Duisburgs Oberbürgermeister: Mitschuldig an 21 Toten
Im Fall Sauerland sind sich Duisburgs Grüne weiter uneins: Die Funktionäre stehen in Treue fest zum OB – und hätten damit fast ihre Partei gespalten.
BOCHUM taz | Ein Wort der Kritik kommt Dieter Kantel noch heute nicht über die Lippen. "Ich halte Adolf Sauerland für persönlich nicht verantwortlich", sagt der Fraktionssprecher der Grünen im Duisburger Stadtrat 18 Monate nach der Loveparade-Tragödie.
Für den Tod der 21 Menschen, die am 24. Juli 2010 in der dunklen Röhre des Karl-Lehr-Tunnels zerquetscht wurden, "ist der Oberbürgermeister so verantwortlich wie ich", so das Grünen-Gründungsmitglied, das seit 1994 im Stadtparlament sitzt.
Zusammen mit seiner Fraktion, betont Kantel, habe er dafür gestimmt, den Massenrave an den Rhein zu holen - wie der CDU-Oberbürgermeister und alle anderen Ratsmitglieder auch: Mochte die Loveparade in Berlin auch längst als uncool gelten, für das vom Niedergang von Kohle und Stahl gebeutelte Duisburg versprach das Event Glamour. Jeder der 75 Ratsvertreter sei für das Desaster mitverantwortlich, will Kantel sagen - und wiederholt so die Argumente, mit denen sich der Christdemokrat Sauerland aller wütenden Bürgerproteste zum Trotz gegen einen Rücktritt sträubt.
24. Juli 2010: Massenpanik bei der Loveparade. Menschen werden erdrückt und niedergetrampelt. Die Polizei meldet 21 Tote. Duisburgs Oberbürgermeister Adolf Sauerland (CDU) verkündet schon wenige Stunden nach der Katastrophe, Grund sei das "individuelle Fehlverhalten Einzelner" - und suggeriert damit, die Raver seien selbst schuld an ihrem Tod.
27. Juli: Sauerland nennt Rücktrittsforderungen gegen sich nachvollziehbar. Zuvor wolle er aber helfen, "die schrecklichen Ereignisse aufzuarbeiten".
31. Juli: Um nicht zu provozieren, erscheint der Bürgermeister nicht zur Trauerfeier für die Opfer. In den kommenden Monaten erreichen Sauerland immer wieder Morddrohungen. Von Trauernden wird er ausgebuht, beschimpft und mit Müll beworfen.
1. September: Ein Gutachten für das NRW-Innenministerium sieht die Verantwortung für die Sicherheit bei der Stadtverwaltung und dem Veranstalter Lopavent.
13. September: Sauerland übersteht einen Abwahlantrag im Stadtrat, weil seine CDU-Fraktion die notwendige Zweidrittelmehrheit verhindert.
18. Januar 2011: Die Staatsanwaltschaft Duisburg nimmt Ermittlungen gegen den Einsatzleiter der Polizei, gegen Mitarbeiter der Stadt und des Veranstalters auf.
16. Juli: "Die Verwaltung der Stadt Duisburg hat keinen Fehler gemacht, der ursächlich zu dieser schrecklichen Katastrophe geführt hat", sagt Oberbürgermeister Sauerland in einem Interview.
17. Oktober: Die Bürgerinitiative "Neuanfang für Duisburg" legt mehr als 79.000 Unterschriften für ein Abwahlverfahren vor - nötig sind nur 55.000. Sauerland lehnt einen Rücktritt erneut ab.
12. Februar 2012: Die Duisburger Bürger stimmen über die Abwahl des Oberbürgermeisters ab. (wyp)
Der Fraktionschef klingt damit wie sein Parteifreund Peter Greulich. Der ist auf dem grünen Ticket Stadtdirektor geworden – und damit nicht nur Chef der Stadtverwaltung, gegen die die Staatsanwaltschaft ermittelt. Auch persönlich fühlt sich der Grüne Greulich dem Bürgermeister eng verbunden. Sauerland sei sein "Freund", versicherte er bei einer grünen Mitgliederversammlung.
Für die tödliche Enge im Tunnel sei nicht seine Verwaltung, sondern Loveparade-Organisator Rainer Schaller und die Polizei verantwortlich, wiederholt Greulich immer wieder – und präsentiert dazu ein Gutachten, dass die chronisch vor der Pleite stehende Stadt 420.000 Euro gekostet hat.
Rettung durch die CDU
Mit ihrer Treue zu Sauerland haben die Spitzengrünen ihre Partei beinahe gespalten. Entgegen dem Beschluss der grünen Mitgliederversammlung fehlten Kantel, seine damalige Stellvertreterin Doris Janicki und eine weitere Grüne bei der Ratssitzung, in der das Stadtparlament schon im September 2010 über Sauerlands Abwahl abstimmte.
Damals retteten die Stimmen seiner CDU den Bürgermeister. "Es gibt Veranstaltungen, bei denen es sich nicht lohnt, hinzugehen", erklärt Kantel dazu heute.
Damit konfrontiert, wirkt der Sprecher des grünen Kreisverbands, Matthias Schneider, wie vor den Kopf gestoßen. "Kantel befindet sich nicht auf dem Boden der Parteibeschlüsse", bricht es aus ihm heraus. "Die, die eng mit Sauerland zusammenarbeiten, haben doch schon mehrere Kampfabstimmungen verloren", empört er sich.
"Einstimmig" habe sich der grüne Kreisvorstand hinter die Abwahlinitiative gestellt, mit der Sauerland am Sonntag aus dem Amt getrieben werden soll. "Dafür sind wir doch jeden Tag auf der Straße, dafür kleben wir doch Plakate", spricht Schneider für die Parteimehrheit, die ein Bündnis mit SPD und Linken unterstützt.
Grüne tragen Mitschuld
Dann verweist der Parteichef auf zwei Resolutionen aus einer Mitgliederversammlung. Die Grünen tragen eine Mitschuld für die Todesopfer, heißt es darin. Über die Sicherheit sei nur "unzureichend" debattiert worden, es habe ein "falsches Vertrauen" in die Fähigkeiten von Veranstalter, Stadt und Polizei geherrscht. Gespalten sei seine Partei aber nicht, versichert Schneider dann noch schnell.
Tatsächlich trauern mache Duisburger Grüne bis heute der lokalen schwarz-grünen Koalition nach, die 2009 abgewählt wurde. Das Abwahlverfahren gegen Sauerland, dass offiziell auch von Kantel unterstützt wird, ist dann auch eine Formelkompromiss, auf den sich der schwarz-grüne und der rot-rot-grüne Parteiflügel gerade noch einigen können. Mehr Bürgerbeteiligung, das können beide Strömungen unterstützen.
An der Basis klingt das anders. "Parteischädigend" sei das Verhalten von Kantel, Greulich und Janicki, sagt etwa Ralf Welters von Ortsverband im Stadtteil Walsum - ein "negatives Image" hätten die drei den Grünen beschert: "Wir werden lange Aufbauarbeit leisten müssen, um wieder glaubwürdig zu werden."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Wahlprogramm der Union
Scharfe Asylpolitik und Steuersenkungen
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Scholz stellt Vertrauensfrage
Traut mir nicht
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Neue israelische Angriffe auf Damaskus