EM-Spiele live kommentieren: Jetzt kann jeder Réthy
Die Fernsehkommentare zu den Spielen sind nicht selten eine Zumutung. Auf marcel-ist-reif.de kann man es jetzt selber besser machen. Oder noch schlechter.
BERLIN taz | „Zlatan Ibrahimovic wird in seiner Heimat Zlatan genannt“, weiß Wolf-Dieter Poschmann. „Iniesta denkt mit dem Fuß“, sagt Béla Réthy und man kippt fast vom Stuhl, so schief ist das Bild. Fernsehfußballkommentatoren haben einen anspruchsvollen Job, aber manchmal ist Mitleid nicht die Lösung.
Eine Alternative eröffneten pünktlich zur EM Moritz Eckert und Wendelin Hübner. Auf der Webseite marcel-ist-reif.de kann jeder Fußballspiele kommentieren oder anderen Laienkommentatoren zuhören. Fernseher an, Ton aus und einen Livestream auf der Seite auswählen: „Das erinnert an das Wunder von Bern. Nicht zu verwechseln mit dem Wunder vom Bären. Das ist der Flughafen Berlin-Schönefeld.“ Oder: „Boateng geht als Verteidiger einfach mal nach vorne. Schnell wieder nach hinten mit dir! Er ist einfach kein guter Torschütze, der Boateng. Hat er auch gar nicht nötig. Solange er bei Gina-Lisa trifft, ist alles in Ordnung.“
Kommentare wie diese von Sebastian Stinson zum Spiel Deutschland gegen die Niederlande sind eine willkommene Abwechslung zum altbackenen Raunen der Fernsehsprecher. Auf Hochdeutsch, Niederösterreichisch oder Arabisch kommentieren Dampfplauderer und Analysten auf marcel-ist-reif.de die Spiele der EM.
Auch Moritz Eckert, der Erfinder der Seite, kommentiert: „Oh, Zuschauer in Nahaufnahme. Die Bildregie beim ZDF gibt jetzt auch langsam auf, weil das Spiel nicht so viele Zeitlupen hergibt, die sie zeigen können.“ Die Idee für die Seite kam Eckert am Kiosk. Draußen kommentierten Studenten ein Fußballspiel. Drinnen schimpfte der Verkäufer in schönster Berliner Schnauze über das Spielergebnis. Diese Menschen muss jeder hören können, dachte Eckert und schuf ihnen eine Plattform.
Nicht jeder kann witzig
Aber längst nicht jeder der Hobbykommentatoren ist so originell und witzig, wie die Seite es anpreist. Viele sind ahnungslos, langweilig oder haben einfach nichts zu sagen. Kommentatoren mit Namen wie „Berti_Furz“ oder „PHallack“ lassen eine Menge Fäkalwitze und Pubertierendensprech befürchten. Zum Deutschlandspiel am Mittwoch waren diese zum Glück nicht online. Aber an der Zahl der jeweiligen Zuhörer kann man schnell sehen, welchen Kommentator einzuschalten sich lohnt.
Die Tonqualität hält sich allerdings in Grenzen. Die Kommentare werden mit Stadiongegröhle unterlegt. Zusammen mit dem Rauschen der billigen Headsetmikros verbinden sich die Fangesänge zu einer akustischen Kulisse wie in einem Bienenstock.
Trotz alledem: Der Ansturm auf das junge Portal ist riesig. Fast minütlich melden sich neue Kommentatoren fürs Spiel Deutschland gegen die Niederlande an. „Technisch sind wir beruhigt, dass die Seite noch nicht auseinandergefallen ist“, so der Macher Wendelin Hübner. Innerhalb weniger Tage teilen über fünftausend Menschen die Seite bei Facebook und Co.
Kleinere technische Probleme gibt es durch die hohe Auslastung aber doch: „Wir sind noch weit von einer perfekten Plattform entfernt.“ Hörer haben außerdem mit der Zeitverzögerung zwischen Fernsehsignal und Internetübertragung zu kämpfen. Zwar gibt es ein Tool, um die Geschwindigkeit anzupassen, aber beim Zappen zwischen mehreren Kommentatoren ist das ständige Ausrichten mühsam.
Dafür ist die Seite nicht kommerziell und soll auch erst mal werbefrei bleiben, sagt Hübner. „Wir wissen nicht, wie es weitergeht. Wir genießen erst mal die EM und sehen dann weiter.“
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