Ein Plüschtier als Trans-Ikone: Hailiges Maskottchen

Er ist einen Meter lang, eignet sich als Seitenschläferkissen und für lustige Bilder im Internet. Doch für trans Menschen ist Ikeas Blåhaj viel mehr.

Der Plüschhai Blåhaj, der bei Ikea verkauft wird

Ein Ally, mit dem man schmusen kann Foto: Ilya Starikov/Alamy/mauritius images

Erinnern Sie sich noch an Ihr liebstes Kuscheltier? Es hatte Verständnis für alle kleinen und großen Sorgen. Es war wunderbar weich und anschmiegsam. Und es konnte zwar nicht sprechen, aber hervorragend trösten. Womöglich besitzen Sie es sogar noch immer. Je­de*r siebte deutsche Erwachsene verreist laut einer Studie der Gesellschaft für Konsumforschung mit Kuscheltier. Vielleicht, weil es gerade in der Fremde wichtig ist, sich auf jemanden verlassen zu können. Zugeben, dass sie immer noch eins besitzen, würden vermutlich die wenigsten – es sei denn, es handelt sich um den Blåhaj.

Verkauft wird der kuschelige Blauhai bei Ikea, 2012 kam er weltweit auf den Markt. Mit einem Meter Länge ist er fürs Reisen zwar weniger geeignet, dennoch hat das Stofftier viele erwachsene Fans. „Ich bin fast 30, aber ich kann nicht beschreiben, wie glücklich mich dieser Hai gemacht hat“, heißt es in einer der euphorischen Bewertungen auf der Ikea-Webseite. Einige nutzen ihn als Kopfkissen, mit 27,99 Euro ist er für Sei­ten­schlä­fe­r*in­nen eine günstige Alternative. Andere finden den Blåhaj einfach lustig. Doch für queere Menschen ist er mehr als ein Gegenstand. Er ist ein Symbol für ihre Community.

„Der Blåhaj ist ein Zeichen für Zugehörigkeit“, sagt die Aktivistin Lilischote. Sie ist trans und setzt sich unter anderem auf Youtube und Twitch für queere Rechte ein. „Ich habe eine relativ große Community aus trans und queeren Leuten. Und ich kenne kaum eine Person davon, die nicht einen Blåhaj hat oder zumindest genau weiß, was der Blåhaj ist“, sagt Lilischote. Sie selbst besitzt einen Blåhaj namens Haino. Manche kaufen ihn nach ihrem Coming-out als eine Art Initiationsritus oder lassen ihn sich schenken und zeigen ihn dann stolz auf Social-Media-Kanälen. „Er hat mir 1 Blåhaj gekauft, ich bin jetzt certified trans“, postet jemand auf Twitter.

Blau, weiß, rosa – die Farben der Transgender-Flagge

Doch warum wurde ausgerechnet der Blåhaj zum LGBTQ+-Maskottchen? Unter anderem dank seiner Farben. Blau der Rücken, weiß der Bauch und pink das Mundinnere – das entspricht exakt denen der Transgender-Flagge. Auch dass es sich um ein Kuscheltier handelt, trägt zur Beliebtheit des Blåhaj bei, erklärt Lilischote: „Wenn ich so auf trans Personen gucke, insbesondere die Älteren, die hatten meist nicht so die niceste Kindheit. Sie haben vielleicht bestimmte Sachen unterdrückt, und da ist so ein Kuscheltier einfach super welcome.“

Insbesondere unter trans Frauen bzw. trans femininen Personen sei der Blåhaj beliebt. Er diene dazu, eine Geschlechts­identität auszuleben, die vorher unterdrückt wurde. Denn um nicht aufzufallen, hätten einige von ihnen toxische Männlichkeit bedient. „Mit einem Kuscheltier reclaimen sie, was in unserer Gesellschaft als eher weiblich gilt“, sagt Lilischote.

Seit wann genau der Blåhaj eine Trans-Ikone ist, lässt sich nicht einwandfrei beantworten. Nach der Markteinführung 2012 entdeckten Internet-User*innen schnell, wie gut sich das Plüschtier für lustige Fotos eignet. Weil es sich gut inszenieren lässt – und wegen seines Gesichtsausdrucks mit dem immer geöffneten Mund und dem schräg anmutenden Blick.

