ESC, Berlinale, Joe Biden: An der Krise vorbei
Wenn nur die Haltung zählt. Oder: Dinge, die man toll im Feuilleton diskutieren kann, während das Elend der Welt ungestört seinen Gang weitergeht.
t az: Herr Küppersbusch, was war schlecht vergangene Woche?
Friedrich Küppersbusch: Geheimhaltung bei der Luftwaffe.
Und was wird besser in dieser?
Noch mal rumschwadronieren, mit Absicht!
Stimmen nach einer Arbeitspflicht für Asylsuchende wurden in der vergangenen Woche laut, Kritik daran ebenso. Handelt es sich um eine ganz normale demokratische Debatte?
Bisher gibt’s bei uns „keine Arbeit als Strafe“ und „Arbeit als Strafe“. Je nach Status und Unterbringung dürfen Flüchtlinge 3 bis 15 Monate nicht arbeiten. Oder „sind zur Wahrnehmung einer zur Verfügung gestellten Arbeitsgelegenheit verpflichtet“, nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Liest man das mal als Selbstauskunft des Patienten Deutschland, hat unser Therapeut noch ’ne Menge Arbeit vor sich. Wenigstens der. Offenbar ist uns Arbeit so kostbar, dass wir sie anderen verweigern. Und zugleich so widerwärtig, dass wir andere damit abstrafen. Ein vielsprachiges Banner, „Sorry, wir sind bisschen psycho“, sagte das Gleiche. Dagegen wäre gemeinsames Interesse, schnellstens Spracherwerb zu organisieren, Fähigkeiten zu checken und Ausbildung zu fördern. Die Arbeitspflicht gibt es längst, die Kommunen machen nur keinen Gebrauch davon. So ähnlich wie die bargeldlosen Leistungen, die es auch vor der Bezahlkarte gab. Kurz: Wir sind mit uns selbst im Unreinen und tragen das als Auswärtsspiel aus.
Der ÖPNV wird mal wieder bestreikt, diesmal tut sich Verdi mit den Klimaschützern von Fridays for Future zusammen. Sieht so die Zukunft von Klimaprotesten aus?
Greta Thunberg bekommt Frührente, ihre Statements zu Israel belasten FFF in Deutschland. Die „Klimakleber“ brachten auch wohlwollende Verkehrsteilnehmer gegen sich auf. Und dann ist da noch der Ruch reicher Kinder, die sich Klimaschutz locker leisten können: FFF hat ein solides Imageproblem und bräuchte etwas, das langweilig, seriös und straff organisiert ist. Das hätte Verdi sich auch nicht gedacht, mit diesem Image mal auftrumpfen zu können. Passt.
Künstler_innen fordern einen Boykott Israels beim Eurovision Song Contest, auch Proteste gegen eine Teilnahme des Landes an den Biennalen in Venedig werden lauter. Ist das schon antisemitisch? Oder wollen einfach alle dabei sein?
Ich sehe den Untergang des Abendlandes noch nicht vor mir, wenn bei der Berlinale ein paar AfD-Irrläufer rumstehen oder jemand dringend ein Pali-Tuch tragen muss. Der ESC feierte die schurkische Autokratie Aserbaidschan, gab sich dann wieder als singende Vorhutorganisation der Nato und soll nun noch kurz Hamas-Terror und Israels Kriegsführung in Ordnung bringen. Viele wollen sich mit ihrer korrekten Haltung adeln, machen aber einfach nur den Korridor gestatteter Meinungen enger. Da kann man toll im Feuilleton diskutieren, während das Elend der Welt ungestört weitergeht.
Laut der Zeitverwendungserhebung 2022 leisten Frauen immer noch deutlich mehr unbezahlte Care-Arbeit als Männer. Haben Sie in der Angelegenheit die Konten ausgeglichen?
Habe meine Gefährtin gefragt, und sie sagt ohne ihren Anwalt gar nichts. Inoffiziell lässt sie ausrichten, es sei okay. Unsere Kinder sind groß, wir caren uns um unseren eigenen Kram wieder. Ich hatte Glück, viel mehr machen zu können als etwa mein Vater, und befürchte, es war viel weniger als die Hälfte. In dunklen Stunden denke ich, social load ist auch social power – also die Frage an Frauen, wie viel Arbeit sie abgeben wollen, wenn es in dem Bereich auch Machtverlust bedeutet. Ups, da ruft schon der Anwalt an.
Schweden darf der Nato beitreten, nachdem Ungarn mit Ja gestimmt hat. Wieso hat sich Orbán umentschieden?
Ihm war halt danach. Für sein Gequengel hat er einen Staatsbesuch von Schwedens Premier Kristersson bekommen und die Fortsetzung eines Kampfjetdeals, der jedoch ohnehin lief. Im Nachhinein stellt sich eher die Frage, warum er sich dann überhaupt quergestellt hat. Schurkensoli mit Putin und Erdoğan und schade eigentlich, dass keine substanzielle Debatte über die Nato-Erweiterung rauskommen kann bei solchen Protagonisten.
Nach Einschätzung seiner Ärzte ist der US-Präsident uneingeschränkt fit für seinen Job. Hört das Biden-Bashing jetzt auf, oder haben alle einfach zu viel Spaß daran?
Konrad Adenauer war bei seinem Rücktritt 87, das kann Biden nicht mehr schaffen. Am Ende einer nächsten Amtszeit wäre er 86. Ein Unterschied ist mediale Rund-um-die-Uhr-Überwachung, mit der man vermutlich auch den deutschen Urkanzler zum greisen Honk hätte runterfotografieren können. Sei's drum, es ist ein Wahlkampf morsch gegen dorsch.
Und was machen die Borussen?
Nach dem Sieg bei Union ist Trainer Edin Terzić wieder im Spiel. Bayern ist ein Drama, wir sind ’ne Soap. Fragen: Livio Koppe
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Deutungskampf nach Magdeburg
„Es wird versucht, das komplett zu leugnen“
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Aktionismus nach Magdeburg-Terror
Besser erst mal nachdenken
Gedenken an den Magdeburger Anschlag
Trauer und Anspannung