EU-Abstimmung zu „Nord Stream 2“: Pipeline-Achse Berlin-Paris steht
Kompromiss im Streit um Gasröhre „Nord Stream 2“: EU-Staaten ebnen Weg für umstrittenes Projekt. Deutschland ist erleichtert.
Mit Nord Stream 2 sollen jährlich bis zu 55 Milliarden Kubikmeter Erdgas aus Russland an Drittstaaten wie der Ukraine oder Polen vorbei durch die Ostsee nach Deutschland transportiert werden können. Ende 2018 waren bereits 370 Kilometer der 1.200 Kilometer langen Rohrleitung verlegt.
Noch am Donnerstag hatte Deutschland allein gestanden. Nicht nur Polen, die baltischen Staaten und die Ukraine machten – im Konzert mit den USA – Front gegen das Pipeline-Projekt: Nord Stream 2 erhöhe die deutsche Abhängigkeit von russischem Erdgas und gefährde die Energieversorgungssicherheit in Europa. Auch die EU-Kommission hatte Bedenken und forderte, die Pipeline EU-Recht zu unterwerfen.
Genau das wollte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) jedoch verhindern. Es handele sich um ein rein kommerzielles Projekt, das ohne EU-Regeln auskommen könne. Um eine Mehrheit im Ministerrat für ihre starre Haltung zu sichern, verließ sie sich wie gewohnt auf Frankreich.
Ungewohnte Signale aus Paris
Doch aus Paris kamen zuletzt ungewohnte Signale: Natürlich müsse auch Nord Stream 2 dem EU-Recht unterliegen, so das Außenministerium. In Berlin wurde dies als unfreundliche Kehrtwende ausgelegt. Frankreich lasse Deutschland im Regen stehen, hieß es. Manche witterten einen Bruch der deutsch-französischen Freundschaft, die erst vor zwei Wochen im „Vertrag von Aachen“ bekräftigt worden war. Dass Staatschef Emmanuel Macron seine Teilnahme an der Sicherheitskonferenz in München abgesagt hatte, schien ins Bild zu passen.
Doch da lief die deutsch-französische Diplomatie schon auf Hochtouren. Berlin und Paris formulierten nicht nur ein Kompromisspapier zur Gasrichtlinie. Beide Länder holten auch noch die EU-Kommission ins Boot – und drängten den rumänischen EU-Vorsitz, ihren Vorschlag auf die Tagesordnung zu setzen. Der deutsch-französische Entwurf wurde fast einstimmig verabschiedet – nur Bulgarien stimmte dagegen.
Allerdings wird er unterschiedlich ausgelegt. In Berlin hieß es, die neue Pipeline werde deutscher Kontrolle unterliegen. Aus Macrons Umfeld verlautete, Deutschland akzeptiere mit der überarbeiteten Fassung der Gasrichtlinie erstmals eine „europäische Kontrolle“ über die Pipeline. „Die Abhängigkeit vom russischen Gas machte uns Sorgen“, hieß es. „Deshalb war für uns eine europäische Kontrolle wichtig.“
Nach französischer Darstellung sieht der Kompromiss ein zweistufiges Vorgehen vor: Danach liegt die erste Zuständigkeit für Pipelines mit Drittstaaten wie Russland bei dem EU-Land, in dem die Leitung erstmals auf das europäische Netz trifft – im Falle von Nord Stream 2 wäre das Deutschland.
An der Haltung von Kommissionschef Jean-Claude Juncker habe sich nichts geändert, sagte eine Sprecherin auf Anfrage der taz. Die EU-Kontrolle beziehe sich auf alle Pipelines, auch wenn sie aus Drittstaaten kommen.
Im Europaparlament sind die Gegner noch stärker
Hier bahnen sich womöglich weitere Konflikte an. Zudem muss die Gasrichtlinie noch eine weitere Hürde nehmen: Sie braucht die Zustimmung des Europaparlaments – und dort sind die Gegner noch stärker als im Ministerrat. Die Entscheidung im so genannten Trilog mit dem Parlament wird am Montag erwartet.
Die USA dürfte dies indes nicht beeindrucken. Sie haben bereits mit Sanktionen gegen alle Firmen gedroht, die sich an der Pipeline beteiligen. Wenn US-Präsident Donald Trump ernst macht, wird man sehen, wie stark der deutsch-französische Kompromiss wirklich ist. Merkel sprach am Freitag von einem Erfolg, der ohne enge Zusammenarbeit mit Paris nicht möglich gewesen wäre.
Das sieht man auch in Brüssel so. Nun muss die Gasrichtlinie noch eine weitere Hürde nehmen: Sie braucht ein Ja des Europaparlaments – dort sind die Gegner noch stärker als im Ministerrat. Die Entscheidung im sogenannten Trilog soll am Montag fallen.
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU), der sich in der Vergangenheit intensiv für die Realisierung von Nord Stream 2 eingesetzt hatte, begrüßte die Entscheidung. „Es ist ein gutes Signal nicht nur für den Gasstreit, den wir jetzt einer Lösung zuführen“, sagte er während einer Reise durch Hessen. Es sei auch „ein gutes Signal auch für die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union insgesamt.“ Nordstream 2 sei wichtig, um die Gasversorgung in Europa zu sichern, doch gleichzeitig müssten auch die Bedenken von Ländern wie Polen und der Ukraine ernst genommen werden, sagte Altmaier. „Das ist mit diesem Beschluss möglich.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles