Ein Comic sorgt für Freiraum: Bremen als Wille und Vorstellung
Maximilian Hillerzeder nutzt die nähe von Hansestadt und Wüste für einen Experimental-Comic zwischen MAD und Magie.
Ganz in diese erzählerische Tradition hat sich Maximilian Hillerzeder gestellt mit seinem Werk „als ich mal plötzlich in der wüste gewesen bin“: Denn von der Wüste aus liegt Bremen gleich hinter dem Felsen, der aussieht wie.... naja. Lassen wir das.
Hillerzeders Comic ist von nachgerade strenger Paralogie. Der Rausch kann darin als das vielleicht größte Zugeständnis an Konventionen realistischen Erzählens gelten: Um Hillerkiller, alter Ego des Autors, das sich, wie im Titel angedeutet, aus ungeklärter Ursache plötzlich in der Wüste befindet, bildet sich eine Heldenreise-Gruppe aus Fran und einem enigmatischen Mexikaners, der , der stets eine blau-rot-gemusterte Strick-Sturmhaube trägt, als wäre er ein Pussy-Riot Mitglied ehrenhalber. Der Mexikaner braucht ein Boot, und natürlich soll Hillerkiller es ihm beschaffen, der immerhin einen Sandzauber beherrscht und sich durch youtube-Tutorials einschlägig fortgebildet hat.
Also begeben sich die drei, unter anderem mit einem Plan der Bremer Pyramide, auf die Suche nach den nötigen okkulten Skills, denn, wie der Hillerkiller feststellt, ein Boot bauen – „das ist echt Heavy Magig.“
Die narkotische Funktion erfüllen hier mal im Grabpalast von König Pillermann dem Ersten per Wasserpfeife konsumierte Seelen, mal aber auch der „ekelhaftetste Drink, der da ist“. Den bestellt Hillerkiller, beim Barman des „Sospechoso“ – das heißt verdächtig – kaum hat er die Schwingtüren des Saloons aufgestoßen. Klar, dieses Sospechoso kommt echten Bremer*innen bekannt vor. Es ist aber nicht die Kneipe, an die sie jetzt alle denken.
„Oh, Bremen“, ruft Hillerkiller aus, bevor er eintritt, und mystifiziert den Spielort, „Stadt maritimer Legenden!“ Die Bar, in der der Hauptheld auf den Mexikaner trifft, scheint mitten im Herzen Bremens zu liegen, in „diesem Rattenloch deutscher Provinz“, wie er sagt – und das ist nun mal das geläufigste Synonym für die Hansestadt an der Weser, die der Autor nach eigenem Bekunden bislang stets vermieden hat, zu besuchen. Aber am Ende ist hier nichts, wie es scheint.
Eine Welt des Scheins
Und da im Comic alles Schein ist, kann sich jeder ausrechnen, was das bedeutet: Hillerkiller ist trotz seiner Vlogger-Fortbildung noch nicht sehr weit mit der Entfaltung seiner Zauberkräfte gediehen, und das vermeintliche Bremen erweist sich als Nicht-Bremen. Nur verhüllen Müll und Dreck, den man dem echten Bremen halt zutraut, dessen wahren Charakter. Und Big Jay, der wahre Großmagier, der ein drittes Auge hat, bedient sich seiner: Dieser Ort ist Fake-Bremen.
Maximilian Hillerzeder: „als ich mal plötzlich in der wüste gewesen bin, teil 01“, Edition Kwimbi, 72 S., 12,99 Euro
Und in Fake-Bremen gibt es natürlich keinen Pokalraum, wie das Finale des ersten Teils enthüllt, der jetzt im Druck bei der Edition Kwimbi erschienen ist, während sich in Band zwei, der seit dem Sommer Woche für Woche im Web entsteht, die Einsicht breit macht, dass „Real-Bremen“ nunmehr außer aller Reichweite liegt. Und sich noch weiter entfernt: Vom Mexikaner ist zu diesem Zeitpunkt bloß noch die sanduhrenförmige Seele übrig geblieben, deren kugelige Glaskolben – wären nicht die Augen ihre Fenster? – an die Sehschlitzform der Strumpfmaske aufgreifen.
