EMtaz: Nach der Halbfinal-Niederlage: Was heißt hier „tolle Mannschaft“?
Das EM-Fazit von Trainer Joachim Löw lautet: „eine tolle Mannschaft“. Dabei wird Deutschland doch gar nicht Europameister. Kann das also sein?
Marseille taz | Jetzt ist die Frage selbstverständlich: Woran hat's gelegen? Joachim Löw ist der Meinung, dass es von Menschen unbeeinflussbare Faktoren waren, die in der Nacht von Marseille zum 0:2 gegen Gastgeber Frankreich geführt hat. Der Fußball-Bundestrainer besteht darauf, dass sein Team im EM-Halbfinale „die bessere Mannschaft“ war, die Didier Deschamps' Franzosen weitestgehend taktisch und körperlich beherrscht habe.
Für den Heimflug am Freitag hatte er mit seinem Trainerteam eine Besprechung anberaumt, wann und wo man dieses Turnier analysieren werde. Aber, sagte er noch in Marseille und versuchte dabei einen möglichst entspannten Eindruck zu machen: „Insgesamt wird es eher eine kurze Analyse geben: So viele Fehler habe ich nicht festgestellt bei diesem Turnier.“ Fazit: „Eine tolle Mannschaft.“
Damit ist die nächste Frage: Kommt er damit durch, werden sich Medien und Öffentlichkeit bei ihren Analysen auch so kurz halten und dieser sehr absolut daherkommenden Vorgabe anschließen?
Zunächst mal: Es war eine großartige Nacht in Marseille, aber eben am Ende eine großartige französische Nacht. Aus Sicht von Selectionneur Deschamps kann man den Spielverlauf ideal nennen, Konkret: Antoine Griezmanns Führungstreffer per Handelfmeter in der Nachspielzeit der ersten Halbzeit. Nach einer französischen Ecke war Bastian Schweinsteiger der Ball an die Hand geraten. „Das ist einfach auch Pech“, sagte Löw. War es auch. „Wenn wir mit 0:0 in die Halbzeit gehen, passiert gar nichts“, behauptete Torhüter Manuel Neuer. Selbst die französischen Spieler wie Olivier Giroud sagen, dass „der Elfmeter das Spiel entscheidend verändert hat.“ Davor waren die Deutschen klar in Kontrolle gewesen, das Tor spielte Frankreich extrem in die Hände.
Deutschland fehlt ein Antoine Griezmann
Wenn man nun fragt, warum das Team nicht in der Lage war, selbst ein Tor zu schießen, dann betritt man ein weites Feld. Tja. „So ist es manchmal“, sagte Schweinsteiger. Deschamps hatte trotz des Verzichts auf seinen zentralen Mittelfeldspieler N’Golo Kanté alles andere als offensiv gespielt, sondern sehr kompakt gestanden und versucht, die Deutschen in die Falle zu locken und sie mit seinen Umschaltspielern auszukontern. Frankreichs Abwehr ist doch besser, als sie ihre Kritiker gemacht haben. Und die Deutschen mussten höllisch aufpassen.
Zum anderen waren die Möglichkeiten des ersatzgeschwächten Teams ohne Khedira, Gomez und vor allem auch Hummels doch begrenzter als erhofft. Es reichte für Dominanz mit breit aufgezogenem Ballbesitzspiel, aber nicht für die Klasse, die es gebraucht hätte, einen Rückstand zu drehen.
Es fängt damit an, dass Hummels-Vertreter Benedikt Höwedes zwar gegen Giroud das großartigste Tackling gelang, seit Frank de Boer 1998 im WM-Halbfinale an gleicher Stelle gegen Brasiliens Ronaldo rettete. Aber mit dem Ball ist der Schalker nicht zu gebrauchen. Um auf so engem Raum aus dem Spiel heraus Tore zu schießen und gleichzeitig stabil bleiben zu können, müssen sich herausragende Qualitäten so verknüpfen, dass eine Kette entsteht. Und diese Kette entstand nicht.
Und dann sind die Deutschen in diesem Turnier eben auch nicht so effizient vor dem Tor gewesen, wie das die Franzosen sind oder genauer gesagt, wie es Antoine Griezmann ist.
Abgehängte Traditionalisten argwöhnen
Der Stürmer von Atletico Madrid ist wirklich der herausragende Offensivspieler dieses Turniers. Falls die Frage wirklich offen war, ob es die EM von Dimitri Payet oder Griezmann würde. Sie hat sich erledigt. Griezmann, 25, ist in seiner eigenen Klasse: Schnell, dribbelstark, großes Raumgefühl und dann wirklich klinisch vor dem Torwart. „Eiskalt“ nannte Neuer das. Nicht nur beim Strafstoß, sondern auch beim 2:0 (72.), als er sich genau an die Stelle schlich, an der eine Fehlerkette der Deutschen den Ball landen ließ.
Joachim Löw hat die Deutschen nicht nur seit 2006 jedes Mal mindestens ins Halbfinale der großen Turniere geführt. Er hat den deutschen Verbandsfußball transformiert und vor allem die kollektive Idee, wie dieser zu sein habe. Hässlich, aber am Ende siegreich. Seit Löw begründen die Deutschen ihren Fußball mit Ästhetik und Moderne – und gewinnen. Jedenfalls meistens. Und doch oder genau deshalb wird Löw immer noch beargwöhnt, vor allem von den abgehängten Traditionalisten.
