Dürre im Harz: Der scheintote Wald
Stürme, Trockenheit, fehlender Schnee, zwei heiße Sommer in Folge. All das lässt die Fichten im Harz sterben. Aber: Das ist nicht das Ende des Waldes.
„Auf den ersten Blick sieht das schrecklich aus.“ Friedhart Knolle kneift die Augen zusammen und blinzelt über die sanften Hügel bis hoch zur Kuppe des Brocken, dem höchsten Punkt des Harzes. „Wir haben natürlich versucht, den Borkenkäfer in diesem Komplex aufzuhalten, aber wir haben es nicht geschafft. Es wurde zu schnell zu warm.“
Mit „wir“ meint Knolle die Verantwortlichen des Nationalparks Harz, zu denen der Goslaer als Gründungsmitglied und jetzt Pressesprecher zählt. „In der Kernzone des Nationalparks greifen wir Menschen nicht mehr ein, das abgestorbene Holz bleibt, wo es ist.“
„Alles muss raus“ ist dagegen die Devise der niedersächsischen Landesforsten. Michael Rudolph steht auf einer kahlgeschlagenen Fläche, hinter ihm verläuft die Grenze zum Nationalpark. Vor ihm erstreckt sich ein ödes Chaos aus Baumstümpfen, was sich am Hang gegenüber fortsetzt. Er deutet auf die kahlen Flächen: „Wir haben immer gedacht, ein 500 Meter breiter Pufferstreifen zum Nationalpark reicht aus, damit der Borkenkäfer den Wirtschaftswald nicht angreifen kann. Aber das reicht nicht aus.“
Sie nennen das Phänomen „Klimaschlag“
An den Rändern der Schotterwege türmen sich die Stämme meterhoch. Die Forstmaschinen können gar nicht so schnell schneiden, wie die Käfer ausschwärmen. „Bis zu 200.000 Nachkommen kann ein einziges Weibchen pro Jahr unter guten Voraussetzungen hervorbringen“, sagt Förster Rudolph.
Und die Bedingungen für das verfressene, kleine, braun glänzende Insekt waren nie günstiger. Die Harzer Fichten sind geschwächt durch Stürme wie Orkan „Sabine“ Anfang Februar oder „Friederike“ im Januar 2018. Hinzu kommt die Trockenheit, kaum Niederschläge, fehlender Schnee im Winter, zwei heiße Sommer infolge. Der Regen im Februar konnte die Grundwasserspeicher nicht ausreichend füllen.
Klimaforscher Mojib Latif vom Helmholtz-Zentrum in Kiel prognostizierte Deutschland kürzlich die nächste Dürre für 2020. Vom Klimawandel sprechen Naturschützer Knolle und Förster Rudolph nicht mehr, sie nennen das Phänomen „Klimaschlag“ und „Klimakrise“.
Bäume im Trockenstress
Und nicht nur die Fichten sind im Trockenstress. Legt man den Kopf in den Nacken, sieht auch ein Laie hier und da lichte Buchenkronen. Laubfreie Äste ragen hervor, als würden sie Hilfe heranwinken wollen. „Den jungen Bäumen geht es gut, aber die älteren leiden unter der Trockenheit, sie fallen den Stürmen zum Opfer“, sagt Bernd Gutjahr.
Sonst für die Fütterungen im Luchsgehege zuständig war die vergangenen Wochen damit beschäftigt, die alten Buchen zu entfernen, die während des Februarsturms auf das Gehege gefallen waren. „Wir haben sicherheitshalber noch ein paar mehr gefällt. Schade um die schönen, alten Bäume.“
Michael Rudolph schält ein Stück Rinde von einem gefällten Baumstamm, auf der Innenseite deutet er auf die fächerförmigen Gänge, die der Borkenkäfer hineingefräst hat. „Keiner meiner älteren Kollegen hat so etwas schon mal erlebt.“
Rund zehn Kilometer weiter nordöstlich lehnt Friedhart Knolle am Geländer auf dem Aussichtspunkt Rabenklippe: „In den 90er-Jahren waren viele Forstwissenschaftler und Politiker der Meinung, der Klimawandel käme schleichend, das würde man gar nicht wahrnehmen.“ Der 63-Jährige lacht zynisch auf. „Jetzt kommt die Krise in Turbogeschwindigkeit und plötzlich merken wir, wir haben 40 Jahre verpennt.“
Zwei Frauen in Funktionskleidung bemerken Apfel und Banane verzehrend: „Der Ausblick von der Rabenklippe war schon mal schöner.“ Harmlos im Gegensatz zu dem, was sonst an Kritik auf Friedhart Knolle niederprasselt. „Die Leute sind vom Anblick des Waldes entsetzt. Wir vom Nationalpark stehen am Pranger: „Warum tut ihr nichts?“, heißt es. Oder: „Ihr lasst den Wald sterben.“
„Warum hackt ihr denn all die Bäume ab?“
Ein pensionierter Forstoberrat erstattete im August 2019 Strafanzeige wegen Untreue gegen den Nationalpark, der Vorwurf: „großflächige und vorsätzliche Waldzerstörung“. Die Staatsanwaltschaft in Halberstadt stellte die Ermittlungen ein. Es liege kein Anhaltspunkt für eine Straftat vor. Nationalparks seien nun einmal „Naturschutzgebiete, in die nicht eingegriffen werden darf“.
