EM-Viertelfinale Spanien gegen Schweiz: Monopol auf den Ball

Spaniens immer noch gewöhnungsbedürftiger Kader hat sich freigespielt. Trainer Luis Enrique will dem Ballbesitz zu neuer Blüte verhelfen.

Fussballspieler Ferran Torres gratuliert Pedri der sein Trikot ausgezogen hat

Respekt, Junge! Ferran Torres gratuliert Pedri zu dessen Leistung gegen Kroatien Foto: Wolfgang Rattay/ap

Es ist ein gewagtes Experiment, das Spaniens Trainer Luis Enrique während dieser Europameisterschaft durchführt. Er stellt den Nationalmannschaftsfußball seines Landes auf neue Beine. Die Angst, dass das nicht gut gehen würde, war so groß, dass bei den Spielen seines Teams in Sevilla gepfiffen wurde, als bei der Verkündung der Aufstellung sein Name genannt wurde. Und jetzt? Die Stimmung hat sich gedreht. 11 Tore hat Spanien nun schon geschossen.

Beim 5:3 gegen Kroatien haben Enriques Mannen bis auf zehn Minuten, in denen den Gegnern der Ausgleich gelungen ist, einen Angriff nach dem anderen bis zum Torabschluss blitzsauber vorgetragen. Spanien ist plötzlich ein Titelfavorit. So schnell kann’s gehen, auch wenn im Viertelfinale am Freitag in St. Petersburg (18 Uhr, ZDF), erst einmal Weltmeisterbesieger Schweiz geschlagen werden muss.

Eigentlich ist es verrückt, was Enrique da gemacht hat. Auch nach vier EM-Spielen wird es immer noch Menschen geben, die sich die Augen reiben, wenn sie die Kaderliste der Spanier durchgehen und keinen einzigen Spieler von Real Madrid darin erblicken. Enrique hat begonnen zusammenzubauen, was ihm gefällt.

Nur auf ein bewährtes Bauteil wollte er nicht verzichten. Sergio Busquets, der nun schon 125 Mal für die Nationalmannschaft aufgelaufen ist, sorgt auch in Enriques Ballspielgruppe für den Überblick im hinteren Mittelfeld. Er weiß meist schon, wie er das Angriffsspiel einleiten wird, bevor er einen Ball erobert hat. Nach seiner Corona-Infektion musste er die ersten beiden Spiele aussetzen. In den Spielen, in denen er dabei war, haben die Spanier zehn Tore geschossen. Gut möglich, dass es da einen gewissen Zusammenhang gibt.

Geist im Team

Charakter habe die Mannschaft gezeigt im Spiel gegen Kroatien, sagte der 32-Jährige nach dem Kroatienspiel mit der Trophäe in der Hand, die ein Industriebierkonzern dem jeweiligen „Star of the Match“ spendiert. Vom Team-Spirit redet auch Luis Enrique oft. Um ebendiesen Geist zu wecken, habe er nur 24 Spieler nominiert, so viele eben, wie auch auf der Auswechselbank Platz nehmen dürfen. 26 hätte er nominieren dürfen, von denen dann immer zwei auf der Tribüne hätten sitzen müssen. Alle sollen sich immer dazugehörig fühlen.

Und vielleicht ist es ja dieser Geist, der den 18-jährigen Pedri, der nun schon 390 Turnierminuten auf seinem jugendlichen Buckel hat, so viel Sicherheit gibt, dass 91 Prozent seiner über 300 Pässe den richtigen Abnehmer finden. Pedri steht mit seinen 18 Jahren für die Zuverlässigkeit des spanischen Passspiels. Dass er dazu noch kreativ ist, macht ihn für Enrique unverzichtbar.

Dass es Pedris Rückpass war, der den Kroa­ten wie aus dem Nichts die 1:0-Führung ermöglichte, weil Torwart Unai Simón sich beim Stoppen des Balls verschätzt hatte, konnte den verspielten Kerl jedenfalls nicht verunsichern. Den Torhüter selbst ja auch nicht. Der wurde nach seinem Aussetzer noch zum Helden des Spiels. Dass der Keeper von Athletic Bilbao überhaupt zum Stammtorhüter der Spanier geworden ist, auch das gehört zu den nicht gerade naheliegenden Entscheidungen, für die Enrique bekannt ist. Manchester Uniteds David de Gea jedenfalls sitzt auf der Bank.

Nach einem zaghaften Turnierbeginn hat sich Spanien in einen wahren Rausch gespielt

Und dann ist da noch die Spielidee. Luis Enrique möchte es sich nicht nehmen lassen, dem Ballbesitzfußball zu huldigen. Was so schrecklich uninspiriert ausgesehen hat in den Gruppenspielen gegen Schweden (0:0) und Polen (1:1), das war gegen die Slowakei (5:0) schon sehr ansehnlich und gegen Kroatien, den Vizeweltmeister, beinahe rauschhaft.

Die Behäbigkeit war gewichen, das Passspiel hatte einen Sinn, und immer wieder gelang es mit vertikalen Bällen in Richtung Torauslinie Tempo in das Dominanzspiel zu bringen. Wenn dann mit Álvaro Morata und Pablo Sarrabia endlich diejenigen treffen, die so lange wegen ihrer Fehlschüsse in der Kritik standen, ja, wer soll die Spanier denn dann bitte sehr aufhalten.

Die Schweizer, denen ihr zentraler Ankerspieler Granit Xhaka wegen einer Gelbsperre fehlt, müssten schon noch einmal ein Spiel auspacken, wie es ihnen gegen Frankreich gelungen ist, um das zu schaffen. Viel Kraft und Ausdauer wird das kosten. Die körperliche Zermürbung der Gegner gehört zu Enriques Konzept. „Wer uns schlagen will, muss viel laufen“, sagte er nach dem Sieg gegen Kroatien. So ging es einst allen Teams, die den weltmeisterlichen Tikitakisten von 2010 hinterherzulaufen versuchten. Es ist der Ballbesitzfußball spanischer Schule, den Trainer Enrique mit neuen Gesichtern zu altem Glanz verhelfen möchte. Es könnte klappen.

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