Ein Brief in die USA: Dear family, dear friends
Viele der US-amerikanischen Verwandten und Freunde unserer Autorin könnten Donald Trump wählen. Ein letzter Versuch, sie umzustimmen.
A us dem fernen Europa schreibe ich euch, weil wir hier in großer Sorge sind. In wenigen Tagen wählt ihr eine neue Präsidentin oder einen Präsidenten. Und das hat nicht nur Auswirkungen für euch, sondern für die ganze Welt.
Wir haben kaum je über Politik gesprochen. Das Thema zu vermeiden, ist eines eurer ungeschriebenen Gesetze, erst recht, seitdem das Misstrauen gegeneinander so allgegenwärtig ist, dass die einen sich im permanenten Bürgerkrieg wähnen und die anderen nur noch ihre Ruhe haben wollen. Man liest die Zeichen beim Gegenüber still und für sich. Nur manchmal sind sie so deutlich wie der Spruch auf deinem T-Shirt, Mike, um zu wissen, was Du vom Gedenktag zur Schwarzen Befreiung hältst: nämlich gar nichts. Und dass die Knie-Geste von Footballstar Colin Kaepernick für dich nichts anderes ist als Landesverrat. Denn knien darf man deiner Meinung nach nur vor dem Kreuz.
Zu euren ungeschriebenen Gesetzen gehört, dass man nicht einfach ein Stück Rasen betritt, nur weil kein Zaun drumherum steht. Wir haben etwas gebraucht, um das zu begreifen, als wir vor ein paar Jahren für eine Weile nach North Carolina gezogen sind. Um näher an der Familie zu sein und ein anderes Leben kennenzulernen. Zum Glück habt ihr, Randy und Ellen, gelassen reagiert, als unsere Kinder anfangs einfach in euren Garten hineinspaziert sind. Und immer weiter liefen, bis auf dem übernächsten Grundstück der unsichtbare Stacheldraht von Kenny ihnen einen kleinen Stromschlag versetzt hat.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Wir haben den Kindern dann eindringlich erklärt, dass sie sich von Kenny fernhalten sollten, dessen sieben Kinder man nie außerhalb des Hauses sieht und von dem man weiß, dass er ein Waffennarr ist. Später sind wir dann zu Kennys Haus. Und so wie er sofort zugänglich wurde, als wir bei ihm geklingelt und uns vorgestellt haben. Er würde sicher nicht auf uns oder auf unsere Kinder schießen. Wir waren einander begegnet, haben Sorgen und Haltungen ausgetauscht, und in den USA reicht das manchmal, um zu sagen, dass man Freunde geworden ist.
Trotzdem bin ich nicht sicher, ob ihr diesen Brief als übergriffig empfindet. Aber ich muss es riskieren, denn es ist einfach so: Amerika ist fast überall. Die halbe Welt hört Taylor Swift, isst bei McDonald’s, telefoniert mit iPhones, in der halben Welt stehen eure Waffen. Selbst das kleinste Land im fernsten Asien fühlt sich sicher vor räuberischen Angriffen, solange es unter US-amerikanischem Schutz steht. Wie bewusst ist euch, dass die halbe Welt sich auf euch verlässt?
Ich weiß, euch ist nicht egal, was bei uns in Europa geschieht
Als wir vor mehr als zwei Jahren nach Amerika kamen, brach ein Krieg in Europa aus. Viele von euch hissten in Solidarität ukrainische Flaggen. Euer Land stellte sich sofort an die Seite des angegriffenen Staates und Waffen zur Verteidigung gegen Putin bereit. Ich habe damals zu euch gesagt, wie froh ich sei, dass Joe Biden gerade Präsident der USA ist – und nicht Trump. Das war schon damals schockierend direkt für euch und ihr habt erschrocken geschwiegen. Aber ihr habt auch zugehört. Das ist auch jetzt meine Hoffnung: Dass ich euch mit meiner Sorge erreichen kann.
Ich weiß, euch ist nicht egal, was bei uns in Europa geschieht, wie es den Menschen geht. Ihr liebt Prag, München und Paris, Ihr liebt Italien. Aber ihr wisst wenig Bescheid, wir sind eben weit weg. Und ich glaube, ihr ahnt vielleicht nicht, was es für uns bedeuten könnte, wenn Donald Trump am 5. November die Wahlen gewinnt.
Einige von euch glauben, dass Putin sich nie getraut hätte, sein Nachbarland anzugreifen, wenn Trump noch an der Macht gewesen wäre. Eric, du wolltest es mir sogar beweisen, mit dem Videoclip vom dominanten Handshake Trumps mit Putin. Du bist ja auch nach D. C. gefahren am 6. Januar 2021. Du glaubtest, dass Trumps Präsidentschaft von Strippenziehern im Hintergrund verhindert werden sollte. Trump sei diesen Verschwörern ein Dorn im Auge, weil er unberechenbar und unkontrollierbar ist. Weil er angeblich frei heraus sagt, was er denkt. Also bist du, Eric, zur vermeintlichen Verteidigung der Demokratie geeilt.
Inzwischen haben Gerichte viele von denen verurteilt, die damals dabei waren. Der Sturm aufs Kapitol wird ziemlich einhellig als Angriff auf die Demokratie gewertet. Trotzdem ist Trump nach wie vor sehr beliebt und auch viele von euch werden ihn wieder wählen. Und dann? Mal abgesehen von seinem Plan, die USA zu entdemokratisieren, den Umweltschutz um viele Jahre zurückzuwerfen und zuzulassen, dass Millionen von Frauen keinen Zugang mehr zu Abtreibung haben – alles Dinge, unter denen ihr dann zu leiden haben werdet – es geht auch um uns!