Er hat es im Verlauf der EM immer wieder geschafft, Probleme zu lösen, personell-positionelle Defizite zu kompensieren und erfolgreiche Variationen seines Spielstils für den entsprechenden Gegner zu finden. Philipp Lahm fehlt, ja. Aber der Witz an Lahm ist nun mal, dass er ein solitärer Spieler ist. Löw hat auch keinen Klose mehr, und er hat Mario Gomez als eine Variante recycelt, und Gomez war eine effektive. (Götze weniger.) Er hat keinen Superdribbler, und Draxler ist das Nächstbeste. Er hat sich vom aktionistischen Flankenschlagen nur wenig anstecken lassen. Er hat die Mühen der Höhe im Griff. In der Regel.
Für Löw ist das Spiel der Franzosen zum Kotzen
Die naheliegende Erklärung lautet also, dass im Halbfinale von Marseille einfach zu viel Probleme zusammen kamen. Eine andere Erklärung wäre, dass die permanente Entwicklung des Teams mit dem WM-Titel 2014 an ein Ende gekommen ist oder sogar rückläufig ist. In der Qualifikation war das Team nicht so souverän und spektakulär wie in den Jahren zuvor. Auf der anderen Seite sind die Deutschen in Löws ersten Jahren von Spanien noch klar dominiert worden. Inzwischen wollen sie jedes Spiel dominieren und tun das auch. Und die anderen stehen hinten drin.
Löws Hoffnung, dass ab dem EM-Achtelfinale offener Fußball gespielt würde, hat sich nicht erfüllt. Deschamps hatte sich sehr genau überlegt, wie er dem deutschen Dominanzspiel begegnen würde. Und am Ende konnte Toni Kroos keinen entscheidenden Ball durchstecken und Mesut Özil auch nicht. Und die Chancen war auch längst nicht so groß, wie Löw tat.
Aber dass selbst die Franzosen nach einer Viertelstunde so tief wie die üblichen Verdächtigen verteidigten, mag ein Grund sein, warum der Bundestrainer bei allem Respekt für Deschamps und dem Wissen, dass Tore zählen, doch ständig insistiert, das bessere Team gehabt zu haben. Er kann so einen Fußball einfach nicht ab. Es erscheint ihm – so war der Eindruck in Marseille – als zu akzeptierender Teil der Unkalkulierbarkeit des Spiels. Aber gleichzeitig könnte er kotzen.
Die Deutschen seien immer noch die Besten, sagt Deschamps. Aber nach Paris fahren die Franzosen und die Portugiesen und man wird sehen, wer sich am Sonntag tiefer hinten reinstellt. Durch die Erweiterung auf 24 Teams hat diese EM europäische Teilhabe von bisher ausgeschlossenen Teams und Fußballgesellschaften hergestellt. Der Preis ist, dass das Turnier die Fußballmoderne nicht definiert. Um es mal freundlich zu sagen.
Es gab aber auch großartige Spiele. Eines war das 2:0 von Contes Italien über die Spanier. Und das andere war das deutsche 1:1 gegen Italien im Viertelfinale. Das war der Höhepunkt von Löws bisherigem Schaffen. Eine dermaßen reife Leistung hätte man dem Team nicht zugetraut. Das war besser als das 7:1 von Rio 2014, das ihm in den Schoß fiel. Anders als nun gegen Frankreich dominierten die Deutschen die Italiener strategisch auf der ganzen Linie und agierten makellos.
Da war wirklich alles am richtigen Platz. Abgesehen von Boatengs Hand.
Leser*innenkommentare
mundomejor
Man muss sich das mal klarmachen, dass ein Fußballprofi wie Schweinsteiger mit beiden erhobenen Armen voran im eigenen Strafraum einen Ball abfängt und damit den Elmeter auslöst! Ein Vollprofi! Unfassbar und unglaublich!
Ein Profi, der genau weiß, es im Blut hat, tausendmal klargemacht, die Arme bleiben unten, das passiert nicht einfach so, das war Absicht!
Ich glaube das Spiel war gekauft, oder wenigstens abgesprochen, damit die Franzosen, verletzt und gedemütigt durch die EU Krise und die Terroranschläge, wenigstens die EM als Sieger einfahren können. Es gab so manche merkwürdige Szene in dem Spiel. Auch vor der EM wurde schon ganz öffentlich die Wirkung eines Sieges bei der EM im eigenen Land als Medizin für das Volk hervorgehoben. Manipulationen sind im Fußball Genre an der Tagesordnung, daher ist das für mich absolut vorstellbar. Es ist sowieso viel zu viel Geld im Spiel und die Wahrheit kommt immer zu kurz.
