Einblick (626): Postkoloniale Kunst in Berlin: Erinnerung neu besetzen
Squat Monument transformiert Archivmaterialien der deutschen Kolonialgeschichte.
„Mutti, Mutti, wenn wir beide nicht mehr sind, dann steht da immer noch der Kilimanjaro, als ein ewiges Wahrzeichen für ein deutsches Afrika“, jammert Carl Peters stellvertretend für die Kolonialnostalgie der Nazis im nach ihm benannten UFA-Spielfilm 1941. Im Filmessay von Squat Monument erscheint die „Carlemann“-Figur in ihrer Narration des weißen Einzelkämpfers als pathetischer Baustein eines kolonialen Diskurses, der sich bis heute in Repräsentationsmuster einschreibt.
So auch in die Erinnerungsinstitution Museum – sei es in Form der hartnäckigen Musealisierung des „Anderen“ wie im Ethnologischen Museum oder ausgelassener Stadtgeschichten in den Bezirkseinrichtungen.
Mit einer künstlerischen Intervention im Tempelhof Museum sortieren Nathalie Mba Bikoro & Anaïs Héraud-Louisadat die Archive um und besetzen das Material neu. Eine Karte zeigt die Tempelhofer Marienhöhe, die einst samt Kilimanjaro-Attrappe (im Schnitt dramatisch mit der Siegessäule überblendet) für die Peters-Dreharbeiten diente.
Squat Monument antworten mit eigenen filmischen Strategien der Fragmentierung, Kolonialbilder treffen auf ihre heutigen Pendants. Wenn sich in einem rasant geschnittenen Pop-Video die Kamera als Drohne entpuppt, ist klar: auch die Erinnerung der Gegenwart muss neu erzählt werden.
taz: Welche Ausstellung in Berlin hat euch zuletzt an- oder auch aufgeregt? Und warum?
Nathalie Mba Bikoro & Anaïs Héraud-Louisadat: Eine neue Ausstellung über die Wünsdorfer Moschee in Zossen. In einem kleinen Haus ist hier eine Kollektion von Dokumenten und Fotos über die Geschichte des kolonialen „Halbmondlagers“ in Wünsdorf zu sehen, in dem ab 1915 eine große Zahl afrikanischer, arabischer und indischer Kriegsgefangener interniert war.
Künstlerische Intervention + Vortrag: 18. 6., 19 Uhr
Bis 30. 9., Mo.–Do., 10–18, Fr. 10–14, So. 11–15 Uhr, Alt-Mariendorf 43
Auch sehr inspirierend: „The incantation of the Disquieting Muse“ bei SAVVY Contemporary. Es geht um Hexerei im weltweiten Spannungsfeld zwischen Tradition und Moderne als Form von Technologie, Medizin und als alternatives Kommunikationssystem für vertriebene Bevölkerungen.
Welches Konzert oder welchen Klub könnt ihr empfehlen?
Die Bar in der Kameruner Straße im Wedding, die ihren Namen von „Lüderitz“ zu „Fredericks“ geändert hat. Adolf Lüderitz war ein deutscher Kolonialverbrecher, Cornelius Fredericks ein afrikanischer Freiheitskämpfer im heutigen Namibia. Und den Balkon des „NorthEurope/WestGermany“, auf dem die Musik der Band, die gerade gespielt hat, in den Köpfen der Gäste nachhallt.
Welches Buch begleitet euch zurzeit durch den Alltag?
Nathalie Mba Bikoro und Anaïs Héraud-Louisadat leiten das Projekt Squat Monument, das sich zwischen Bildender Kunst und politisch-sozialen Kollaborationen mit lokalen und internationalen Künstler_innen und aktivistischen Gruppen bewegt. Gemeinsam nehmen sie die Transformation von Archivmaterialien der Kolonialgeschichte in künstlerische Erfahrung in den Blick, um andere Perspektiven auf kollektive Erinnerung zu schaffen.
Die Entdeckung der Gedichte und der Lebensgeschichte des Poeten Roque Dalton aus El Salvador. Sein Buch „Taberna y otros lugares“ hat uns bei unserer Recherche inspiriert als eine Form, poetisches und politisches Engagement zusammenzubringen.
Was ist euer nächstes Projekt?
Anfang September werden wir bei District eine Ausstellung eröffnen: Eine recherchebasierte Installation, an der wir während der Zeit der Ausstellung weiterarbeiten. Dazu werden wir Veranstaltungen organisieren.
Welcher Gegenstand/welches Ereignis des Alltags macht euch am meisten Freude?
Ein sechs Meter breiter Kilimanjaro, den wir gemeinsam gemalt haben. Er stellt eine Replika einer Filmkulisse dar, die in dem Kolonialfilm „Carl Peters“ von 1941 zu sehen ist. Seit letztem Jahr bringen wir ihn an verschiedene Orte in Berlin, um eine Auseinandersetzung mit der Sprache kolonialer Erinnerung anzuregen.
Text und Interview erscheinen im taz.plan. Mehr Kultur für Berlin und Brandenburg immer Donnerstags in der Print ausgabe der taz
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