Achtsamkeit auf Parties: Care-Arbeit im Technotaumel
Musik, Lichter, Menschen – alle sind glücklich, alle haben sich lieb. So einfach ist es nicht immer und dann helfen Awareness-Teams.
So frei, gar utopisch manche Feiermomente wirken können, so sind doch auch Tanzflächen nicht frei von gesellschaftlichen Machtverhältnissen. Wenn Alkohol und andere Drogen im Spiel sind, wird die Situation nicht leichter. Diskriminierung, übergriffiges Verhalten und sexualisierte Gewalt gehören leider zur Partywelt. Immer mehr Veranstalter*innen wollen aber etwas dagegen tun und Unterstützung anbieten: Awareness-Teams setzen sich für eine emanzipierte Party ein, auf der alle sich wohlfühlen können. Wer eine negative Erfahrung macht, kann sich an das Team wenden, das betroffene Personen unterstützt – sei es durch Gespräche, Betreuung oder konkrete Handlungen.
Der Begriff Awareness kommt aus dem Englischen und bedeutet Bewusstsein oder Wahrnehmung. Das Phänomen hat seine Wurzeln in feministischen und linksradikalen Kreisen. Dort kam Anita, die wegen der sensiblen Natur ihrer Arbeit wie alle ProtagonistInnen anonym bleiben möchte, zum ersten Mal damit in Kontakt: „Ich komme aus der Antifa-Szene und da gab es schon Ende der 1990er Jahre Awareness auf Partys. Aber da ging es meistens nur darum, dass man Leute rausschmeißt.“ Erst später begegnete die Mittdreißigerin das Thema Awareness wieder in der Technoszene und sah Bedarf: „Ein Festival ist auch ein Spiegel der Gesellschaft. Man fährt dorthin und denkt, alles ist ja tutti und alle haben sich lieb, aber gesellschaftliche Macht gibt man ja nicht beim Einlass ab.“
Vor fünf Jahren hat Anita auf Wunsch des Veranstalterkollektivs „Pyonen“ das Awareness-Team auf dem brandenburgischen Technofestival „Nation of Gondwana“ mit aufgebaut. „Safer Space“ heißt das Konzept dort. Safer,weil es keinen komplett sicheren Ort gebe. Zentrale des 25-köpfigen Teams ist ein durchgängig besetztes Zelt mitten auf dem Gelände mit Sofas und Tee – ein Rückzugsort inmitten des hedonistischen Getümmels. Dazu kommen zwei mobile Teams – besetzt mit jeweils zwei Personen und gekennzeichnet durch grüne T-Shirts oder Westen. „Es geht nicht darum, durch die Gegend zu rennen und die Partypolizei zu spielen, sondern wirklich mit dem Festivalgelände zu verschmelzen, damit die Leute wissen, wo sie die Awareness-Teams finden. Es geht um Empowerment.“
In einem Workshop im Vorfeld wird das Konzept besprochen, verschiedene Situationen werden durchgespielt. Zentral ist ein Betroffenenansatz, erklärt Anita. „Das heißt, dass wir nicht entscheiden, ob jemand einen Übergriff erlitten hat, sondern die betroffene Person selbst tut das. Das bestimmt dann das Handlungsleitbild für alle Entscheidungen danach, bis hin zu der Frage, ob die übergriffige Person das Gelände verlässt oder nicht.“ Ein eventueller Rausschmiss würde aber dann nur durch das Festival-Sicherheit-Team in Abstimmung mit den Veranstalter*innen erfolgen. In erster Linie ist das Team für die Betroffenen da. Umgekehrt greift das Awareness-Team manchmal auch nicht ein: „Klar gibt es auch Fälle, wo wir gern wenigstens einer Person eine Ansage machen würden, die Betroffenen das aber nicht wollen.“
Mit dem Konzept der Definitionsmacht stellt man sich konsequent hinter die betroffene Person. Nur diese definiert, was passiert ist. „Es geht nicht um Entscheidungshoheit, sondern darum, den Handlungsoptionen zu folgen, die Betroffene für sich in Anspruch nehmen. Und das ist schon ein ziemlich emanzipatorischer Ansatz. Gesellschaftlich läuft das ja anders. Im juristischen Kontext sieht man leider ganz häufig, wie Betroffene im Regen stehen gelassen werden.“
Ehrenamt oder Profis
Awareness ist aber auch eine Form von Care-Arbeit und wird viel zu oft, wie auch sonst im patriarchalischen Kapitalismus, von der Lohnarbeit entkoppelt und überwiegend von Frauen gemacht. Insofern ist die „Nation of Gondwana“ vorbildlich. „Als ich mit Awareness in einem linksradikalen Kontext angefangen habe, gab es nicht mal eine Getränkemarke dafür“, erinnert sich Anita. „Aber auf der Nation wurde es schon von Anfang an entlohnt, weil es genauso eine Arbeit ist wie hinter der Bar oder an der Tür.“ Zudem besteht das Team zu einem Drittel aus männlich gelesenen Personen.
