Durs Grünbeins „Der Komet“ auf der Bühne: Dresden sitzt sich selbst gegenüber
Tilmann Köhler inszeniert Durs Grünbeins Roman „Der Komet“ über das Dresden der NS-Zeit fürs dortige Staatsschauspiel. Dabei setzt er voll aufs Sprechtheater.
![Bild von der Theaterbühne im Staatsschauspiel Dresden, die Darsteller stehen unter einem deckenfüllenden Spiegel Bild von der Theaterbühne im Staatsschauspiel Dresden, die Darsteller stehen unter einem deckenfüllenden Spiegel](https://taz.de/picture/7493993/14/25084-der-komet-017-presse-fotosebastianhoppe-1.jpeg)
Es mag kein Zufall sein, dass Durs Grünbeins „Der Komet“ gerade jetzt seinen Weg auf die Bühne des Staatsschauspiels Dresden findet, wo doch vielerorts daran erinnert wird, dass Auschwitz vor 80 Jahren befreit wurde. Gleichsam jähren sich am 13. Februar auch die Luftangriffe auf Dresden zum 80. Mal, deren Gedenken die Stadt bekanntlich spaltet. In diejenigen, die einer Legende von der Unschuld Dresdens an den Zerstörungen und 25.000 Opfern folgen. Und in jene, die „Nie wieder!“ rufen und „Wehret den Anfängen!“.
Grünbeins jüngster Roman, erschienen 2023, ist einerseits ein Roman über diese Stadt; ein faktenreicher literarischer Stadtführer, ja sogar eine Liebeserklärung an Dresden, wo der Autor 1962 geboren wurde. Eine Kunststadt ist sie für Grünbein weiterhin, „altehrwürdig“, wird in den 1930ern aber als dynamisch, gar „erotisch“ beschrieben, schwer vorstellbar heute. Sie ist der Sehnsuchtsort für Dora, Grünbeins Großmutter, die vom schlesischen Lande herkommt und mit ihrer großen Liebe Oskar vier „goldene Jahre“ bis zum Kriegsausbruch 1939 erlebt. Bis er eingezogen wird und als verschollen an der Ostfront gilt und bis Dora mit ihren beiden Mädchen das Bombardement Dresdens knapp überlebt.
In diese biografische Erzählung spielt das andere Dresden hinein, das meist verdrängte. Die erste Reichstheaterfestwoche 1934, ein Jahr zuvor schon die erste weichenstellende Ausstellung „Entartete Kunst“, eine höfische Stadt des besonders devoten Führerkults. Der Grundstein für ein größenwahnsinniges Gauforum war schon gelegt. Das einfache, aber seelisch und moralisch intakte Paar erlebt, wie Repressionen im gleichgeschalteten Staat immer mehr auf sein Leben durchgreifen.
Das ist im Grunde „Oral History“, die authentische Auffächerung von Geschichte als eine Summe von Geschichten. Die Romanvorlage erzählt und beschreibt überwiegend, Dialoge sind selten. Ein Handicap für die Bühne? Regisseur Tilmann Köhler wählt erstaunlicherweise das Einfache, das schwer zu machen ist. Er lässt die sieben Darstellenden den Text nacherzählen. Verteilte Rollen, dann wieder chorisch im Block, imponierende Soli, gelegentlich ein schlichtes Lied, begleitet nur von einer dezenten Gitarre. Mit solchen exzellenten Schauspielern kann man das wagen. Sie verdienen eigentlich ein Kollektivlob, aber Henriette Hölzel und Karina Plachetka kommen den Vorstellungen von der sympathischen, sinnlichen Hauptfigur Dora vielleicht am nächsten.
Nix für Castorf-Anhänger
Köhler war schon in seiner Zeit als junger Hausregisseur am Staatsschauspiel bis 2016 kein Krawallmacher, sondern ein solider Arbeiter. Anhänger von Frank Castorf sollten sich also diesen Theaterbesuch schenken. Sie würden halbstündiges Kino auf der Hinterbühne, aufgesetzte Predigten und Drastik nur vermissen.
Köhler setzt stattdessen auf die ursprüngliche Kraft des Sprechtheaters. Das Konventionelle kann ja heute schon wieder als ausgefallen gelten. Sparsamkeit erweist sich als Gewinn. Man erlebt viel mehr als etwa eine szenische Lesung, denn die Illustrationen sind sehr genau gearbeitet und gestische Unterstreichungen harmonieren. Das nutzt sich über zweieinhalb Stunden reine Spielzeit auch nicht ab oder erschöpft sich in Stereotypen.
Bei der von Regie und Spielern gemeinsam vorgenommenen Textauswahl kommen allerdings die vom Autor ins Biografisch-Narrative eingestreuten bekenntnishaft-essayistischen Passagen zu kurz. Sie stellen den Zeitkontext her und verweisen damit unaufdringlich auf bestürzende Parallelen heute.
Das Bühnenbild von Karoly Risz ist ein Statement für sich. Eine schräge Spielfläche mag wiederum modisch erscheinen, aber hier stimmt das Sinnbild. Heute wie damals gerät alles ins Rutschen, sogar der Kinderwagen muss festgehalten werden. Die Fläche zeigt einen stilisierten Dresdner Innenstadtplan. Einzelne Planquadrate können herausgenommen werden, um bestimmte Orte zu simulieren, ein Verschwinden im Untergrund ist ebenso möglich.
Narzisstische Selbstbespiegelung
Als besonders bildstark erweist sich der zunächst kaum beachtete Deckenspiegel. Den titelgebenden Unheilkometen Halley von 1910 kann man da oben vermuten, ebenso den 1937 verunglückten Zeppelin „Hindenburg“, der die Bombergeschwader vorwegnahm. Gegen Ende senkt sich der Spiegel schräg herab und die zu narzisstischer Selbstbespiegelung neigenden Dresdner sitzen plötzlich sich selbst gegenüber. Zur Premiere erschien die Kulturelite der Stadt. Manche meinten selbstkritisch, Roman und Bühnenfassung funktionierten so nur in Dresden. Nein, die janusköpfige Stadt steht exemplarisch für Nazideutschland.
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