Putin träumt von Warschau, er träumt von Berlin
Trump hat Anfang dieses Jahres gesagt, er als Präsident würde der Ukraine jede Hilfe entziehen und sie Putin ausliefern. Manche hoffen damit, einem schnellen Kriegsende nahezukommen. Aber was wäre das für ein Frieden? Wir wissen, dass die russische Armee dort, wo sie hinkommt, Zivilisten foltert und tötet, hunderttausende Kinder entführt hat und Dörfer dem Erdboden gleichmacht. Das wissen wir, weil es schon geschieht und es Beweise dafür gibt. Für euch ist es eine heilige Pflicht, euch und eure Familien gegen jeden Eindringling verteidigen zu können. Euch kann nicht egal sein, was in der Ukraine passiert!
Sollte Trump seine Außenpolitik so gestalten, wie er es ankündigt – und davon sollten wir ausgehen – dann könnte die Ukraine in wenigen Wochen komplett in russischer Hand sein. Und Putin wird sich damit kaum zufriedengeben. Er träumt von Warschau, er träumt von Berlin.
70 Millionen Menschenleben hat der deutsche Faschismus gekostet, Europa lag nach dem Zweiten Weltkrieg in Schutt und Asche. Viele eurer Väter oder Großväter meldeten sich damals freiwillig, als sich Amerika endlich entschlossen hatte, einzugreifen. Und damit den Kontinent von den Nazis befreite. Es hatte auch damals schon Sympathisanten von Hitler in eurem Land gegeben, die nicht wollten, dass die USA sich einmischten. Sie würden heute Trump wählen.
Ihr glaubt mir nicht? Haltet all das für Propaganda von Linksradikalen? Erin, du hast mir gesagt, du vertraust niemandem mehr. Hast dich von einer engagierten Liberalen zu einer unpolitischen Frau gewandelt. Denn mittlerweile glaubst du, dass sie alle lügen. Dieses Misstrauen in die Politik, in den Staat und seine Institutionen – ich habe nie verstanden, wie ihr Facebook, Google und anderen Konzernen in blindem Glauben all eure Daten zur Verfügung stellen könnt, nur um bei Food Lion 15 Prozent off für den Einkauf zu bekommen. Aber gleichzeitig sämtlichen Behörden unterstellt, sie würden euch kontrollieren wollen!
Es geht um den Frieden in Europa und in der ganzen Welt
Was ich wiederum verstehe: Ihr seid es gewohnt, euch um eure eigenen Probleme zu kümmern. Wenn die Sirenen heulen, weil sich ein Hurrikan nähert, so wie kürzlich in North Carolina: Wer hievt hinterher die umgekrachten Bäume von euren Autos? Repariert die Telefonleitung? Räumt die Straßen wieder frei, pumpt das Wasser ab? Wohl kaum der Staat, sondern ihr selbst.
Eure Hilfsbereitschaft kann grenzenlos sein, aber ihr habt auch Angst, den Falschen zu vertrauen. Kein Wunder, denn in Amerika bewegt man sich stets nah am Abgrund, es gibt nur zwei Extreme: Entweder es geht euch richtig gut und ihr könnt mit 50 in Rente gehen, so wie Mike. Oder ihr müsst immer weiter arbeiten, um die Miete und eure Schulden bezahlen zu können, so wie Bill. Der hat nicht einmal mehr ein Auto, seit er sich nach einem Arbeitsunfall einer teuren Operation unterziehen musste.
Bill läuft jetzt die fünf Meilen zu seiner Kirche und wieder zurück, viele von euch fahren an ihm vorbei, anstatt ihn mitzunehmen. Elend könnte ansteckend sein und Vertrauen den Lebensstandard kosten. Angst ist allgegenwärtig und die einen begegnen ihr mit Aggressivität und die anderen schauen weg. Und deshalb glaubt ihr, ihr müsstet euch abschotten, weil sonst Einwanderer kommen, um eure Hunde und Katzen zu essen.
Viele von euch wollen am 5. November Trump wählen. Weil ihr die Demokraten hasst. Weil ihr weniger Steuern zahlen wollt. Weil ihr Angst habt, dass eure Kinder in den Schulen die falschen Werte mitbekommen. Aber diesmal geht es nicht nur um Steuern oder Critical Whiteness oder um das Waffenrecht. Es geht um den Frieden in Europa und in der ganzen Welt.
Denkt daran, dass auch ihr mal die Kettensäge eures Nachbarn brauchen könntet. Seid bei der Wahl so großherzig, wie wir euch kennen. Und gebt eure Stimme nicht denen, die in euch Misstrauen, Egoismus und Hass erzeugen. Ihr könntet es bereuen.
Sunny Riedel, 43, hat mit Mann und Kindern 2022 einige Zeit in einem Dorf in North Carolina, nahe der Familie ihres Mannes, gelebt. Weit außerhalb ihrer Berliner Blase traf sie auf viele Widersprüche, etwa, dass die nettesten Leute oft die größten Trump-Fans sind.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Preise fürs Parken in der Schweiz
Fettes Auto, fette Gebühr
Rekordhoch beim Kirchenasyl – ein FAQ
Der Staat, die Kirchen und das Asyl