Ein Jahr Tsipras an der Macht: Der revolutionäre Seiltänzer

Das Image von Alexis Tsipras ist ein Jahr nach seinem fulminanten Wahlsieg angekratzt. Trotzdem hat er bislang jede Politwende verkraftet.

Porträt Tsipras

Auf Zickzackkurs: Alexis Tsipras. Foto: dpa

ATHEN taz | „Tsipras feiert Geburtstag“, titeln sämtliche Blätter in Athen und fragen sich, ob es wirklich etwas zu feiern gibt. Freilich geht es nicht um den echten Geburtstag des Premiers, sondern um den Jahrestag der Amtsübernahme von Alexis Tsipras. Am Sonntag, den 25. Januar 2015 überraschte der junge Charismatiker selbst eingefleischte Anhänger mit seinem fulminanten Wahlsieg über den Chef der Konservativen, Antonis Samaras. Nur knapp verfehlte er die absolute Mehrheit im Parlament.

Gleich am nächsten Tag sorgte der Mann der Stunde jedoch für eine weitere, eher unangenehme Überraschung: Im Eilverfahren koalierte der Hoffnungsträger der Linken mit dem europaskeptischen Rechtspopulisten Panos Kammenos und erweckte dadurch den Eindruck, seine unheilige Links-rechts-Allianz sei lange vor der Wahl im stillen Kämmerlein abgesprochen worden.

Schwamm drüber, die Sehnsucht nach einem politischen Neustart war damals zu groß, um sich mit solchen Petitessen aufzuhalten. „Die Hoffnung kommt“, lautete der Wahlslogan von Tsipras, und damit war vor allem die Hoffnung vieler Menschen auf eine vernünftige Alternative zur Sparpolitik gemeint. Mit jedem Versuch, eine Lockerung des Sparkurses mit Hinweis auf die „demokratische Entscheidung“ der griechischen Wähler zu erreichen, biss Tsipras bei den Geldgebern auf Granit. Das war aber auch zu erwarten.

Tsipras und sein Finanzminister Gianis Varoufakis versuchten, die Karten neu zu mischen und verhielten sich unberechenbar. Es folgten Bekenntnisse zur Zusammenarbeit samt Sticheleien gegen die EU-Partner, Androhungen der Nichtzahlung gegenüber dem IWF und die hastige Suche nach Verbündeten in Russland und Lateinamerika. In der letzten Juniwoche erreichte das griechische Drama seinen Höhepunkt.

Hat Alexis Tsipras vor der Realität kapituliert oder hat er die Wähler verraten?

Wenige Stunden nachdem Finanzminister Varoufakis Spekulationen über eine Währungsumstellung und Beschränkungen im Kapitalverkehr dementiert hatte, verhängte Premier Tsipras Kapitalkontrollen und setzte ein Referendum zur Sparpolitik an. Das darauffolgende Nein der Wähler wurde ignoriert, Tsipras brachte daraufhin doch noch ein neues Abkommen mit den Geldgebern Griechenlands zustande.

Noch kann niemand mit Sicherheit sagen, ob dieser Zickzackkurs Taktik oder Hilflosigkeit war; ob Tsipras vor der Realität kapitulierte oder die Wähler verraten hat. Ein angeblicher Insider hat die Ereignisse jener Zeit in der griechischen Presse wie folgt beschrieben: Nach der Einführung von Kapitalkontrollen säßen die wichtigen Köpfe der Regierung am Tisch und warteten gespannt auf die Öffnung der asiatischen Börsen in der Nacht zum Montag.

Zurückrudern, aber schnell

Die erhoffte Talfahrt würde den Geldgebern vor Augen führen, dass Griechenland geholfen werden müsse. Doch nichts dergleichen passierte, die Märkte reagierten moderat, und das sei ein Zeichen für Athen gewesen: Zurückrudern, aber schnell.

Selbst politische Gegner bescheinigen Tsipras heute eine ehrliche Wende zum Realismus – allerdings nur, um behaupten zu können, damit verfolge der Premier letzten Endes die Sparpolitik seiner Vorgänger. Das stimmt so nicht: Tsipras will Sozialmaßnahmen, die er derzeit allerdings nicht finanzieren kann. Zudem hat er oft genug andeuten lassen, dass die griechische Verhandlungsposition eher akzeptiert würde, wenn sich die Machtverhältnisse in Europa verschöben; eine interessante Aussage angesichts der Linkswende in Portugal und eventuell auch in Spanien.

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