EU-Gipfel in Granada: Öffnen und abschotten
Bei einem Treffen in Spanien diskutieren die EU-Chefs über das Ende des Einstimmigkeitsprinzips. Ungarn und Polen blockieren die Erklärung zur Migration.
Die EU erstrebe eine „geostrategische Investition in Frieden, Sicherheit, Stabilität und Wohlstand für die Bürger Europas“, hieß es. „Wir müssen uns vorbereiten“, erklärte der Präsident des Europäischen Rates, Charles Michel, und fordert die 27 auf, eine „strategische Agenda“ auszuarbeiten. Nur so könne sich die EU ab 2030 in Richtung Balkan, Türkei, Moldau, eventuell Georgien und vor allem Ukraine ausdehnen. „Erweiterung bedeutet, dass die Kandidatenländer die Reformen vornehmen müssen, wissen, was sie tun sollen“, sagte er.
Das bedarf, neben einer Neugestaltung des EU-Haushaltes und Strukturhilfefonds, vor allem interner Reformen bei der EU selbst. „Wir müssen dann auch mit qualifizierten Mehrheiten Entscheidungen treffen können, damit die Handlungsfähigkeit der EU gewährleistet ist“, verlangte Bundeskanzler Olaf Scholz. Er und der französische Präsident Emmanuel Macron wollen, mit Blick auf eine Union von über 30 Mitgliedern, das bisherige Einstimmigkeitsprinzip aufheben. Vor allem bei der Außen- und Sicherheitspolitik. Kleinere EU-Mitglieder fürchten um ihren Einfluss.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Zu heftigen Diskussionen kam es bei der Frage, wer Flüchtlinge aufnimmt. Polen und Ungarn wollen von einer Solidaritätspflicht mit den Ankunftsländern am Mittelmeer, wie Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni sie fordert, nichts wissen. Schon gar nicht von Ausgleichszahlungen bei Nichterfüllung. Beide Länder würden „rechtlich vergewaltigt“, wetterte Ungarns Premier Viktor Orbán. „Wir werden zu etwas gezwungen, das wir nicht wollen“, fügte er hinzu. Ungarn und Polen wollen, dass Aspekte der Migrationspolitik nur einstimmig beschlossen werden können. Die restlichen EU-Mitglieder sehen das anders. Der Streit wird wohl die nächsten Monate bestimmen.
Es soll schwerer werden, in die EU zu gelangen
Unstrittig war das neue Asylsystem als solches, auf das sich die 27 bereits in den Tagen vor dem Gipfel geeinigt hatten. Es soll schwieriger werden, in die Europäische Union zu gelangen. Wer es dennoch schafft, muss, je nachdem wie Brüssel die Sicherheit im Herkunftsland einstuft, mit haftähnlichen Aufnahmebedingungen rechnen. Asylanträge sollen binnen zwölf Wochen geprüft werden. Wer durchfällt, wird umgehend abgeschoben.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kündigte weitere Abkommen mit Transit- und Herkunftsländern an, um Migranten aufzuhalten. Außerdem soll das Mittelmeer stärker überwacht werden. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell erklärte in Granada, er überlege, ob er dazu die Kapazitäten der laufenden Militäroperation „Irini“ nutzen könne. Deren Hauptauftrag ist es eigentlich, ein Waffenembargo gegen Libyen zu überwachen.
Zum neuen Streitpunkt wird wohl die Solidarität mit der Ukraine. Am Donnerstag hatte die Europäische Politische Gemeinschaft (EPG) getagt – die Vertreter der 27 EU-Mitglieder plus weiterer 20 europäischer und angrenzender asiatischer Länder. In diesem Rahmen hatten Borrell und von der Leyen weitere Hilfen für Kyjiw versprochen. Die Rede war von 50 Milliarden Euro für zivile Zwecke und 20 Milliarden für Militärhilfe. Auch hier scherte Ungarn aus. Regierungschef Orbán drohte mit ebenjenem Vetorecht, das Berlin und Paris gerne abschaffen würden.
Ungarn ist nicht das einzige Land, das bei der Ukraine-Solidarität abweicht. Während Deutschland und Spanien am Donnerstag dem eigens angereisten ukrainischen Staatschef Wolodimir Selenski neue Luftabwehrsysteme für den kommenden Winter zusicherten, hat Polen bereits Ende September angekündigt, die Militärhilfe an Kyjiw herunterzufahren. Die Slowakei könnte bald folgen. Dort gewann mit Robert Fico ein eher Russland zugewandter Politiker die Wahlen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Waffen für die Ukraine
Bidens Taktik, Scholz’ Chance
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist