piwik no script img

EU-AußenministertreffenIn Gaza verrät die EU ihre Werte – auf Druck Deutschlands

Eric Bonse
Kommentar von Eric Bonse

Trotz überwältigender Beweise für Kriegsverbrechen konnten sich die EU-Außenminister nicht zum Ende des Assoziierungsabkommens mit Israel durchringen.

Kriegsverbrechen und kein Ende in Sicht, doch die EU zögert, weil die Staatsräson das anders sieht Foto: Mahmoud Issa/Reuters

I n Sonntagsreden und Gipfelbeschlüssen beschwört die Europäische Union gern das Völkerrecht und die Menschenrechte. Doch wenn es um Israel geht, sind die internationalen Regeln schnell vergessen. Mit ihrem schändlichen Lavieren angesichts der katastrophalen humanitären Lage im Gazastreifen – Amnesty International spricht von Genozid – verrät die EU ihre Werte.

Obwohl überwältigende Beweise für Kriegsverbrechen und Menschenrechtsvergehen vorliegen, konnten sich die EU-Außenminister nicht dazu durchringen, das Assoziierungsabkommen mit Israel auf Eis zu legen oder Sanktionen zu verhängen. Obwohl die Außenbeauftragte Kaja Kallas sagte, dass Israel seine humanitären Verpflichtungen verletze, hat sie Beschlüsse vertagt.

Verantwortlich dafür ist vor allem Deutschland. Das größte EU-Land steht zwar nicht allein – auch Österreich, Ungarn und Tschechien geben Israel und seiner rechtsextremen Regierung immer wieder Rückendeckung –, doch Berlin zeigt das größte Geschick darin, mit gespaltener Zunge zu sprechen und die EU von einem konsequent menschenrechtlichen Kurs abzuhalten.

Große Sorge, keine Konsequenzen

Das Logo der taz: Weißer Schriftzung t a z und weiße Tatze auf rotem Grund.
taz debatte

Die taz ist eine unabhängige, linke und meinungsstarke Tageszeitung. In unseren Kommentaren, Essays und Debattentexten streiten wir seit der Gründung der taz im Jahr 1979. Oft können und wollen wir uns nicht auf eine Meinung einigen. Deshalb finden sich hier teils komplett gegenläufige Positionen – allesamt Teil des sehr breiten, linken Meinungsspektrums.

Man teile die Sorge über die humanitäre Krise in Gaza, sagte Außenminister Johann Wadephul. Er verstehe nicht mehr, wie die israelische Armee vorgehe, erklärte Bundeskanzler Friedrich Merz. Was in Gaza geschehe, sei „eine menschliche Tragödie und eine politische Katastrophe“, klagte er. Doch Konsequenzen wollen Wadephul und Merz nicht ziehen.

Im Gegenteil: Im entscheidenden Moment hat die Bundesregierung verhindert, dass die EU ihren Worten endlich Taten folgen lässt. Mit dem fadenscheinigen Argument, man müsse Gesprächskanäle offen halten, wurden Vorstöße der Niederlande und Spaniens ausgebremst und die Mehrheit der EU-Staaten brüskiert.

Dabei hat niemand gefordert, die Beziehungen abzubrechen. Es ging nur darum, Artikel 2 des EU-Israel-Abkommens umzusetzen, der beide Seiten zur Einhaltung der Menschenrechte verpflichtet. Daraus wird nun wieder nichts. Den Schaden hat die gesamte EU – sie hat in Gaza ihre Glaubwürdigkeit verloren. Für das Nichtstun gibt es keine Entschuldigung mehr.

Freuen kann sich hingegen Premier Benjamin Netanjahu. Mit seinem Angriff auf den Iran wollte er auch von den eigenen Untaten in Gaza ablenken. Das ist ihm gelungen, zumindest in Brüssel. Am Ende haben die EU-Außenminister zwar Druck auf den Iran gemacht, nicht aber auf Israel. Gaza muss warten, auch wenn dort täglich Dutzende Palästinenser ihr Leben lassen, weil ihnen niemand hilft.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Eric Bonse
EU-Korrespondent
Europäer aus dem Rheinland, EU-Experte wider Willen (es ist kompliziert...). Hat in Hamburg Politikwissenschaft studiert, ging danach als freier Journalist nach Paris und Brüssel. Eric Bonse betreibt den Blog „Lost in EUrope“ (lostineu.eu). Die besten Beiträge erscheinen auch auf seinem taz-Blog
Mehr zum Thema

13 Kommentare

 / 
  • Verrät die EU ihre Werte in Gaza? Nein, Deutschland tut es (beginnend mit dem ersten Artikel seines Grundgesetzes).



    Willkommen im zweiten großen Stille.

