EMtaz: Kolumne Ost-Schau: Scharfe Trennlinien
Wenn Fußballfans in der Republik Moldau ein Team unterstützen, ist das oft ein politisches Credo. Die Frage lautet auch: Für oder gegen Russland?
T atort: Der Platz vor der Oper am Boulevard Ștefan cel Mare im Zentrum der moldauischen Hauptstadt Chișinău. Trotz Nieselregens haben sich hier am Sonntagabend etwa 1.000 Fans eingefunden, um sich das Spiel Deutschland gegen die Ukraine anzusehen. Die ukrainischen Fans sind merklich in Überzahl, aber es gibt auch einige versprengte Gestalten, die T-Shirts mit den Namen von Schweinsteiger, Özil und Boateng tragen.
Auch Mariana Galben (der Nachname ist rumänisch und bedeutet „gelb“) hat sich unter die Neugierigen gemischt. Nach dem Spiel sagt sie: „Ich dachte, dass Deutschland die Ukraine mit 5:0 in Grund und Boden spielen würde. Doch offenbar haben die Deutschen ihren Gegner geschont.“
Die 29-jährige Journalistin ist seit frühester Jugend fußballverrückt – für Frauen in Moldau eher eine seltene Vorliebe, was zwangsläufig zum Public Viewing mit männlicher Dominanz führt.
Doch an der heimischen Front gibt es nur wenig Anlass zur Freunde. Der Drei-Millionen-Einwohner-Staat zwischen Rumänien und der Ukraine, der seit 1991 unabhängig ist, hat zwar immerhin eine eigene Mannschaft, hat sich aber noch nie für eine WM oder EM qualifizieren können.
Schuften im Westen oder in Russland
Auch jenseits des Sports führt das Ländchen ein Schattendasein. Trotz eines Assozierungsabkommens mit der EU ist die wirtschaftliche Lage desolat. Deswegen schuftet ein Großteil der erwerbstätigen Bevölkerung sowohl im westlichen Ausland als auch in Russland.
Genau zwischen diesen beiden Polen verläuft auch eine Trennlinie mitten durch die Gesellschaft. Eine Hälfte sucht ihr Heil in einer Annäherung an den Westen, die andere Hälfte in einer Hinwendung zum Reich von Wladimir Putin. Hinzu kommt ein seit den 90er Jahren eingefrorener Konflikt mit der abtrünnigen Region Transnistrien, die ebenfalls in Richtung Moskau schielt.
Kurz gesagt: In Moldau ist alles ein wenig unübersichtlich und vertrackt. Und genau deshalb ist Fußball eben nicht nur ein Spiel, sondern eine Art politisches Credo. So werden Teams aus Ländern unterstützt, von wo arbeitende Verwandte Geld schicken.
Wer mit Russland nichts am Hut hat, wird der Sbornaja wünschen, dass sie so schnell wie möglich ausscheidet. Und er/sie wird natürlich aus Solidarität für die Ukraine grölen, die sich seit 2014 mit dem Nachbarn in einem unerklärten Krieg befindet.
Patriotische Pflicht
Und last but not least wird er/sie die rumänische Nationalmannschaft unterstützen – ein Land, dem sich ein Teil qua Kultur, Sprache und jetzt auch eines rumänischen Reisepasses verbunden fühlt.
„Die Rumänen spielen leider nicht so gut, aber immerhin haben sie sich gegen Frankreich nicht blamiert“, sagt Mariana. Und: „Diese Mannschaft zu unterstützen ist für mich eine patriotische Pflicht.“
Doch Patriotismus hin oder her: Mariana schreit sich auch für die Deutschen die Kehle aus dem Hals, die sie für einen Anwärter auf den Turniersieg hält. „Der Schuss von Schweini“, sagt sie, „war einfach super!“
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