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EU-Beitrittsgespräche mit dem WestbalkanDas politische Vakuum füllen

Erich Rathfelder
Kommentar von Erich Rathfelder

Die EU muss sich auf dem Westbalkan stärker engagieren. Sonst tun es weiterhin Russland, China und die Türkei.

Ursula von der Leyen und Charles Michel mit den Führern des West-Balkans im Februar in Brüssel Foto: reuters

E igentlich war schon viel Porzellan zerschlagen. Dass die Europäische Union jetzt endlich zustimmen wird, Beitrittsgespräche mit Nordmazedonien und Albanien zu führen, hat viele Menschen in der Region erleichtert. Trotz Corona-Stress konnte man das Aufatmen der proeuropäischen, demokratischen und zivilgesellschaftlichen Kräfte im gesamten Westbalkan hören. Die EU ist als politischer Spieler in die Region zurückgekehrt.

Sicher ist die Frage, die Macron in Bezug auf die EU-Erweiterung aufgeworfen hat, durchaus berechtigt. Schon jetzt müssen 27 Mitglieder der Union in vielen Angelegenheiten zu einem gemeinsamen Votum kommen. Eine Reform der Entscheidungsstrukturen der EU ist nötig.

Aber es zeugt nicht gerade vom außenpolitischen Fingerspitzengefühl des französischen Präsidenten, diese Frage mit der Aufnahme von Gesprächen mit den beiden Westbalkanstaaten zu vermengen. Die Bevölkerungen dort wurden benutzt, um etwa Berlin davon zu überzeugen, endlich die Entscheidungsstrukturen in der EU zu reformieren.

Die Enttäuschung über die von Frankreich, den Niederlanden und einigen CDU-Kreisen unterstützte Entscheidung, Albanien und Nordmazedonien in der Warteschleife hängen zu lassen, hat in Nordmazedonien die linke Reformregierung von Zoran Zaev infrage gestellt; in Albanien wurde die Opposition ermuntert, Dinge zu verhindern, anstatt die angestoßenen Reformen zu unterstützen. Die Unsicherheit über die europäische Zukunft hat in beiden Ländern ein politisches Vakuum geschaffen, in das Russland, China und die Türkei eingedrungen sind.

Putin unterstützt nach wie vor rechtsradikale und nationalistische Politiker in der gesamten Region, um die EU zu schwächen. China gewinnt Einfluss durch gewaltige Infrastrukturprojekte und Erdoğan spielt auf vielen Klavieren. Es ist ein stärkeres politisches, wirtschaftliches und militärisches Auftreten der EU notwendig – denn der Westbalkan gehört zu Europa.

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Erich Rathfelder
Auslandskorrespondent Balkanstaaten
Erich Rathfelder ist taz-Korrespondent in Südosteuropa, wohnt in Sarajevo und in Split. Nach dem Studium der Geschichte und Politik in München und Berlin und Forschungaufenthalten in Lateinamerika kam er 1983 als West- und Osteuroparedakteur zur taz. Ab 1991 als Kriegsreporter im ehemaligen Jugoslawien tätig, versucht er heute als Korrespondent, Publizist und Filmemacher zur Verständigung der Menschen in diesem Raum beizutragen. Letzte Bücher: Kosovo- die Geschichte eines Konflikts, Suhrkamp 2010, Bosnien im Fokus, Berlin 2010, 2014 Doku Film über die Überlebenden der KZs in Prijedor 1992.
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4 Kommentare

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  • Jau- dort sind die Arbeirtskräfte billiger, wir können Autobahnen bauen, und ganz nebenbei ärgern wir die Serben, indem wir niocht mit denen reden. SUPER- da ist der nächste Krieg zum Wohle der EU Wirtchaft vorüprgrammiert, und keiner hat damit gerechnet.....Divide et impera



    PS: werdend as dann endlich mal Zahlländer, oder erhöht dieser Beitritt nur die Kosten die dann von den Nationalstaaten wieder hereingespart werden müssen- also zum Schaden des Sozialen

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Mein persönlicher Ansatz ist ein Anderer als der von Herrn Rathfelder.

    Die Realität zeigt mir Tag für Tag - jenseits von müsste, sollte, dürfte - dass diese EU nicht funktioniert. Hinten und vorne, oben und unten nicht.

    Ich sehe zwei grundsätzliche Wege:

    - den Weg des "Weiter So": Augen zu und durch,



    - den Weg des Innehaltens und Bilanzierens.

    Der Erste wird unweigerlich mit großem Getöse an einer Wand enden.



    Der Zweite hat den unschätzbaren Vorteil, dass brauchbare Erkenntnisse herauskommen können: Was ist die Essenz, wo liegen die Schwachpunkte, wo ist die quantative und qualitative Schmerzgrenze für die EU und ihre Insassen?

    Noch Fragen?

  • RS
    Ria Sauter

    Alle Politiker/innen in den einzelnenn Staaten und in der EU beziehen fürstliche Gehälter, auch die weniger wichtigen Hinterbänkler. Sie könnten ohne Not ei nen Teil ihres Einkommmens spenden. Die Fllüchtlinge könnten versorgt werden.



    Die normale Bevölkerung hat gerade eigene Überlebenskämpfe.



    Verpflichtet nicht auch Reichtum?



    Waren die oberen Einkommensmenschen je menschlich, von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen.

  • ...nur die Lage ist noch vezwickter. Rechte Hardliner-Regierungen wie in Ungarn, Polen, Tschechien und Kroatien hoffen auf Zuwachs für ihren antidemokratischen Block durch neue EU-Mitglieder vom Balkan. Die EU rutscht immer weiter ab ins Autoritäre - das erkennt man am Umgang mit den Flüchtlingen aus der Türkei. Frau von der Leyen klatsch im Namen der EU Beifall für die Verletzung der Menschenrechte durch Mitsotakis Regierung. Geopolitisches Heckmeck um Einfluss auf dem Balkan, dessen Spieler die Situation in der Region herzlich egal ist, treibt die Mächte um - aus dem Drama am Anfang des letzten Jahrhunderts nichts gelernt......