  • Der Vorwurf "überwältigender Beweise für Kriegsverbrechen" ist politisch aufgeladen, aber juristisch haltlos. Israel führt eine Verteidigung gegen einen Gegner, der gezielt aus dicht besiedeltem Gebiet operiert, Zivilisten als Schutzschilde missbraucht und internationale Regeln systematisch verletzt. Dass dabei zivile Opfer auftreten, ist tragisch, aber nicht automatisch ein Kriegsverbrechen.

    Wer hier mit zweierlei Maß misst, verschweigt auch: Israel wurde am 7. Oktober Opfer eines beispiellosen Angriffs mit Massakern, Folter und Entführungen - eindeutig Kriegsverbrechen seitens der Hamas. Israel übt seither sein legitimes Selbstverteidigungsrecht aus (UN-Charta Art. 51).

    In keinem anderen asymmetrischen Konflikt (Mossul, Aleppo, Afghanistan) werden so absurde Maßstäbe angesetzt. Begriffe wie "Genozid" werden inflationär zur moralischen Keule degradiert und relativieren echte Völkermorde. Wer Israel jetzt drängt, militärisch nachzugeben, hilft letztlich nur der Hamas - auf Kosten aller künftigen Opfer.

    • @Heike 1975:

      Und der ICC hat Haftbefehle gegen Netanjahu und Gallant ausgestellt weil es keine Beweise für Kriegsverbrechen/ Verbrechen gegen die Menschlichkeit gibt? Also bitte ehrlich jetzt? Es gibt inzwischen tausende Juristen/ Richter mit Schwerpunkt Völkerrecht und Experten/ Prof. zum Thema Völkerrecht, Holocaust und Völkermord die klar darlegen wie systematisch in Gaza Kriegsverbrechen begangen werden und in den gesamten OPT gegen Völkerrecht verstoßen wird. Man muss die schon alle ignorieren um zu sagen es gibt keine Beweise.



      Hier eine Liste von über 1000 Richtern, Juristen, Prof. nur aus GB: lawyersletter.uk/



      Es gibt auch noch zig Organisationen die seit der Ausstellung von Haftbefehlen Beweise beim ICC eingereicht haben. Zumal auch sie die überwältigende Zahl an jüdischen Gelehrten wie Omar Bartov, Amos Goldberg, Raz Segal etc ignorieren, die mittlerweile nach wissenschaftlicher Analyse von Völkermord reden, genauso wie das Lemkin Institut, dass immerhin nach dem jüdischen Anwalt benannt ist, der den Begriff Genozid geprägt hat.

    • @Heike 1975:

      Genau diese Einstellumng verhindert eine faire Lösung. Es macht keinen Sinn, Kriegsverbrechen der einen Seite anzuprangern und die der anderen Seite zu entschuldigen. Dass es genau das ist, nämlich Kriegsverbrechen von BEIDEN Seiten, das kann ernsthaft niemand bestreiten, es sei denn es ist ein*e Fanatiker*in

  • Ob Katholik Merz dafür mal brennen wird, muss jemand anders später mal entscheiden, wenn denn.



    Es ist halt für die Reputation Deutschlands als fair, wertebasiert-verlässlich gerade verheerend, wie offen Merz Seite ergreift, die falsche Seite des Völkerrechtsbruchs.

    Was tun?



    Palästina anerkennen, auf ein Ende der Besatzung drängen und hierzulande nicht vergessen, Juden, Muslime ... vor Diskriminierung zu schützen.



    Ein Pförtner armenischer Herkunft erklärte mir auf Nachfrage seine Arm-Orthese. Es hatte ihn vor Wochen jemand einfach angepöbelt: "Was willst Du hier?" und danach einfach zu Boden geschlagen.



    Dieser ältere Herr ist einer der liebenswertesten, höflichsten Menschen, die ich kenne. Hier können wir am Ort anpacken und Ausgrenzungs-Fantasien verwelken lassen.

  • die einstellung und entscheidungen deutscher politiker sind schon lange zu hinterfragen. die grosse frage ist, warum. sie stehen im rampenlicht und wissen wohl um die rechenschaft, die sie der öffentlichkeit schulden. von daher sind sie schlecht beraten, stark tendenziöse positionen zu übernehmen, die man eigentlich nur von regierungsvertretern israels kennt. das ging bei dem verbot der parole ´from the river to the sea´los und zog sich von berlinale 2024 über die studentenproteste und üble kommentare der berliner verwaltung zu pro-palästina kongresses und selbst zur UN mitarbeiterin francesca albanese. höchst unreflektiert und offenkundig fachfremd. herr wegner aus spandau ist sicher kein experte für völkerrecht und nahostfragen. aber man sollte sich eben von den richtigen personen beraten lassen. einen grossen anteil spielen hier auch die medien in bezug auf bildung der öffentlichen meinung. ein sehr aufschlussreicher podcast hier:



    www.youtube.com/watch?v=p3iYofgXpi4



    das alles zusammen trägt dazu bei, dass deutschland leider immer noch auf der falschen seite der geschichte steht.

