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Ein Jahr Flutkatastrophe im AhrtalSchutz in der Klimakrise

Eine Pflichtversicherung gegen Überschwemmung könnte verhindern, dass nach Flutkatastrophen wie an der Ahr Opfer vor dem finanziellen Nichts stehen.

Im Juli 2021 tritt die Ahr über seine Ufer und überschwemmte ganze Ortschaften Foto: Christoph Hardt/reuters

Noch immer ist die Lage im Ahrtal und anderen Gebieten, in denen die Flutkatastrophe vor einem Jahr gewütet hat, dramatisch. Menschen leben in provisorischen Behausungen, Wege sind nicht passierbar, die Schneise der Zerstörung ist weiterhin sichtbar. Menschen, die versichert waren, haben immerhin die Hoffnung, die materiellen Schäden früher oder später ersetzt zu bekommen. Die vielen anderen müssen schauen, wer ihnen hilft. Auch wenn es anders versprochen wurde, läuft die staatliche Hilfe schleppend.

Wenigsten das sollte nicht noch einmal geschehen: dass Menschen nach so einer Katastrophe ohne einen Anspruch auf Entschädigung vor dem Nichts stehen und zu den schlimmen seelischen Belastungen ein finanzielles Fiasko kommt. Mit einer Pflichtversicherung wäre das möglich. Vorbeugung ist wichtig. Kli­ma­for­sche­r:in­nen warnen davor, dass sich so ein Desaster wie in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli wiederholen könnte.

Die Flutkatastrophe hat mehr als 180 Menschen das Leben gekostet und einen materiellen Schaden von schätzungsweise 33 Milliarden Euro angerichtet. Nur ein Teil war davon versichert. Die Versicherer haben bislang rund 5 Milliarden Euro gezahlt. Ein Viertel der gemeldeten 213.000 Versicherungsfälle ist noch offen, immense weitere 3,5 Milliarden Euro warten auf Auszahlung.

Diese Verzögerung liegt am Handwerker- und Materialmangel, sagen die Versicherer. Denn sie zahlen oft die Rechnungen für den Wiederaufbau und überweisen den Opfern nicht einfach die komplette Versicherungssumme – was immerhin den Vorteil hat, dass die Unternehmen das Inflationsrisiko tragen.

Nachfrage geht zurück

Viele, die versichert gewesen sind, sitzen also noch auf ihren Schäden. Und etliche von ihnen werden hart mit ihrem Versicherer ringen, denn die Gesellschaften haben nichts zu verschenken. Trotzdem geht es ihnen besser als jenen, die nicht versichert waren. Im Katastrophengebiet hatte nicht einmal je­de:r zweite Woh­nungs­ei­gen­tü­me­r:in Versicherungsschutz. Die Unternehmen zahlen nur, wenn Kun­d:in­nen einen sogenannten Elementar-Zusatzschutz für die Wohngebäude- und Hausratpolice abgeschlossen haben. Nur dann bekommen Kun­d:in­nen den Schaden an Haus oder Hausrat ersetzt, der durch Überflutung, Starkregen, Schneedruck oder Erdbeben entsteht.

Versicherungen werden nie gegen alle Gefahren abgeschlossen, sondern nur gegen die, die im Vertrag ausdrücklich aufgeführt sind. In Zeiten der Klimakrise können überall Starkregen und Überflutungen auftreten – das bedeutet, dass je­de:r Haus­be­sit­ze­r:in und Haushalt so einen Schutz braucht.

Das ist nicht jedem klar – und wer in möglichen Überflutungsgebieten lebt, muss für den Zusatz sehr viel zahlen oder findet keinen Versicherer. In Deutschland hat gerade einmal die Hälfte der Hausbesitzer einen Elementarschutz. In Rheinland-Pfalz, wo das Ahrtal liegt, sind es 42 Prozent. Nach der Flutkatastrophe ist bundesweit die Nachfrage nach dem Zusatz gestiegen. Zwischen Oktober und Dezember 2021 haben rund 400.000 Kun­d:in­nen den Elementarschutz abgeschlossen, vor der Katastrophe waren es rund 100.000 im Quartal. Doch nach und nach geht die Nachfrage wieder zurück.

Verbraucherschützer fordern seit Langem eine Elementarschutz-Pflichtversicherung, mehrere Bundesländer unterstützen das. In Baden-Württemberg gab es bis 1994 so ein Obligatorium, es ist mit der Liberalisierung des Versicherungsmarktes verschwunden. Bis heute haben dort noch 94 Prozent der Gebäude einen Elementarschutz.

Folgen der Klimakrise

Zuletzt haben die Jus­tiz­mi­nis­te­r:in­nen der Länder Anfang Juni über eine Pflichtversicherung diskutiert und dem Bund immerhin einen Prüfauftrag erteilt. Jetzt liegt der Ball bei Justizminister Marco Buschmann (FDP). Was ihn davon abhalten könnte, das Vorhaben zu forcieren: Die Unternehmen lehnen einen obligatorischen Schutz ab. „Eine Pflichtversicherung allein verhindert keinen Schaden.

Wenn wir Prävention und Klimafolgenanpassung vernachlässigen, wird der Klimawandel eine Spirale aus steigenden Schäden und steigenden Prämien in Gang setzen“, sagt Jörg Asmussen, Hauptgeschäftsführer Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft.

Würde jemand, der eine Überflutung verhindern kann, darauf verzichten, weil er oder sie versichert ist? Wohl kaum

Würde jemand, der eine Überflutung verhindern kann, darauf verzichten, weil er oder sie versichert ist? Wohl kaum. Und wie sollen Haus­be­sit­ze­r:in­nen sich davor schützen, dass das Wasser bis in den ersten Stock steigt? Was allerdings richtig ist: Schutzmaßnahmen vor den Folgen der Klimakrise kommen viel zu langsam voran. Vielen Opfern der Flutkatastrophe vor einem Jahr war nicht klar, dass sie in einem Risikogebiet leben.

Auch heute machen sich viele Menschen nicht bewusst, dass extreme Wetterereignisse ein existenzielles Problem für je­de:n werden können. Jederzeit. Auch deshalb sind nicht nur individuelle Lösungen für den Umgang mit den Folgen gefragt, sondern auch und gerade politische.

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1 Kommentar

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  • Wir leben mitten im Flutgebiet, allerdings auf einer Hochebene in einem Haus, das damals in den 70ern mit einem sehr guten Drainagesystem versehen wurde. Wie fast alle anderen im Dorf sind wir nicht gegen Überschwemmung/Starkregen versichert. Wir hatten während der Katastrophe keinen Tropfen Wasser im Keller oder anderswo im Haus, was uns zeigt, dass unsere Risikobewertung zumindest in dem Punkt nicht ganz falsch war. Eine teure Pflichtversicherung gegen ein Risiko, das bei uns nachweislich nicht wirklich besteht wäre rausgeworfenes Geld, das wir im Moment nicht haben; unsere normale Gebäudeversicherung ist seit dem letzten Jahr schon um 30% teurer geworden (ohne Begründung...) und der Hebesatz unserer Kommune liegt bei über 900% und ich befürchte, die anstehende Neuberechnung wird die Grundsteuern noch weiter ansteigen lassen. Heißt, Bude verkaufen und wieder zur Miete wohnen?



    Für mich persönlich wäre eine solche Pflichtversicherung eine Katastrophe. Es sei denn, die Versicherer würden unser Risiko fair bewerten und die Beiträge entsprechend niedrig ansetzen, aber damit rechne ich nicht.