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EU-Reaktion auf Boris Johnsons WahlWas soll man da nur machen?

In Brüssel gibt man sich gelassen in puncto neuer Premier in London. Niemand weiß, was die beste Strategie für den Umgang mit dem Brexit-Fan ist.

Wo gehts lang, Boris Johnson? Foto: Reuters

Brüssel taz | Offiziell ist Brüssel noch in der „Brexit-Pause“. Es gebe wichtigere Themen als den britischen EU-Austritt, verkündete Kommissionschef Jean-Claude Juncker kurz vor der Europawahl vor zwei Monaten.

Doch nun ist der Brexit zurück – und mit Boris Johnson zieht ausgerechnet der unberechenbarste Tory-Hardliner in Downing Street 10 ein. Das hatte man erwartet. Dennoch fällt es den Europäern schwer, mit einer Stimme zu sprechen und den richtigen Ton zu treffen.

Vergleichsweise gelassen reagiert Juncker. „Der Präsident will mit dem nächsten Premier­minister so gut wie möglich zusammenarbeiten“, erklärte eine Sprecherin der EU-Kommission. Besorgter klingt es bei Junckers Nachfolgerin Ursula von der Leyen. „Wir stehen vor anspruchsvollen Zeiten“, erklärte die CDU-Politikerin.

„Wir müssen viele verschiedene und schwierige Probleme zusammen angehen“, so von der Leyen. Deshalb hoffe sie auf eine „gute Arbeitsbeziehung“. Zudem bekräftigte sie ihr Angebot, die „Deadline“ für den Brexit über den 31. Oktober hinaus zu verlängern. Dafür müsse es allerdings „gute Gründe“ geben, so die zukünftige EU-Kommis­sions­präsidentin, die ihr Amt am 1. November übernehmen soll.

Harte Ansagen vom EU-Verhandler

Die härteste Ansage macht Michel Barnier. Der Franzose, der den vom britischen Parlament dreimal abgelehnten Austrittsvertrag ausgehandelt hat, warnte Johnson vor dem Versuch, den Deal wieder aufzumachen. Die EU sei lediglich bereit, „die Ratifizierung des Austrittsabkommens zu erleichtern und einen geregelten Brexit zu gewährleisten“, schrieb Barnier auf Twitter. Dem BBC gegenüber forderte er am Mittwoch Klarheit über den Kurs beim EU-Austritt. „Wir freuen uns darauf zu hören, was der neue Premierminister Johnson will“, sagte Barnier. „Welche Entscheidungen trifft das Vereinigte Königreich?“

Doch das Nein zu Neuverhandlungen, an dem sich schon May die Zähne ausgebissen hatte, ist nur der kleinste gemeinsame Nenner der EU. Wie man nun tatsächlich mit Johnson umgehen soll, weiß die EU noch nicht zu sagen.

Soll man dem „britischen Trump“, als den ihn manche sehen, den kleinen Finger reichen – oder muss man sofort klarmachen, wo der Hammer hängt? Soll die EU das Gespräch mit der neuen britischen Regierung suchen – laut Sunday Times gibt es schon erste Kontakte – oder empfiehlt es sich, zu warten, bis Johnson den ersten Schritt macht? Und was passiert, wenn alle Bemühungen scheitern?

Noch gibt es keine klare Strategie. Die Verantwortlichen in Brüssel klammern sich an den Austrittsvertrag, den sie mit May ausgehandelt haben – auch wenn Johnson ihn für tot erklärt hat. Sie versuchen, den neuen Premier von unüberlegten Schritten abzuhalten, etwa mit dem Hinweis, dass ein ungeordneter Austritt Großbritannien viel teurer zu stehen käme als die EU.

Aussicht auf Propagandaschlacht

Vor allem aber stellen sie sich auf eine Propaganda­schlacht mit London ein. Johnson hat sich in Brüssel den zweifelhaften Ruf eines Mannes erworben, der es mit der Wahrheit nicht immer so genau nimmt. „Johnson ist absolut prinzi­pien­los“, sagt ein EU-Diplomat. Also rüstet sich Brüssel mit Argumenten.

Es sei „Unsinn“, wenn Johnson behauptet, auch ein ungeregelter Brexit könne in geordnete Bahnen gelenkt werden, betont die EU-Kommission. Ähnlich äußerte sich am Mittwoch das Europaparlament in Brüssel. Johnsons Amtsantritt habe die Gefahr eines ungeordneten Brexits „stark erhöht“, warnte die Lenkungsgruppe des Parlaments. Diese Gefahr werde nicht durch „irgendeine Form von Absprachen oder Minideals zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich abgemildert“.

