Ein „BaumEntscheid“ soll's richten: Einfach mal machen?
Ein „BaumEntscheid“ soll das Berliner Stadtgrün retten und die Stadt klimafest machen. Dass die Initiative so unvermittelt kommt, wirft Fragen auf.
W oran ist der Volksentscheid „Berlin 2030 klimaneutral“ im Frühjahr gescheitert? Dass seine Forderungen zu abstrakt waren. Was hingegen ist zum Anfassen konkret, wird von den BerlinerInnen geliebt und eignet sich darum deutlich besser für ein Volkgesetzgebungs-Projekt? Ein Baum. Das ist die Logik hinter der Initiative BaumEntscheid, die in der vergangenen Woche einen Aufschlag gemacht, Ziele und Zeitplan präsentiert hat.
Der Forderungskatalog, den Rad-Entscheid-Initiator Heinrich Strößenreuther zusammen mit Génica Schäfgen von der „grünen Suchmaschine“ Ecosia und Julian Zuber von GermanZero präsentierte, ist so sinnvoll wie radikal. Die Stadt muss für die anstehenden Klimaveränderungen „wetterfest“ gemacht werden, so das eingängige Motto des BaumEntscheids, sie braucht mehr und gesichertes Stadtgrün und sie muss nachhaltig mit der Ressource Wasser umgehen, sodass auch bei steigenden Temperaturen, langen Trockenheitsperioden und häufigeren Extremwetter-Ereignissen ein halbwegs gesundes Leben in dieser Stadt möglich ist.
Dabei setzt Strößenreuther, zweifellos die treibende Kraft hinter dem Projekt, wie schon beim Radgesetz, das er 2015 konzipierte, auf klar überprüfbare Zielwerte – wobei die konkreten Zahlen noch fehlen. Soundsoviele Bäume müssen jährlich gepflanzt werden, um soundsoviel Prozent muss das „Berliner Grünvolumen“ wachsen, soundsoviel „Baum-/Schattenvolumen“ sollen alle BerlinerInnen maximal 50 Meter von ihren Wohnungen entfernt vorfinden. Derart viel Präzision soll verhindern, dass das angestrebte Gesetz am Ende den Charakter einer besseren Absichtserklärung hat, was ja oft genug vorkommt.
Allein das klingt für heutige Verhältnisse reichlich utopisch, noch einen Level höher aber schrauben die InitiatorInnen es mit Forderungen wie der, dass Bäume und Grünflächen künftig von den Landesdenkmalbehörden geschützt werden – oder dass Bauträger erst dann Bäume für ihre Projekte fällen dürfen, wenn sie in allernächster Nähe neue gepflanzt und für deren gesundes Anwachsen gesorgt haben. Was im Prinzip völlig nachvollziehbar klingt, wäre für die Metropole mit ihren Wachstumsnöten und ihrer starken Baulobby eine regelrechte Revolution.
Kann die Bevölkerung so etwas durchdrücken, wenn die Parteien es schon nicht hinkriegen? Zusätzlich zu der Legion an Forderungen, die das Positionspapier des Baumentscheids enthält, und die das 5- oder 10-Milliarden-Klimasondervermögen des CDU-SPD-Senats sehr schnell sehr alt aussehen lassen würden? Nach dem Erfolg von „Deutsche Wohnen und Co. Enteignen“ – warum nicht? Klar ist aber auch, dass die Landesregierung und die sie tragende Koalition im Vorfeld mit vollen politischen und juristischen Rohren auf die Initiative schießen werden, sollte sie Gestalt annehmen.
Offene Fragen
Es stellen sich aber noch mehr Fragen. Zum Beispiel, ob es wirklich zielführend und nötig ist, ein „Baum-Gesetz“ derart voll zu packen – bis hin zur Ausstattung der Feuerwehr oder der beschleunigten Digitalisierung der Verwaltung (und der natürlich löblichen Forderung, alle Berliner Gewässer so sauber zu machen, das „gesundheitlich unbedenklich“ in ihnen geschwommen werden kann – aber wer Heinrich Strößenreuther kennt, weiß, dass er gerne mal zur Abkühlung in die Spree springt).
Und viel wichtiger noch: Was für ein Kalkül steckt hinter diesem Alleingang, der quasi aus dem Nichts kommt? Ohne dass die Initiative das mit den Verbänden und Organisationen abgesprochen hätte, die seit eh und je an diesen Themen arbeiten und sich im Übrigen selbst mit der Idee eines ganz ähnlichen Volksentscheids tragen?
Von BUND, Nabu, Naturfreunden und Co. kam zwar kein böses Wort, aber es ist trotzdem stark anzunehmen, dass die AktivistInnen von diesem Coup alles andere als begeistert sind. Ein Randaspekt, dass der Volksentscheid „Berlin autofrei“, der aktuell beim Berliner Verfassungsgericht geparkt ist, auf denselben Abstimmungstermin zur Bundestagswahl im September 2025 fallen könnte – mit unklaren Wechselwirkungen.
Warum machen die sowas? Ist es die Machermentalität von Heinrich Strößenreuther, der schon 2015/2016 keine Lust auf komplizierte Aushandlungsprozesse mit dem inhaltlich gespaltenen ADFC hatte und diesen stattdessen vor sich hertrieb? Sieht Ecosia, ein Unternehmen mit guten Absichten, aber bescheidenem Impact, die Chance, sich stärker ins Gespräch zu bringen?
Ersteres ist ziemlich offensichtlich, Letzteres nicht auszuschließen. In jedem Fall hat der Vorstoß die Verbände unter Zugzwang gesetzt. Das kann, muss aber nicht gut sein. Im schlimmsten Fall könnte es bei manchen zu entnervten Abwehrreaktionen führen und die Szene spalten. Bleibt die in Sachen Klima immer über allem schwebende Frage: Ist noch genug Zeit, um Befindlichkeiten zu klären und die Mitwirkung von AkteurInnen zu sortieren?
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