sie nicht nennen, der Mann arbeite schließlich für den russischen Staat, es könne Probleme geben. „Ich bin für Frieden, und manchmal muss man für den Frieden in den Krieg ziehen“, sagt sie. Wenn Putin rufe, fügt sie hinzu, werde sie nicht zögern. „Wenn es Krieg gibt, dann ist es eben so. Es kommt, wie es kommen muss. Wir sind auf alles gefasst.“ Alexandra hat über Putins Rede lediglich gelesen. „Wir stellen uns auf härtere Zeiten ein, aber wir sind an so etwas schon gewöhnt“, sagt sie.
Auch Alexei und seine Freunde, die sich im Siegespark versammeln, um weiterzuziehen und zu feiern, glauben, dass es Russland nach dem Schritt der Anerkennung der sogenannten „Volksrepubliken“ Donezk und Luhansk wirtschaftlich schlechter gehen wird. „Aber was ist schon die Ukraine? Das Land ist russisch. Nur weil da fünf Prozent meinen, dass sie den Amerikanern huldigen wollen, lassen wir uns doch nicht in die Knie zwingen“, sagt Alexei. Der 45-jährige Jurist ist Kosake. Seit Jahren stärkt der Kreml die patriotische Gruppierung. „Es wird Krieg geben, ja, kurz und schmerzlos, nach drei Tagen nehmen wir das Land ein, das feige Kiewer Regime wird wegrennen“, sagt er, seine Freunde nicken.
Im Siegespark sind sich viele der Stärke Russlands gewiss. „Gewalt ist legitim, um sich zu verteidigen“, sagen sie und wiederholen damit einen Satz, den Putin zur Bekräftigung seines Tuns in der Ukraine erst am Dienstag äußerte. Andere laufen weg, sobald sie auf Putins Rede angesprochen werden. „Sie wissen ja, Kritik am Staat kann böse enden“, sagt eine Frau. Das russische Fernsehen sendet im Tagesverlauf immer wieder eine Karte der Ukraine, die Moderatoren erklären, welche Gebiete dabei „Geschenke“ des Zarenreichs, der Sowjetunion, Russlands waren. So bleibt von der Ukraine nur eine kleine gelbe Fläche übrig.
Dienst am Vaterland
„Der wahre Aggressor ist Amerika. Die Ukraine ist nur ein Instrument, um Russland klein zu halten“, sagt Anna Pham im Siegespark. Sie wiederholt wörtlich das propagandistische russische Narrativ: In den Augen der 29-Jährigen ist Russland das einzige Land, das den USA Paroli bieten könne, und Putin der einzige Mann in der Welt, der den „Mut und den Willen“ habe, den „Verwerfungen des Westens“ zu widerstehen. „Ich bin mir durchaus bewusst, dass unsere Regierung wenig für uns tut, aber …“, sagt sie – und wettert weiter gegen Washington.
Ihr Freund Kirill äußert die Sorge, dass sie, von Beruf Ärzte, im Krieg eingesetzt werden könnten. „Dann ist es eben so! Es ist unser Dienst an unserem Vaterland“, herrscht ihn die Moskauerin an.
Putin spricht derweil im Fernsehen – von russischen Waffen, die „ihresgleichen in der Welt suchen“.
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