Egan Bernal dominiert den Giro d’Italia: Wie sein Held

Der Kolumbianer Egan Bernal überzeugt bei den Bergetappen des Giro d’Italia mit Leistungen, die ihn nahe an die Großen des Radsports heranrücken.

Radprofi Bernal allein auf der Straße, im Hintergrund Schneelandschaft

Trotzt auch der Kälte: Egan Bernal, mal wieder allein unterwegs, dominiert den Giro d'Italia Foto: Fabio Ferrari/LaPresse/dpa

So sieht Dominanz aus: Auf den letzten Meter der schweren Dolomitenetappe des Giro d’Italia am Montag richtet sich Egan Bernal plötzlich auf. Er öffnet mit seinen steif gefrorenen Fingern die schwarze Regenjacke, die er bei dem eisigen und feuchten Wetter übergestreift hat und versucht sich, des Kleidungsstücks zu entledigen. Dabei gerät er etwas aus dem Gleichgewicht. Er fährt Schlangenlinie. Schließlich gelingt ihm das Unterfangen und im einzigen durch die Wolken brechenden Sonnenstrahl leuchtet plötzlich das rosa Trikot auf. „Ich wollte das rosa Trikot zeigen. Ich liebe es und respektiere es. Und man gewinnt ja nicht jeden Tag eine Etappe mit dem rosa Trikot. Es war mir auch egal, wenn ich beim Ausziehen ein paar Sekunden verliere“, sagte er später.

Bernal achtet bei diesem Giro auf jedes Detail. Sogar ästhetische Momente sind ihm wichtig, eben selbst dann, wenn der magere Körper in der bitteren Kälte nur so schlottert. Gut erzogen, wie er ist, warf er die Regenjacke dann auch nicht achtlos auf den Asphalt, sondern verstaute sie am Rücken. Dass das noch einmal eine Verzögerung mit sich brachte, störte ihn auch nicht. Er ist so überlegen und führt so deutlich, dass er noch im Finale einer Bergetappe an seinem Erscheinungsbild arbeiten kann.

Damit keine Missverständnisse aufkommen: Eitel ist dieser Sohn einer Blumenverkäuferin und einen Wachmanns aus dem Hochland um die Landeshauptstadt Bogota gewiss nicht. Er will bei seiner Rückkehr in die absolute Elite des Profiradsports nur alles richtig machen.

Dazu gehören in allererster Linie Siege. Die liefert er bei diesem Giro in Atem beraubender Frequenz ab. Die wegen schlechter Wetterbedingungen um zwei Zweitausender-Pässe verkürzte Etappe durch die Dolomiten am Montag bestimmte er eindeutig. Kurz vor Erreichen des letzten verbliebenen Zweitausenders, des Passo Giau, trat er an. Er ließ die Konkurrenz förmlich stehen, sammelte die Reste der Fluchtgruppe auf und meisterte auch souverän die glatte und technisch anspruchsvolle Abfahrt.

Willkommene Attacke

Am Monte Zoncolan am Samstag holte er zwar nicht den Etappensieg. Drei Mann aus der Fluchtgruppe des Tages konnten sich noch vor dem von hinten heranjagenden Kraftprotz in rosa in Sicherheit bringen. Aber seine direkte Konkurrenz, diejenigen, die gern aufs Podium kommen wollen bei dieser Italienrundfahrt, die hielt er locker in Schach. Erst scherte er aus, schaute sich um, ob jemand attackieren wollte. Als sich dann der Brite Simon Yates traute, nahm er dankbar an. Er heftete sich ans Hinterrad des für den australischen Rennstall Bike Exchange fahrenden Profis. Und als sie weit genug weg waren von den anderen und die Straße noch mal richtig steil wurde, trat Bernal selbst an. Yates musste ihn frustriert ziehen lassen.

Eine weitere Bergetappe gewann der Kolumbianer in der ersten Woche. Da holte er sich erst mit dem Etappensieg das rosa Trikot und fuhr noch im Ineos-Shirt über den Zielstrich. Dieses Bild ist nun durch den Coup in rosa verdrängt. Bernal denkt da ganz richtig: Sponsorennamen kommen und gehen, Radhelden bleiben. Und am besten schreiben sie sich in den Wertungstrikots der jeweiligen Rundfahrten ins kollektive Gedächtnis ein.

Im gelben Trikot ist so ein Heldenfoto von Bernal noch nicht überliefert. Als er bei der abgebrochenen Schlammetappe zum Col d’Iseran bei der Tour 2019 allein vor dem Peloton herfuhr, gab es zum Zeitpunkt des Abbruchs weder eine weiße Ziellinie noch trug er schon gelb. Die Führung errang er erst durch diesen Coup.

Mit seinem bravourösen Ritt in rosa durch Italien schreibt er aktuell aber Geschichten, die ihn nahe an die ganz Großen des Radsports heranrücken. „Ich werde jetzt oft mit Pantani verglichen“, erzählte er. Er sei zwar nicht Pantani und wolle il pirata auch nicht nachahmen. „Aber in meinem Kinderzimmer hatte ich ein Bild von Pantani. Da war sonst nichts anderes, was mit Radsport zu tun hatte, Pantani war aber da“, sagte er.

So schließt sich ein Kreis, vom Dolomitenheros Pantani über die Anden und wieder zurück in die Dolomiten. Dass Bernal ein so trauriges Ende nehmen wird wie einst sein Held, ist unwahrscheinlich. Bernal wirkt charakterlich gefestigt und ist in sein altes soziales Umfeld weiterhin gut eingebunden. Jetzt hat er noch drei weitere Bergetappen Zeit, an seinem Bild für die Radsportchroniken zu feilen.

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