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6 Kommentare

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  • Die deutsche Wirtschaft und sicherlich auch die der anderen EU Staaten stellt sich sowieso auf einen harten Brexit ein und dann auf einen Handel auf WTO Standarts, jeder IHK Newsletter oder Branchenabend hat das als Thema. Die Botschaft ist immer die Gleiche, rechnen Sie mit einem harten Brexit und stellen sie sich darauf ein.

    Ich versteh ehrlich gesagt nicht, warum das nicht einfach akzeptiert wird. Die haben eine Wahl nach allen demokratischen Standarts gehabt und sich mehrheitlich für "we are out" entschieden. Kann man gut oder schlecht finden, es ist aber zu akzeptieren.

    Nun sind die Interessen der EU und ihrer Mitglieder primär. Wenn es einen Deal gibt schön, wenn der für uns nicht vorteilhaft ist, dann nicht.

  • Die EU sollte sich damit abfinden, dass man nichtr alles lenken kann.

    Die Inselbewohner wollten den Austritt, sie hatten das May Chaos und haben sich jetzt für Herrn Johnson entschieden. Es ist Zeit für einen ungeregelten Brexit. Eine weitere Verschiebung sollte es nicht geben. Die Inselbewohner haben ja bereits die letzte Fristverlängerung ungenutzt verstreichen lassen. Dann startet die neue Kommission halt mit einem Paukenschlag.

    Bis zum 31.10.2019 ist mehr als ausreichend Zeit um die Grenzanlagen in Irland und Gibraltar zu errichten. Bis dahin bleibt auch ausreichend Zeit um Einfuhrzölle festzusetzen. Das alles sollte noch von der alten Kommission veranlasst werden.

    • @DiMa:

      Nein. Nicht die Inselbewohner(Innen?) haben sich für Johnson entschieden. Lediglich die Tories darunter.

    • @DiMa:

      "Bis zum 31.10.2019 ist mehr als ausreichend Zeit um die Grenzanlagen in Irland und Gibraltar zu errichten." Das gäbe aber RICHTIG Stunk mit Irland. Die offene Grenze nach Nordirland und die freie Entscheidung, ob man dort oder in Irland leben will waren essentielle Punkte im Abkommen, daß den Konflkit dort beendet hat.

    • @DiMa:

      "...Die Inselbewohner wollten den Austritt, ..."



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      Nein DIMA, den hätten sie schon mehrfach haben können.



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      Die wollen DEN Austritt mit "Schwertern & Brillianten" Goldkante & Rosinen, ohne auch nur ein wenig von ihren absurden Forderungen abzugehen!



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      So wie Kinder die lieber auf den Schokoriegel verzichten, wenn sie die ganze Tafel nicht kriegen.



      Die EU lenkt & bestimmt gar nix.



      Sie sagt, nach unsere auch EUCH in GB bekannten Regeln, geht ein "geregelter Austritt" so (siehe Vertrag & bei dem hat sich die EU schon ziemlich zu Gunsten GB "verbogen)



      oder ein "ungeregelter Austritt" so.



      .



      GB entscheidet sich da nicht. ES GIBT KEINE Mehrheiten DORT, weder für das EINE wie für das ANDERE!



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      Gehen = "Austritt", ging "kurzfristig" & erst danach kann man, wie auch immer, die weiteren Zusammenarbeit in aller Ruhe aushandeln & regeln.



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      Gr Sikasuu



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      Ps. Kannst du dir vorstellen was in Irland abgeht, wenn da wieder nen Grenzzaun gibt!

      • @Sikasuu:

        @alle drei Vorredner:

        Bezüglich Irland ist nunmal einzuwenden, dass wir die Schengenvorschriften haben und diese eine Grenzsicherung zum Nicht-EU-Nachbarn vorsehen. Wenn es kein Abkommen mit UK geben sollte, dann ist eine harte Grenze auch dringend notwendig, da andernfalls Waren und Menschen die Außengrenze ungehindert passieren können. Alternativ bliebe nur ein Austritt von Gesamtirland aus der EU.

        Und Fakt ist nunmahl, dass sich die Inselbewohner beim Referendum für den Austritt entschieden haben. Diese demokratische Entscheidung ist zu respektieren, auch wenn wir die Folgen nicht unbedingt mögen.