Ein Treffen mit Reiner Haseloff: CDU, aber voll sympathisch?
Mit 19 hat unser Autor Reiner Haseloff gewählt. Aber warum? Ein Treffen mit Sachsen-Anhalts Ministerpräsidenten soll Aufklärung bringen.
Es ist die 1.007. Sitzung des Bundesrats, wenige Wochen vor der Bundestagswahl 2021.
Der amtierende Bundesrats-Präsident heißt Reiner Haseloff und hat momentan, soweit ich dies von der Zuschauer:innentribüne beurteilen kann, gleich vier Baustellen: seine Krawatte sitzt zu locker, sein Bundesland Sachsen-Anhalt wartet, während er die Sitzung leitet, dringend auf ihn, um eine Koalition festzuzurren, zudem hat seine Partei den falschen Kanzlerkandidaten und könnte zudem noch, so fürchtet er, ganz theoretisch seine dritte Regierungsperiode verhindern.
Ich zumindest habe ihn einmal gewählt.
Bei der letzten Landtagswahl 2016. Kurz bevor ich Sachsen-Anhalt verlassen habe, um nach Berlin zu ziehen und dort auf Bundesebene beide Stimmen auf Rot zu setzen.
Reiner-Haseloff-One-Man-Show
Aber denke ich an Reiner Haseloff, denke ich nicht automatisch an die Christdemokraten, sondern an den Mann mit Brille, leicht geröteten Wangen und grauem Haar, der immer etwas zu ernst spricht, jedoch nie cholerisch und zu festlichen Anlässen sogar richtig herzlich wird. Egal wie viel Mist die CDU in diesem Bundesland auch fabriziert, ich habe diesen ganz und gar gefestigten Eindruck, dass Reiner Haseloff schon alles irgendwie hinbekommt. Diese devote Bürger:innenperspektive auf Politiker eben. Aber woher kommt die?
Um all das herauszufinden bin ich hier. Wir sind nach der Sitzung verabredet, in seinem Büro im Bundesrat. Ich habe mir sogar einen neuen Anzug gekauft.
Normalerweise trifft er Journalist:innen immer in seiner Heimatstadt Wittenberg. Die schreiben dann Dinge wie „der Katholik in der Lutherstadt Wittenberg“ und müssen dafür wieder und wieder die hiesige Stadtkirche besuchen, nur um zu erfahren, dass diese so sehr zum Leben des MP gehört wie „das C in der CDU.“
All das erzählt mir jetzt sein just eingetroffener Regierungssprecher Matthias Schuppe, während wir vor dem Büro des MP sitzen. Das bekannte Programmheft zur Reiner-Haseloff-One-Man-Show, denke ich.
Zeit für Landeskinder
Vermutlich übt er schon für den bundesweiten Tag der Deutschen Einheitsfeier, die dieses Jahr in Halle stattfindet.
Wie unangenehm wird es eigentlich, wenn Armin Laschet für NRW anreist? Der Loserbruder, der auch zum Familientreffen kommt. Aber der MP wird als bewusster CDUler keinen Streit in der Öffentlichkeit zeigen, so wie es in braven deutschen Familien seit Jahrhunderten gehandhabt wird.
Pressesprecher Schuppe, ein schlanker Mann mit grauen Haaren und freundlich müden Augen, wollte eigentlich längst im Ruhestand sein. Doch ihn und Haseloff verbindet etwas Tiefes, so dass Haseloffs letzte Amtszeit auch seine sein soll. Damit die dann aber doch nicht ungeplant endet, bevor sie überhaupt angefangen hat, geloben die beiden Vorsicht. Vor der Wiederwahl des MPs eigentlich keine Interviews, eigentlich gar keine Gespräche mit Journalist:innen.
Nicht lustig, findet der MP
„Und eigentlich hat der MP seine Vorbehalte gegen die taz seit diesem unlustigen Artikel über den Wahlkampf im Mai“, sagt Matthias Schuppe und schiebt mir genau diesen ausgedruckten taz-Artikel „Ein fahles Wunder“ über den Tisch. Ein falsches Bild vom MP! Satire – Majestätsbeleidigung. „Aber für Sie konnten wir es einrichten. Wir kennen Sie schließlich als Landesliteraturpreisträger und überhaupt sind Sie ja … ein Landeskind!“, sagt Schuppe, während er die Tür öffnet und ich gerade noch rechtzeitig mein Jackett zuknöpfen kann.
„Der ist aber schon für eher besondere Anlässe!“, hatte die Verkäuferin vor ein paar Tagen gesagt, als ich den Anzug kaufen wollte. Und genau deswegen habe ich mir gleich noch ein neues Paar Spitzlederschuhe und Manschettenknöpfe dazu gelegt. Eine ganze Monatsmiete, na ja.
„Schick!“, sagt der MP und deutet auf mich.
„Ganz recht“, sagt Matthias Schuppe und ich werde ein bisschen rot. Dann klingelt das Telefon.
„Sie kommen aber auch zu einer Zeit …“, sagt der MP in meine Richtung und schnappt sich den Hörer. Ich werde nach draußen geführt.
Der Kampf gegen AfD und Langeweile
„Der MP sondiert ja gerade“, sagt Schuppe mit Bedauern, als würde Reiner Haseloff gerade eine üble Erkältung auskurieren. Er nickt mir zu, während er vor mir in das Büro geht und auch ich nicke und denke wieder wie automatisch: „Der MP kommt schon klar.“ Und vielleicht wird der Hauptgrund für mein 19-jähriges, planloses Ich, damals Reiner Haseloff zu wählen, auch durch den gerade durch die Tür dringenden Dialog zwischen MP und Regierungssprecher verdeutlicht:
„Keine Sorge, wir werden eine Lösung finden“, sagt Schuppe.
