Ein Jahr nach Wahl in Belarus: Wieder regiert die Angst
Ein Jahr nach der Wahl ist der belarussische Staatschef Alexander Lukaschenko immer noch an der Macht. Von Protesten ist nichts mehr zu sehen.
„Wir haben die Prüfung unserer nationalen Einheit bestanden“, erklärte er. Schließlich hätten es die Belarussen geschafft, in ihrem Bemühen um Frieden in der Heimat die Gesellschaft zu konsolidieren. Gleichzeitig beschuldigte er die Behörden der Ukraine, Waffen nach Belarus geschafft zu haben.
Der seit 1994 regierende Lukaschenko war am 9. August 2020 mit gut 80 Prozent der Stimmen gewählt worden, behauptete die von Lukaschenko eingesetzt staatliche Wahlkommission. Demgegenüber sah die Opposition ihre Kandidatin Swetlana Tichanowskaja mit einer absoluten Mehrheit als Gewinnerin dieser Wahl. In den folgenden Monaten kam es zu Demonstrationen und Aktionen gegen das Regime Lukaschenko. Heute ist dieser Widerstand weitgehend gebrochen, alle Mitglieder des Präsidiums des Koordinierungsrates der Opposition sind entweder im Ausland oder in Haft.
Ganz anders fiel die Bilanz von Swetlana Tichanowskaja aus. Bei einem Briefing im litauischen Außenministerium betonte sie, dass Belarus für den Machterhalt von Lukaschenko einen hohen Preis bezahle. „Die Krise wird erst dann gelöst werden, wenn alle politischen Gefangenen frei sind und neue demokratische Präsidentschaftswahlen unter Beteiligung internationaler Beobachter durchgeführt werden.“
Vernichtender Rückblick
610 Menschen seien derzeit zu Unrecht in belarussischen Gefängnissen, schreibt die Menschenrechtsorganisation Wjasna. Unter diesen ist auch der Vorsitzende von Wjasna, Ales Bialiatski. Er hatte für die Menschenrechtsarbeit von Wjasna 2020 den alternativen Nobelpreis erhalten.
Vernichtend auch der Rückblick auf das vergangene Jahr von der Belarussischen Journalistenvereinigung BAZ. Seit August vergangenen Jahres seien über hundert Internetportale blockiert worden, zehn Publikationen mussten gänzlich eingestellt werden.
Die Stimmung sei gedrückt, berichtet die Minsker Radioingenieurin Alexandra Kondratiewa der taz am Telefon. „Die Menschen haben Angst.“ Zwar habe es Aufrufe gegeben, am 9. August mit einer weißen Armbinde auf die Straße zu gehen. Aber den ganzen Tag habe sie niemanden mit dieser Binde gesehen. „Überall diese Videokameras. Wenn du ein weißes Band trägst, kannst du sicher sein, dass das gefilmt und gespeichert wird. Wenig später hast du deinen Prozess.“ Derzeit wolle niemand eine Festnahme riskieren. „Wir warten und hoffen.“
Genau darauf setze Lukaschenko, so Kondratiewa. „Wir werden immer wieder mit Versprechungen von einer neuen Verfassung oder Neuwahlen hingehalten. Doch ein konkretes Datum, wann das sein soll, nennt Lukaschenko nicht“, beklagt sich die Minskerin. Momentan würden Geschäftsleute drangsaliert, so Kondratiewa. Der Grund sei einfach: Das Regime brauche Geld. „Irgendwie muss dieser ganze Unterdrückungsapparat finanziert werden. Aus dem Westen kommt nichts mehr. Putin stellt, wenn er Geld gibt, Bedingungen.“
Keine Eile
Russland wolle offensichtlich eine noch größere Annäherung von Russland und Belarus. In einem gemeinsamen Staat gebe es jedoch keinen Platz für Lukaschenko. Und deswegen lege der keine Eile an den Tag, wenn es um eine weitere Annäherung an Russland geht, analysiert Kondratiewa.
In jüngster Zeit habe es viele Kontrollen von Firmen gegeben. Und die würden nicht von der Steuerbehörde durchgeführt, sondern vom KGB. „Bei diesen Kontrollen wird den Geschäftsleuten unmissverständlich zu verstehen gegeben: Entweder ihr bezahlt uns bestimmte Summen oder ihr wandert ins Gefängnis.“
In der ukrainischen Hauptstadt Kiew gedachten an Sonntagabend über hundert Menschen, vorwiegend Emigranten aus Belarus, der Opfer der Diktatur in ihrer Heimat. Dabei wurden Postkarten verteilt, die man an politische Gefangene schicken soll. Bei der Veranstaltung kam es auch zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Anarchisten und ukrainischen Nationalisten.
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