EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen: Neues Misstrauensvotum im Europaparlament
Linke und Rechtsradikale im Europaparlament wollen Kommissionspräsidentin von der Leyen abwählen. Am Donnerstag kommt es gleich zu zwei Vertrauensabstimmungen.

Ihre Gegner im Parlament würden den Interessen des russischen Präsidenten Wladimir Putin dienen, behauptete von der Leyen bei einer Aussprache in Straßburg am Montagabend. „Die Wahrheit ist: Unsere Gegner sind nicht nur bereit, jede Spaltung auszunutzen – sie schüren diese Spaltungen aktiv.“ Beweise für eine Einmischung Putins in die Parlamentsarbeit blieb die deutsche Politikerin aber schuldig.
Der Nachweis dürfte schwerfallen, denn beide Misstrauensanträge werden vor allem mit von der Leyens eigener Arbeit begründet. Die Linksfraktion im EU-Parlament hält der Kommissionschefin vor, Europa dem US-Präsidenten Donald Trump zu unterwerfen. Neben dem Handelsdeal verweisen die linken Fraktionschefs Manon Aubry und Martin Schirdewan auch auf die Israelpolitik.
„Sie haben die EU in die außenpolitische Bedeutungslosigkeit gestürzt“, erklärte Schirdewan. In den laufenden Verhandlungen um Frieden in Gaza spiele Europa keine Rolle. Den Sozialdemokraten und Grünen, die von der Leyen weiter stützen, warf Schirdewan „politische Insolvenzverschleppung“ vor. Statt einen Politikwechsel herbeizuführen, förderten sie den Politikverdruss.
Die Mitte steht nicht mehr so richtig
Die Vorsitzende der sozialdemokratischen Fraktion S&D, Iratxe García, sagte, die Misstrauensanträge seien zum Scheitern verurteilt. Man sei sich mit der Linken zwar einig, dass Israel in Gaza einen „Völkermord“ begehe. Nun sei aber konkrete Hilfe gefragt, so die spanische Sozialistin. Die Fraktionschefin der Grünen, Terry Reintke, warnte davor, eine EU-Krise herbeizuführen.
Allerdings äußerten sich sowohl die Grünen als auch Liberale und Sozialdemokraten unzufrieden mit von der Leyens Arbeit. Rückendeckung bekam sie nur von den Konservativen. Deren deutscher Chef Manfred Weber (CSU) sagte, die Misstrauensanträge würden für Propagandazwecke missbraucht. Die französischen Nationalisten versuchten, ihren Wahlkampf von Paris nach Straßburg zu tragen.
Nach der Aussprache im Parlament bleibt der Eindruck, dass die proeuropäische „Mitte“ nicht mehr vorbehaltlos zu von der Leyen hält. Dass „die Mitte steht“, wie es nach der Europawahl 2025 in Brüssel hieß, würde heute wohl niemand mehr behaupten. Selbst die Konservativen äußern immer öfter Kritik am Kurs der EU-Kommission – wie zuletzt beim Verbrennerverbot oder beim Bürokratieabbau.
Bei der Vertrauensabstimmung am Donnerstag dürften sich die Parteien der informellen großen Koalition dennoch zähneknirschend hinter von der Leyen stellen. Für ihren Sturz wäre eine Zweidrittelmehrheit nötig. Bei mangelnder Wahlbeteiligung ist die Hürde sogar noch höher: Dann ist zusätzlich die absolute Mehrheit der Mandate nötig – mindestens 360 Stimmen. Das ist kaum zu schaffen.
Wenn die Misstrauensanträge scheitern, kann die Kommissionspräsidentin weitermachen – ihre Amtszeit läuft noch bis 2029. Doch aus dem Schneider ist sie dann noch lange nicht. In Frankreich steht ihr vielleicht wichtigster Unterstützer – Staatspräsident Emmanuel Macron – politisch mit dem Rücken zur Wand. Und in Deutschland ist Kanzler Friedrich Merz deutlich auf Distanz gegangen.
„Es ist einfach zu viel. Und darüber werden wir sprechen“, sagte der CDU-Chef beim letzten EU-Gipfel in Kopenhagen. Bei der europäischen Regulierungsdichte müsse „grundlegend korrigiert“ werden. Wen er damit meinte, war allen klar: seine Parteifreundin von der Leyen. Nach der Vertrauensabstimmung in Straßburg muss sie wohl bald zum Rapport nach Berlin – es könnte unangenehm werden.
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