Ehrung für autonomes Zentrum: Preisgekrönte Linke
Das Osnabrücker Soziokultur-Zentrum „SubstAnZ“ ist Preisträger des Applaus-Awards 2023. Die schlechte Nachricht: Das Projekt ist gefährdet.
Der „Awareness“-Preis ist dabei der wichtigere, denn in den Hauptkategorien von „Applaus“ werden jedes Jahr Dutzende Preise vergeben – über 90 sind es diesmal. 18.000 Euro spülen die beiden Preise dem Substanz aufs Konto – deutlich mehr, als die Stadt Osnabrück ihm pro Jahr an Zuschuss zahlt. Geld, das es gut gebrauchen kann, denn im Herbst 2024 läuft sein Mietvertrag aus, und ein neues Objekt ist nicht in Sicht. Ideal wäre eine eigene Immobilie.
„Kann sein, dass es uns schon bald so nicht mehr gibt“, sagt Chris der taz. Das klingt düster. Die kämpferische, quadratmetergroße Botschaft „Squat The World“ direkt neben der Bühne, eine ironische Piraten-Adaption des Dreimasters des Hansa-Bier-Etiketts, käme dann auch weg.
Chris, Substanz-Aktivist der ersten Stunde, ist Roth in Hannover begegnet. „Wir waren überrascht und erfreut!“, sagt er über die Auszeichnung. Er weiß: Nicht alle SubstanzlerInnen sehen das so positiv. Sprüche wie „Deutschland du mieses Stück Spargel“ stehen hier an den Wänden.
Das Zentrum, rund 700 Quadratmeter groß, existiert seit 2009, getragen durch den gemeinnützigen Verein „Freundeskreis für ein selbstverwaltetes Zentrum, Bildung und Kultur“. Aber seine Geschichte reicht bis 1972 zurück. Damals besetzen Jugendliche nach einem Konzert, auf dem auch „Ton Steine Scherben“ spielen, ein leer stehendes Haus. Ein jahrzehntelanger Kampf um ein autonomes Zentrum beginnt, der Demos, Solikonzerte und Gerichtsprozesse nach sich zieht, auch weitere Besetzungen, Osnabrücks Ratssitzungssaal inklusive.
Ein Ort mit Geschichte
Dass das Substanz aus seinem Haus am Güterbahnhof ausziehen muss, ist ein unersetzlicher Verlust, denn es ist ein Ort mit Geschichte, ein Gesamtkunstwerk. Schwarztöne dominieren; das Erdgeschoss um Theke, Bühne, Kickertisch und Sofaecke hat heimeligen Höhlencharakter. Die Fenster sind beklebt, übermalt. Überall Sticker und Plakate, dicht an dicht.
Viele Nutzer haben hier Spuren hinterlassen. „Support your local girlgang not Polizeistaat“ steht auf einem Stück Pappkarton. Auf einer Treppenstufe steht „Alles für alle“. Das Antifa-Logo ist zu sehen, in Glitzergold. Auf Wänden stehen Sachen wie „No border, no nation“ und „Steine für die Schweine“, der Feminismus-Schlachtruf „Your body your choice, raise your voice“. Manches ist augenzwinkernd, vieles tiefernst. Es gibt Grenzen dafür, aber die sind weit.
Ein großes Regenbogen-Mural verkündet Passanten: „The 1st pride was a riot“. Vor zwei Fenstern flattert ein schwarzes Banner: „Wer gegen die Nazis kämpft, der kann sich auf den Staat überhaupt nicht verlassen“. Im Hof gibt es eine Open Wall – jeder kann hier sprayen. Die Regeln dafür stehen an einem Rolltor. „Auf dem war so viel Farbe drauf, das ließ sich schon gar nicht mehr öffnen“, lacht Substanz-Aktivistin Lu der taz. „Das mussten wir dann alles runterkratzen.“
Und dann erzählen Lu und Chris. Dass hier alles ehrenamtlich ist. Dass das günstigste Getränk 50 Cent kostet. Dass sich hier 20 Gruppen treffen, von queer bis migrantisch. Dass zu den Plena bis zu 40 Leute kommen. Dass hier jeden Donnerstag „Essen für Alle“ ist, Motto: „Gegen die kalten Verhältnisse, für das schöne Leben für alle“. Und dass hier niemand besondere Rechte hat, auch der Trägerverein nicht: über Bands, die gegen Kost und Logis auftreten. Über Vorträge und Workshops; über kontroverse Diskussionen bis zum Konsens; über die Punk- und die Flinta-Kneipe, über das Antifa-Café, das vegane Mitbringtreffen.
Das Zentrum versteht sich als „Freiraum“, als Ort für gesellschaftliche Veränderung, für emanzipatorische Politik. „Wir sind sehr empowernd“, beschreibt Lu. „Man kann sich hier viel erlauben.“ Eins allerdings nicht: diskriminierendes Verhalten. „Da gibt es keine Toleranz“, sagt Chris. Das steht auch gleich am Eingang: Antisemitismus, Sexismus, Homophobie, Rassismus, Faschismus und Fremdenfeindlichkeit haben hier keine Chance.
Unübersehbar ist auch, wofür das Substanz den Awareness-Preis bekommen hat. Überall hängt das Safe-Space-Konzept aus, sogar auf den Klos. Das Awareness-Team trägt gelbe Buttons – unübersehbar in einem Raum, der schon mit 50 Personen voll wirkt. Fotos und Videos, auch Selfies, sind nicht erlaubt. Und natürlich schreibt das Substanz Awareness so: „awAreness“. Das deckt sich mit dem Herzchen auf der Theke: Drüber steht „We“, drunter „Anarchie!“
„Man kann hier sorgloser feiern als anderswo“, sagt Lu. „Aber ein diskriminierungsfreier Raum ohne übergriffiges Verhalten sind auch wir nicht.“ Kommt es zum Konflikt, hat die Sicht der Betroffenen Priorität, ihre „Definitionsmacht“.
Arbeit an einer gerechteren Welt
Hinter der Theke gibt es einen Umsonstladen, von der Kleidung bis zum Buch. In Gruppenräumen liegen halbfertige Transparente. Auf einem Treppenabsatz stapeln sich Lautsprecherboxen. Ein Einhorn in Rosa ist zu sehen, ein gewaltiger Aufblas-Orca. Im skurrilen „Grünen Salon“ hängen superkitschige Ölbilder, die noch aus der Zeit des Vorbesitzers stammen.
Das Selbstverständnis des Substanz, an einer gerechteren Welt zu arbeiten, ein Ort dafür zu sein, „Protest zu organisieren“, wie Chris und Lu sagen, ruft natürlich auch Gegner auf den Plan. Der Stadtverband der örtlichen AfD sieht in ihm eine Quelle für ein „terroristisches linkes Netzwerk“ und forderte jüngst seine Schließung.
Die Solidarität, die das Zentrum danach erfuhr, war groß. Mit dabei: Nicole Verlage, Geschäftsführerin der DGB-Region Osnabrück-Emsland-Grafschaft Bentheim. Sie sprach von „Hass und Hetze“, von einer „ungeheuerlichen Attacke der gefährlichen Populisten von rechts und deren Ideologie“.
Aber auch ohne die AfD könnte dem Substanz bald das Aus drohen. Trotz seines kreativen, diskriminierungssensiblen Programms. Das wäre fatal. „Gerade jetzt“, sagt Staatsministerin Roth über die Preisträger, „brauchen wir solche Orte mehr denn je.“
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