„Uns bleibt keine Zeit mehr, den Umweg über Real-Bremen zu nehmen“, konstatiert sie, als die Gefährten zur nächsten großen Etappe ihrer „abenteuerlichen Odyssey“ aufbrechen. „Die Sterne wandern unaufhörlich…“
Eine Erzählweise die das Kriterium der Folgerichtigkeit so folgerichtig abstreift und so klug Sehnsuchtsorte als ihre Spielorte bestimmt, hat etwas anderes vor, als bloß einen linearen Plot runterzureißen. Anatomische Genauigkeit, detailversessene altmeisterliche Tuschtechnik machen Hillerzeder keinen Spaß.
Stattdessen schafft er sich Freiräume für darstellerische Experimente – und nutzt sie, ohne dass sich so ohne weiteres klarziehen ließe, wozu das jetzt wieder gut ist: Okay, der gute Witz, mit einem Splash, einem ganzseitigen Panel, zu beginnen, das nur aus einer mit Rasterfolien-Schatten leicht belebten Abstufung von Gelb-, Braun- und Blautönen besteht – Wüste halt – ist schon mal erzählt worden.
Hergé hatte das Schwarze Quadrat bereits 1929 in seiner ersten Tintin-Erzählung aufgegriffen „Tim im Lande der Sowijets“, später entfaltet er „Tim in Tibet“ als regelrechte Symphonie in Weiß. Und vielleicht noch ikonischer sind die informationslosen weißen und schwarzen Kästchen, mit denen René Goscinny und Albert Uderzo einst „Die Große Überfahrt“ hatten beginnen lassen.
Ein Rinnstein durch die Nase
Aber selbst ein MAD-Meister Don Martin hat wohl nie mit einem Rinnstein – so heißt der Zwischenraum zwischen den Bildkästchen – das Gesicht einer Figur in der Mitte, dort wo sonst ihre Nase säße, geteilt, obwohl ihr das ermöglicht von links ins erste, von rechts ins zweite der beiden Panel zu schielen.
Hinzu kommt ein großes Repertoire an beiläufigen Anspielungen und Zitaten unterschiedlichster kultureller Herkunft und vermeintlicher Wertigkeit, von Herman Melvilles Bartleby bis zum Cover der Buggles-Single „Adventures of Modern Recording“, das die Titelseite aufgreift: Eine riesige Sonnenbrille schwebt über einer Wüstenlandschaft.
Wohin Hillerzeder damit will? Klar, nach Bremen. Aber sonst? Keine Ahnung, zum Glück. Die anarchische Experimentierlust ist so wichtig, gerade weil grafisches Erzählen besonders stark auf Stereotypen angewiesen ist, die Induktion – den Prozess des Wiedererkennens, die Lesbarkeit abstrahierter Personen und Gestalten-Zeichnungen, ihre mentale Vervollständigung aus Bruchstücken – erleichtern, wenn nicht ermöglichen. Und die dieses Medium für Sexismus und Rassismus besonders anfällig machen.
Sexismus sells
Das Spiel mit den Stereotypen, ihre experimentelle Subversion und Erweiterung hingegen schafft Raum für Figuren jenseits des Klischees, wie Fran – eine Person des dritten Geschlechts, die vermutlich eine Urenkelin der – von der französischen Comiczeichnerinnen-Bewegung für Gleichberechtigung zur Ikone gekürten – Olive Oyl aus E.C. Segars Popeye-Comics ist.
“…„, versucht, herrlich verdruckst, der Mexikaner am Steuer eines Jeeps diese Frage anzusprechen, „Sagen Sie mal –„, jedes Satzfragment, jede Floskel eine eigene Sprechblase, mit den anderen linkisch verdreht über die Panelgrenzen hinweg verbunden, „ ‚Fran‘“, adressiert er sie: „Sie haben ja offensichtlich Bartwuchs“ – Blick auf Frans Gesicht „und doch tragen Sie mal Hosen, mal Kleider und …“
Das Panel zeigt Frans Oberkörper. Unterm Kleid zeichnen sich spitze Brüste ab. „Also sie müssen zugeben, das ist verwirrend“, sagt der Strumpfmaskenkopf. „Ich meine, bei mir ist es z.B. klar! Jeder sieht sofort: Ich bin Mexikaner“. Und um das zu bekräftigen, damit es auch wirklich keine Missverständnisse gibt, ist in die Sprechblase ein wundervoll kümmerlicher Sombrero gezeichnet. Den der Mexikaner niemals trägt. „Ich finde das verwirrend“, sagt er. Und Bremen, egal ob real oder fake, war schon immer dafür da, diesen Zustand zu bewahren, der Freiheit heißt.
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