  • "Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral!" - Brecht

    • @B. Iotox:

      Nur gibt es nichts zu Fressen in Gaza und Moral schon gar nicht.

  • Wer zu Menchenrechts- und Völkerrechtsverletzungen schweigt, macht sich mitschuldig, egal wer die Täter sind.

    Es ist ein Irrglaube anzunehmen, man könne die große Schuld, die Deutschland mal auf sich geladen hat dadurch abtragen, dass man die aktuell Schuldigen in Israels Regierung durch Taktieren deckt.

    Es lassen sich immer Gründe finden, warum man einen Mörder nicht Mörder und einen Verbrecher nicht Verbrecher nennt.



    Mit Diplomatie oder Aufarbeitung der eigenen Schuld hat das nichts zu tun, eher mit Feigheit und einem Mangel an aufrechter Haltung.

    Alle, die mit Recht in der Verurteilung von Putins Krieg sehr klar sind, sollten dies auch gegenüber der Israelischen Regierung wegen des Vorgehens im Westjordanland und dem Gazastreifen sein.

    Stattdessen gibt unsere Regierung, die einerseits gerne von einer Führungsrolle Deutschlands innerhalb Europas redet, in Bezug auf den Umgang Israels mit den Palästinensern ein erbärmliches Bild ab.

  • Das ist wohl ein sehr typisches Verhalten zumindest deutscher Regierungen. Viel Blabla bei irgendwelchen Anlässen und wenn's darum geht konkret zu werden, dann eiert man herum. So auch hier. Es ist kein Freundschaftsdienst gegenüber Israel, es schadet der Bevölkerung in Israel und den Juden weltweit, weil die pauschal und undifferenziert für Verbrechen verantwortlich gemacht werden, die von einer faschistischen Clique zu verantworten sind, nur von denen. Unrecht ist Unrecht und bleibt es auch. Zumal unter "Freunden" muss man das kritisieren, alles andere ist Schleimerei, zumal man von sich selbst gerne behauptet fair und ausgeglichen zu sein. Doch es ist -wieder mal- bequemer dummes Zeug zu labern anstatt den eigenen und allgemeinen Grundsätzen treu zu sein. Wovor fürchten sich diese Leute?

  • Was zu erwarten war. Wundern tut mich das gar nicht. Allerdings frag ich mich welche Werte es denn sind, welche die EU repräsentiert. Allein wenn es um die Flüchtlingsfrage, den Deals mit den Autokraten Nordafrikas und dem jährlichen Ertrinken im Mittelmeer bzw. jetzt auch Verdursten durch Aussetzen in der Wüste geht, zeigt die EU doch schon lange, dass Menschenrechte eben nicht für alle gelten. Und wenn es um die wirtschaftliche Interessen geht, dann sind Völkerrecht und Menschenrechte doch komplette Fremdwörter. Im Grunde hat sich seit Kolonialzeiten nicht viel geändert, man hat jetzt für Unterdrückung und Ausbeutung nur hübschere Worte. Der globale Süden weis schon lange, das die "Werte" der EU max. für die Menschen der EU gelten, nicht für alle anderen. Die Illusion westl. Werte ist nun spätestens in Gaza begraben worden, sie liegt unter den Trümmern mit tausenden Zivilisten. Und die Zukunft sieht für die noch Lebenden düster aus: verhungern, Vertreibung oder Tod. Leider habe ich nicht die Hoffnung, dass ein einziger dt. Politiker für den in meinen Augen Völkermord, jemals zur Verantwortung gezogen wird.



    Im übrigen lenkt Iran auch ab von dem was im WJL seit Tagen passiert.

    • @Momo Bar:

      Seit Tagen? Seit Jahren !!!!

      • @Perkele:

        Natürlich seit Jahren, aber was durch die Ereignisse der letzten Tagen wieder keine Aufmerksamkeit fand, ist das das WJL praktisch abgeriegelt wurde, fast alle Ckeckpoints geschlossen wurden.



        www.972mag.com/wes...kdown-israel-iran/



        OHCHR-Report: "Since 14 June Israeli forces deployed in large numbers within the West Bank, stormed through several cities and refugee camps, vandalizing dozens of Palestinian homes or expelling them from their homes and using them as military posts. "



        reliefweb.int/repo...rther-deteriorates



        Und wie die Organisation Anera meldet, kommt es dadurch auch zur Behinderung von Hilfslieferungen v.a. auch was Medikamente angeht und natürlich auch zur Behinderung von Ersthelfern, die tw. gar nicht zu den Patienten kommen.