Der Blåhaj wird zum Meme

„Er ist bei allen beliebt, weil er so unglaublich witzig aussieht“, sagt Lilischote. Ein Account namens „sharkhugger“ soll 2014 eines der ersten viralen Bilder auf der Plattform tumblr gepostet haben: sechs Plüschhaie, die in einem Ikea-Möbelhaus um einen Tisch sitzen. In den folgenden Jahren entstanden unzählige ähnliche Bilder, immer geht der Blåhaj dabei menschlichen Aktivitäten nach: Er sitzt mit Schal und Coffee to go auf einer Parkbank, vor dem Laptop oder spielt Gitarre. Der Blauhai wurde zum Meme.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Im September 2019 postete dann eine Nutzerin auf der Plattform reddit ein Foto von sich mit einem Plüschhai. Sie liegt in einem Krankenhaus nach einer sogenannten „bottom surgery“, eine geschlechtsangleichenden Operation der Genitalien. Der Hai auf dem Bild ist kein Blåhaj. Doch laut einiger Internet-User*innen soll dieses Foto der Grund sein, dass Plüschhaie mit der Trans-Community assoziiert werden. Auf Twitter gab es allerdings bereits im Februar 2019 ein Bild von einem Hai vor einer Transflagge.

Es sei nicht wichtig, das erste Bild zu finden, sagt Dean Cooper-Cunningham, Dozent für internationale Beziehungen an der Universität Kopenhagen. Er beschäftigt sich unter anderem mit visuellen politischen Interventionen, wie dem „Gay Clown Putin“-Meme als Reaktion auf homophobe Politik in Russland. Viel wichtiger sei die Masse der Bilder, welche den Blåhaj immer wieder im Kontext von LGBTQ+ verorten. Vermutlich hat sich die Community, die auf Social Media stark vertreten ist, den Blåhaj einfach nach und nach angeeignet. Apps wie Tiktok oder Instagram helfen insbesondere jungen Mitgliedern, ihre Identität zu entwickeln. „Kaum jemand ist so viel online wie queere und trans Personen. Einfach, um einen Zusammenhalt zu suchen“, sagt Lilischote.

Mittlerweile geht die Begeisterung über das Kuscheltier hinaus. On­line­an­bie­te­r*in­nen verkaufen Sticker, Anstecker oder T-Shirts mit einem Hai und der Trans-Flagge. „Wir möchten dazu beitragen, dass sich Mitglieder der LGBTQ+-Gemeinschaft willkommen, einbezogen und frei fühlen, sie selbst zu sein. Daher freut es uns, dass der Blåhaj zu einem Symbol der Community geworden ist“, erklärt Ikea Deutschland auf Anfrage. Der Konzern kommunizierte schon früher eine offene Haltung gegenüber der Community. 1994 zeigte Ikea den ersten Werbespot in den USA, der ein offen homosexuelles Paar darstellt.

Doch nicht immer war das Unternehmen so LGBTQ+-freundlich. 2006 veröffentlichte Ikea in Frankreich einen Werbespot, der mit einem transfeindlichen Klischee warb. 2013 gab es einen weiteren Werbespot in Thailand, der für die stereotype Darstellung einer trans Person kritisiert wurde.

Ein fragwürdiger Produktionsstandort

In den letzten Jahren zelebriert Ikea selbst den Blåhaj als Symbol der queeren Community. Er tauchte etwa in einer Kampagne in der Schweiz auf, als das Land im September 2021 über die Ehe für alle abstimmte. Im November 2022 produzierte Ikea Kanada Blåhaj-Stofftiere mit blauen, rosa und weißen Streifen wie die auf der Trans-Flagge und verschenkte sie an trans Menschen.

Produzieren lässt Ikea den Blåhaj allerdings unter anderem in Indonesien. Im Westen des Landes, in der islamisch-fundamentalistischen Provinz Aceh, ist Homosexualität verboten. Verstöße werden mit Auspeitschen oder Gefängnis bestraft. Auch trans Menschen werden dort diskriminiert: 2018 wurden zwölf trans Frauen festgenommen. Die Polizei rasierte ihnen den Kopf, schlug und demütigte sie.

Dass ein Symbol für die trans Community ausgerechnet dort hergestellt wird, hat Aktivistin Lilischote nicht gewusst. „Eine bittere Realität im Kapitalismus“, sagt sie. „Ein bisschen naiv würde ich mir vom Blåhaj da eine transformative Wirkung wünschen.“

Es sei wichtig, diese globalen Machtverhältnisse zu erkennen, sagt Dean Cooper-Cunningham. Das bedeute aber nicht, dass man Symbole wie den Blåhaj nicht zelebrieren kann. Ganz im Gegenteil. „Ein Weg, mit Transfeindlichkeit umzugehen, ist, diese Memes zu teilen und einfach Spaß damit zu haben.“ Man sollte betonen, dass queeres Leben nicht nur von düsteren und traurigen Momenten geprägt ist, sagt Cooper-Cunningham. „Es gibt Momente der Freude, Liebe und Gemeinschaft.“

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