Edamame, Gyoza und Bowls: Sojabohnen brechen Konventionen
Edamame sind in Japan ein kulturelles Dilemma. Dass sie in Deutschland Trend sind, ist eine Chance, Stereotype zu brechen.
Saftige Edamame-Bohnen als Vorspeise. Eine Schüssel Schweinebrühe-Ramen als Hauptgericht. Und zum Teilen dazu noch ein paar Gyozas, also Teigtaschen. Was hierzulande für viele nach einem perfekten japanischen Dinner klingt, würden in Japan viele junge Frauen beim Essengehen geniert ablehnen.
Nicht, weil es ihnen nicht schmecken würde – ganz im Gegenteil, in Japan wird die eigene Küche meistens als die allerbeste gelobt. Der Grund ist eine soziale Hemmschwelle, die Furcht vor einem Imageschaden. Wie eine Person eines bestimmten Geschlechts auszusehen hat, wie sie sich benimmt und wie sie sich in der Öffentlichkeit präsentiert, ist ein großes Thema bei vielen Japaner:innen.
Es gelten für Frauen vor allem Bescheidenheit und Schönheit als erstrebenswert, für Männer finanzieller Erfolg und Intelligenz – für Menschen jenseits des cis-binären Spektrums interessieren sich die meisten Japaner:innen nebenbei bemerkt herzlich wenig.
Nun isst man Edamame in Japan nur auf eine Weise: in der Schote gekocht und mit Meersalz bestreut, die einzelnen Bohnen werden dabei direkt aus der Schale in den Mund gedrückt. Als solch salziges Fingerfood gehören Edamame meist zum Bier, sie sind das Pendant zu Salzstangen oder Nüssen – und entsprechend haftet an ihnen hartnäckig das Image von älteren japanischen Männern, die als Hauptkonsumenten dieser Kombi gelten.
Vermeintliches Superfood
Ähnliches gilt für Gyoza, das zudem aufgrund des starken Knoblauchgebrauchs als unsexy abgewertet wird. Bei einem Date greifen Frauen sowieso nicht danach, aber auch unter Freundinnen trifft man sich lieber zu einem eleganten französischen oder italienischen Essen.
In Deutschland wiederum wurden Edamame in den vergangenen Jahren zum regelrechten Hype. Man isst sie als Vorspeise, wie in Japan serviert, aber vor allem geschält: Als vermeintliches Superfood werden die grünen Sojabohnen in Bowls geworfen, zusammen mit einer absurden Mischung aus warmem Reis, Mango, Avocado, Granatapfelkernen und vielem mehr.
Nun kann man einiges darüber schreiben, warum es ein Problem ist, wenn Europäer:innen einfach alles Exotische in eine Bowl schmeißen und es als Gericht überteuert vermarkten.
Kulinarische Aneignung
Oder über kulinarische Aneignung auf dem Teller generell – etwa, dass sich in deutschen Großstädten vegane Variationen der vietnamesischen Fleischsuppe Pho häufen, dass es „Sushi“ mit Spargel oder „Hummus“ mit Kürbis gibt. Dass diese oft von Weißen verkauft und vermarktet werden, welche die Marktlücke „vegan“ in der fremden Küche entdeckt haben und migrierte Köch:innen mit traditionell omnivoren Gerichten an den Rand drängen.
Dass Letztgenannte ihre Küche über Jahrzehnte in Deutschland aufgebaut haben und sich lange Zeit mit abfälligen Kommentaren und einem billigen Fastfood-Image herumschlagen mussten, aber die veganen, überteuerten und oftmals vom Original losgelösten Variationen nun als trendiges Dinner gelten.
Was den deutschen Konsum von Edamame und auch Gyoza betrifft, liegt in dieser kulinarischen Aneignung jedoch auch etwas Gutes. Denn dass bei uns hippe Großstädter:innen – egal welchen Geschlechts – Sojabohnen und Teigtaschen komplett unbedarft und von allen kulturellen Kodierungen befreit vor sich hin mampfen, ist eine Chance.
Schließlich wäre es wünschenswert, wenn dieser Umgang mit Edamame oder Gyoza nach Japan zurückgespiegelt würde. So könnten wenigstens in der Kulinarik Geschlechterstereotype aufgebrochen werden. Und Japanerinnen könnten einfach das essen, worauf sie Lust haben, ohne Sorge um einen Imageschaden.
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