Mittlerweile haben zahlreiche Festivals und Partyreihen eine Awareness-Struktur. Der Friedrichshainer „Mensch Meier“ ist allerdings bislang der erste Club der Hauptstadt mit einem eigenen festen Team vor Ort. Susu hat den linksalternativen Laden von Anfang an mitgestaltet, seit fünf Jahren ist die 34-Jährige auch im Kernkollektiv dabei. Im Mai 2018 initiierte die ausgebildete Sozialpädagogin in enger Zusammenarbeit mit den Türsteher*innen ein Awareness-Team. „Es wurde Gästen schon immer kommuniziert, dass sie sich an die Bars und Security wenden können, falls was ist. Insofern war Awareness immer Teil des Konzepts. Aber wenn 600 Menschen im Laden sind, können sie keine direkte Betreuung übernehmen.“
Mittlerweile besteht das Team aus neun Personen, darunter drei cis Männern. Die Schichten werden nach dem Haustarif entlohnt, und um die extra Kosten zu stemmen, wird nach Spenden am Eingang gefragt. Geschult wird das Team von „Lara“, einer Fachstelle für sexualisierte Gewalt gegen Frauen. Auch akzeptierende Drogenarbeit ist ein Teil ihrer Aufgabe. Dafür nehmen sie an Workshops von der Drogenberatungsstelle „Sonar“ teil. Beim Plenum wird über Situationen und Fälle diskutiert, in einer Schreibwerkstatt arbeitet die Gruppe an einem ausformulierten Awareness-Konzept. „Wir sind immer noch in Aushandlungsprozessen. Klar, wir haben einen Betroffenenansatz, trotzdem müssen wir immer wieder situativ agieren und handeln. Wir wollen mit der Person aber einen Weg zusammen finden, damit sie sich wieder gut fühlen kann.“
Interkulturelle Herausforderung
Zu Beginn war das Team an einem Infopunkt stationiert, mittlerweile laufen sie in einem Zweierteam durch die Party. „Wir wollen unterwegs sein, um uns ein Bild zu machen und zu gucken, ob es Menschen gibt, die Support brauchen. Wir haben uns aber gegen eine Kennzeichnung entschieden, denn es ist nicht nur Aufgabe unseres Teams, darauf zu achten, dass alle sich hier wohlfühlen, sondern die aller Anwesenden. Würden wir eine Uniform tragen, könnten wir nicht mehr Teil der Party sein. Ich vergleiche das immer mit Sozialarbeiter*innen im Club.“ Erkennbar ist das Team aber trotzdem durch Funkgeräte. „Die Gäste sehen schon, dass ich da arbeite. Ich bin die ganze Zeit unterwegs, und ich verstecke das nicht.“
Zu den Partyreihen mit einem Awareness-Konzept gehört die nomadische Soliparty für Geflüchtete „Bewegungsfreiheit“, die in Berliner Clubs wie About Blank, Mensch Meier und Watergate stattfindet. Vor fünf Jahren hat Friede die Party mit Freund*innen gegründet und das Awareness-Team initiiert. Die 37-Jährige kommt selbst aus der Partyszene, hat aber einen Hintergrund in der antirassistischen Bildungsarbeit. „Von Anfang an hatten wir Awareness auf dem Schirm, vor allem von linksradikalen Partys in Hausprojekten, und wollten es ganz unabhängig von irgendwelchen interkulturellen Kontexten auch auf unseren Partys haben“.
Im besten Fall sind ein stationärer Infotisch und ein mobiles Team Teil ihres Konzeptes. Allerdings ist wegen des Benefizzwecks der Party die Arbeit auf ehrenamtlicher Basis, was vor allem die Besetzung von Schichten zu späteren Uhrzeiten erschwert. Und da die „Bewegungsfreiheit“ keine feste Location hat, ist die Situation vor Ort immer unterschiedlich. Im linken Szeneclub About Blank ist das Personal schon mit dem Konzept vertraut: „Dort rennen wir offene Türen ein: Die Türsteher*innen sind awarenessmäßig gebrieft und folgen einer ähnlichen Politik wie wir.“ Im schickeren Kreuzberger Uferclub Watergate war das anders: „Da mussten wir erst mal das Konzept erklären. Nach der Veranstaltung kam aber von allen Seiten positives Feedback. Das haben sie als eine große Entlastung und Unterstützung empfunden.“
Die „Bewegungsfreiheit“ möchte nicht nur Geld für Geflüchtetenprojekte und antirassistische Arbeit sammeln, sondern auch Anlaufstelle für Menschen mit Fluchterfahrung sein: Durch die Initiative „Refugees Welcome“ haben Geflüchtete freien Eintritt. Die Türsteher*innen arbeiten eng mit den Veranstalter*innen zusammen, damit Geflüchtete überhaupt reinkommen – was wegen der harten, teils rassistischen Türpolitik der Berliner Clublandschaft viel zu selten der Fall ist. Das bringt aber andere Herausforderungen für das Awareness-Team mit sich, erklärt Friede: „Es gab Fälle von sexuellen Übergriffen, wo wir den Eindruck hatten, dass Geflüchtete involviert waren. Da kommen wir in einen Zwiespalt: Wir wollen inklusiv sein, Geflüchtete aber nicht bevorzugen, wenn sie sich sexistisch verhalten, also in keinen positiven Rassismus verfallen. Wir haben aber keine perfekte Strategie.“
Für Friede sind Partys nur der Anfang. „Awareness soll bei allen Veranstaltungen ein fester Bestandteil sein, sei es bei Partys, Konferenzen oder Bildungsveranstaltungen.“ Und sie ist optimistisch: „Trotz aller antifeministischen Bewegungen und Incel-Subkulturen glaube ich, dass das gerade ein Zeichen für Wandel ist. Da brechen die Dinge auf!“