„Wie immer“, brummt der MP. Gespräch beendet. Klingt doch super, denke ich und fühle wieder diese Haseloff-Wärme.
Da die größten Probleme in Sachsen-Anhalt AfD und Langeweile heißen, geht es für alle Parteien des Landes darum, den Kampf gegen ersteres Problem zum Selbstverständnis zu entwickeln und mit Lösungsvorschlägen gegen zweiteres Wahlkampf zu betreiben. Doch im Gegensatz zu allen anderen hat der MP dieses Selbstverständnis kurz vor der Landtagswahl nicht nur ständig vor Kameras ausgesprochen, sondern noch eins drauf gesetzt und einfach mal behauptet, dass die Bürger:innen schon ihn wählen müssten, um die AfD zu verhindern. Der Plan ging auf. Die CDU holte Ergebnisse, die die Erwartungen deutlich übertrafen. Der MP wurde medial für seinen Anti-AfD-Verdienst gefeiert.
Der Katholik am vegetarischen Buffet
„Nüsschen?“, fragt er, als er mir bedeutet, mich hinzusetzen, und wir beide öffnen je eine 40-Gramm-Snackpackung.
Ich erinnere mich daran, dass wir uns schon einmal persönlich getroffen haben. Es war im Januar 2020 auf dem Neujahrsempfang der Grünen in Sachsen-Anhalt, die damals mit fünf Prozentpunkten als ein lästiger Zweckpartner in der Kenia-Koalition des Landes agierten. Nachdem der pflichtbewusst erschienene MP und seine CDU einen ganzen Abend von nahezu allen Redner:innen gedisst wurde, versuchte er die Situation mit dem stotternden Satz zu retten: „Ich freue mich jetzt auf das vegetarische Buffet“. Artiger Applaus. Es war alles ganz furchtbar, aber der MP aß artig das fad gewürzte Catering.
Während ich all das laut ausspreche, um das Eis zu brechen, sagt der MP:
„Wieso haben Sie Sachsen-Anhalt eigentlich verlassen, Herr Boks?“
„Wegen der Kultur“, lüge ich.
Er pickt ein paar Erdnüsse aus seiner Tüte und sagt nichts.
„Vielen Dank, dass ich Sie heute sprechen darf“, stottere ich.
Seine Stirn legt sich in Falten, obwohl kein einziger Lichtstrahl durch das Glas geht.
„Für ein Landeskind habe ich immer Zeit.“, sagt er. Der MP ist auch beim persönlichen Treffen genau so, wie ich ihn mir vorgestellt habe: bierernst, reserviert, aber freundlich. Ein Politiker, der für seine sorgsamen Bürger:innen bitte als Profi die Politik betreiben will, für die er gewählt wurde.
Also reden wir noch einmal über die Grünen.
Und immer wieder nerven die Grünen
Matthias Schuppe versichert mir aus dem Hintergrund, dass selbst die Kretschmann-Grünen in Baden-Württemberg die sachsen-anhaltinischen Kolleg:innen kritisieren würden.
Da hebt der MP seine Hand in die Richtung seines Regierungssprechers. Nicht autoritär, nein. Es gleicht der vorsichtigen Meldung eines wissenden Schülers im Unterricht.
Haseloff war zeitlebens Klassenbester. 1,0 Durchschnitt – jedes verdammte Jahr und trotzdem wäre er in der DDR fast nicht zum Abitur zugelassen worden. Der Grund: sein Glauben. Der Grund, warum er es doch durfte? Der Einsatz seiner unbequemen, unerschütterlichen Mutter. Sie riet ihm auch seine Studienrichtung. Möglichst etwas Ideologiefreies. Und entschied damit in gewisser Weise die Zukunft Sachsen-Anhalts.
Leben im Politik-Roboter
„Ich bin immer Physiker geblieben, ein Wissenschaftler, und das merkt man auch in meiner Politik.“, sagt der MP.
Aber wieso blockiert seine Partei denn dann Klimasch…
Eine flache Hand des MPs knallt auf den Schreibtisch. Er sieht sie sich etwas ungläubig an und noch bevor ich das Thema wechseln kann, beginnt er hastig zu sprechen:
„Dass alle immer glauben, Klimaschutz ginge nur mit Grün. Im Gegenteil! Die Grünen machen manchmal Vorschläge, die niemand finanzieren kann!“
Seine Stimme zittert, wie selbst erschrocken von diesem Spontanauftritt. Schließlich gilt er doch überall als Reiner Haseloff – der wenig spannende, aber funktionstüchtige MP Roboter!
„Und überhaupt.“, sagt er und wedelt mit einer neuen Tüte Erdnüsse wie mit einem Fächer.
„Ich komme aus der christlichen Umweltbewegung! Glauben Sie, die Erhaltung der Schöpfung liege mir nicht am Herzen?“
Doch, das weiß ich schon.
Warten auf die Union
So sitzen wir. Er im Anzug, ich im Anzug. Essen Erdnüsse, es geht uns gut, und irgendwann reden wir über unsere liebsten Ausflugsziele in Sachsen-Anhalt. Meine Heimat, unsere Heimat. Ich mag das flache Land nördlich der Elbe, der MP den Harz. Es ist vor allem schön im Herbst, wenn die Familie gemeinsam …
„Die CDU wähle ich aber nicht“, sage ich zum Abschied knallhart.
„Noch nicht.“, sagt Reiner Haseloff, sieht auf mein Jackett und zwinkert mir zu. Den Witz hat er bestimmt schon tausendmal gemacht. Aber irgendwie gefällt er mir.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin