EMtaz: Fußball im Fernsehen: Nicht sauber, sondern rein
Szenen randalierender Fußball-Fans im Stadion blendet die Uefa einfach aus. Dadurch verkauft der Veranstalter die Zuschauer für dumm.
Samstagabend im Stade Vélodrome von Marseille: Kurz vor Schluss stürmen russische Fans einen Block voller englischer und französischer Zuschauer. Raketen fliegen. Fäuste auch. Zuschauer klettern über Zäune und stürmen aufs Feld. Nicht um zu flitzen, sondern um zu fliehen.
Die Fernsehzuschauerinnen und -zuschauer sehen davon: nichts. Also fast nichts. Als die russischen Spieler in die Kurve gehen, um sich bei ihren Fans zu bedanken, ist in ihren Gesichtern zu lesen, dass sie etwas sehen, was sie nicht sehen wollen. Nur am Rande sind ein geräumter Block, rennende Menschen und ein Hauch von Panik zu erkennen. Doch die Kameras schwenken schnell weg.
„Es ist die internationale Regie, die hier die Bilder macht“, entschuldigt sich ZDF-Reporter Oliver Schmidt. Und die Uefa-Regie will solche Bilder nicht zeigen. Sie hält den Zuschauer bewusst dumm. Sie tut so, als gäbe es diese Ausschreitungen nicht.
Auf den internationalen Fernsehbildern sind die Arenen immer voll, die Zuschauer immer jung und attraktiv und meistens weiblich. Das klinisch reine Fußballvergnügen. Wer diese Art der Präsentation mag, mag auch: Sagrotan Wäsche-Hygienespüler, 1,5 l, EUR 3,99 sowie 2er-Set Autofahne Deutschland Flagge, EUR 4,99.
Massen an Uefa-Promomaterial
So honorig es war, wie ZDF-Mann Schmidt darauf hinwies, was im Stadion passierte und wer dafür verantwortlich sei, dass nichts davon gezeigt wird, so fragwürdig ist es, wie die TV-Sender insgesamt mit dieser Gängelung durch den Veranstalter umgehen: Die Randale spielte in der Spielnachbetrachtung des ZDF aus Paris kaum eine Rolle. Was soll der ehemalige englische Internationale Phil Neville auch dazu sagen?
Stattdessen senden ARD und ZDF ungekennzeichnet Massen an Uefa-Promomaterial. Achten Sie mal darauf: Die aufwändig inszenierten, vor dunklem Hintergrund gehaltenen Einspieler von Trainern oder berühmten Spielern – alle von der Uefa zur Verfügung gestellt.
Das NDR-Medienmagazin „Zapp“ hat sich auch gerade erst mit dem Thema beschäftigt. Dort argumentieren ARD und ZDF so: Wir entscheiden, welche Ausschnitte wir senden; ist das Material zu werblich, würde es nicht gezeigt; und es sei ja generell so schwer geworden, an Spieler und Trainer heranzukommen, da müsse man halt auf das zurückgreifen, was komme.
Ja, das stimmt alles, die Uefa ist ein übler Monopolist. Die wollen am liebsten ganze Beiträge bei den Sendern unterbringen, die Interviews nach den Spielen selber führen.
Von wegen erste Reihe
Dennoch bleibt es unbefriedigend, welch unvollständiges Bild von diesem Turnier ARD und ZDF liefern. Nichts mit erster Reihe und so. Wer mehr über die Ausschreitungen beim Russland-England-Spiel wissen wollte, wurde bei den Zeitungen, deren Onlineablegern und vor allem bei Twitter besser bedient.
Dort konnte man auch Videos sehen, die den gesamten Flug der Rakete aus dem russischen Block zeigen: Sie landete zwischen Dutzenden Zuschauern auf der Gegentribüne. Nicht schön, aber Teil dieses Turniers – ob die Uefa das will oder nicht.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche
Mitarbeiter des Monats
Wenn’s gut werden muss
Gerhart Baum ist tot
Die FDP verliert ihr sozialliberales Gewissen
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen
Jugendliche in Deutschland
Rechtssein zum Dazugehören