Im Übrigen finden die vielen Spiele m.E. ja auch nicht um der Spiele Willen statt, sondern um genügend Möglichkeiten zu haben, Werbeeinnahmen zu generieren und Stars aufzubauen, damit das geneigte Volk durch Brot und Spiele von den tatsächlichen Geschehnissen und hinterhältigen Gesetzesvorhaben abgelenkt wird, eingelullt und beschäftigt mit dem wochenlangen Glitzer Glamour Unsinn, nichts mitbekommt. Das wiederum passt auch zum Fußball als Mittel zum Zweck.
Brot und Spiele, das kannten und praktizierten schon die Römer recht gut.
Rainer B.
Seltsam ist das alles in der Tat. Es war ja bereits der zweite Elfmeter, der durch hochgerissene Arme eines Spielers der deutschen Mannschaft zustande kam. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass die jetzt neuerdings so einen Blödsinn trainieren.
Wenn es eine Absprache gab, dann war der Schiedsrichter aber auch eingeweiht, denn der soll ja so ungünstig gestanden haben, dass er diese Elfmeter-Entscheidung so eigentlich gar nicht hätte treffen können.
Co-Bold
Bei dem Nachnamen hat Griezmann doch bestimmt deutsche Vorfahren oder zumindest aus dem Elsaß, das sollte doch reichen, um da was zu deichseln im Hinblick auf die Zukunft der Mannschaft ab WM 2018 ;-)
Er muss ja nicht unbedingt in meiner Nachbarschaft wohnen... :-D
Lowandorder
Elsaß - da geht noch was¿
Das - mit Verlaub - Das lass!
Na - & Einmarschieren -
Bitte bitte - Nicht - Probieren!
Auch - tricky & Anschließen -
Tät - mit Verlaub - Verdrießen! &
Öh - Beitritt¿ - Alles Schlimmer Ritt!
Denn beim ZündhölzchenZiehen
Ja das - Das ist längst Legende!
Hatten Elsässer stets - Das kurze Ende!
Henri Sinople
.. und da sage noch jemand, Fußball habe nichts mit Politik zu tun;)
Lowandorder
Na Servus! Er nu wieder;)
"…man wird sehen, wer sich am Sonntag tiefer hinten reinstellt. Durch die Erweiterung auf 24 Teams hat diese EM europäische Teilhabe von bisher ausgeschlossenen Teams und Fußballgesellschaften hergestellt. Der Preis ist, dass das Turnier die Fußballmoderne nicht definiert. Um es mal freundlich zu sagen.…" &
Frauman so freundlich ist - 's -
Unser aller Fußballphilosoph durchgehen zu lassen -
Daß er solches so sagen kann!
kurz - Alles ohne Hand&Fuß -
Wie Boatengs nicht am richtigen
Platz - Wenn mann das so sagen noch
können darf. Na sischer dat;)
Danke. &
Fin¿!
D-h. Beckmann
Die Übertriebene Taktik (Anteil an Ballbesitz) hat Deutschland nicht geholfen und Deutschland glänzte nicht, weder in den Beinen noch im Kopf.
Das Deutschland geschwächt war, weil Hummels nicht spielen durfte und Boateng ausgewechselt werden musste, war bei den Franzosen nicht anders. Bei den Franzosen fehlten die zwei besten Verteidiger wegen Verletzungen von Anfang an, Hummels und Boateng nur temporär. Seitdem Klose nicht mehr spielt, ist "Vorne" tote "Hose".
Rainer B.
Löw hat doch völlig recht, wenn er von einer "tollen Mannschaft" spricht. Trotz Verletzungen, ungerechtfertigten Gelb-Sperren und spürbarem Generationenwechsel habe ich eine Mannschaft gesehen, die den Sieg durchaus verdient gehabt hätte. Sie hat über weite Strecken hervorragend verteidigt und hatte auch nach vorne reichlich Torchancen.
Am Ende des Tages vergißt man leider nur zu leicht, dass Fußball im Grunde ein ganz simples Spiel ist, bei dem genau zwei Dinge entscheiden:
1. Die Tore
2. Die Schiedsrichter
Sicherlich eine tolle Mannschaft, aber eben so sicher keine dominante Mannschaft, denn eine dominante Mannschaft ist immer mindestens ein Tor voraus. Glückwunsch an die Franzosen, die jetzt im Finale noch beweisen müssen, was sie drauf haben - oder eben auch nicht.
Georg Schmidt
schön spielen, die bessere Mannschaft verloren, die schlechtere Mannschaft hat gewonnen, und die Tore geschossen, also unverdient gewonnen, Löws Interview war eine einzige naja, aber haare schön!
mowgli
"Das EM-Fazit von Trainer Joachim Löw lautet: 'eine tolle Mannschaft'. Dabei wird Deutschland doch gar nicht Europameister. Kann das also sein?"
Klar kann das sein. Fußball ist schließlich immer noch ein SPIEL, nicht nur ein Geschäft oder gar ein (Stellvertreter-)Krieg. Ein Glück, das sich nicht zwingen lässt, mag ja nach Ansicht des Bundestrainers zum Kotzen sein, es ist aber immer noch ein "zu akzeptierender Teil der Unkalkulierbarkeit" jedes Spiels. Wer daran etwas ändern will, weil er sich was beweisen muss, ist also eigentlich nur eins: Ein blöder Spielverderber.