Auch Forstsprecher Michael Rudolph ist in Erklärungsnot. „Die Leute fragen uns immer wieder: Warum hackt ihr denn all die Bäume ab?“ Abhacken, stehenlassen, Kahlschlag, undurchdringliche Wildnis. Dem erholungssüchtigen Harzbesucher scheint nichts recht. Und Friedhart Knolle weiß, warum: „Das Bild vom Wald, welches wir in unseren Köpfen haben, ist völlig überholt.“
Das Idealbild vom Harz: Sonnenstrahl durchbricht sattgrüne Fichtenkronen und wirft Lichtkegel auf den mit Moos bewachsenen Boden, im Hintergrund steht ein röhrender Hirsch. „So etwas wird es nicht mehr geben. Das, was wir jetzt hier sehen, ist echte Natur.“
Er kämpft sich durch ein paar Brombeerbüsche und hält zwischen moderndem Totholz und mannshohen, maigrünen Buchen und Ebereschen. „Hier regiert die Natur. Sie entscheidet, wo es hingeht, und für manche Menschen ist das schwer zu akzeptieren.“
Anderer Weg in den Zukunftswald
„Wir müssen handeln“, sagt Michael Rudolph und meint damit den niedersächsischen Forstbetrieb. „Wir können nicht sagen: Die Natur wird’s schon richten. Wir haben den Auftrag, unseren Nachfahren einen intakten Wirtschaftswald zu übergeben.“ Rudolph hat den Forstweg verlassen und stapft quer durchs Unterholz. „Hier hätten wir so einen Zukunftswald, wie er in ein, zwei Generationen aussehen könnte.“
Neben dem 55-Jährigen ragen einige stattliche Lärchen, Douglasien und Buchen in den Himmel, auf Augenhöhe stehen junge Eschen, Buchen. Was nach Zufall aussieht, ist gezielt gepflanzt und durchdacht gemischt. „Wir Forstleute werden oft gefragt, wie wir den Wald zukunftssicher machen. Ich kann nicht in eine Glaskugel schauen. Dementsprechend kann man auch nicht sagen, welche Baumart in Zukunft im Harz besteht. Keine Art ist ohne Risiko.“
Einen ganz anderen Weg in den Zukunftswald schlägt Friedhart Knolle ein, er führt vorbei an der Allee der toten Bäume. So nennen die Harzbesucher die grauen, abgebrochenen Baumstümpfe, welche die Bundesstraße 4 zwischen Braunlage und Bad Harzburg säumen. Aber: „Wenn man genauer hinsieht, sind die toten Bäume voller Leben.“
Der studierte Geologe Knolle kommt jetzt richtig in Fahrt. Er zerbröselt feuchtes Totholz in den Fingern und fördert so Insekten zutage. Streicht kleine Fichten, die an alten Stümpfen hervorsprießen, lobt das Moos. „Die Artenvielfalt auf diesen Gebieten ist enorm.“ In alten Spechtlöchern finden Fledermäuse Unterschlupf oder nisten Käuze.
Kahle Fichten schrecken noch nicht ab
Knolle führt gern Journalisten, Schulklassen, Wandertouristen in diese vermeintlich toten Wälder. Kahle Fichten schrecken bisher noch nicht ab. 2,5 Millionen Besucher tummeln sich jedes Jahr allein auf der Brockenkuppe. Rund 3,86 Millionen Besucher zählte der Harzer Tourismusverband in der ersten Jahreshälfte 2019, Tendenz steigend.
Wäre nicht Corona, stünden Autos aus Dänemark, den Niederlanden, Hamburg, Hannover und Berlin auf den Parkplätzen. „Wir sind neben dem Wattenmeer der beliebteste Nationalpark Norddeutschlands“, weiß Friedhart Knolle. „Das ist eine Riesenchance, aber auch ein Riesenproblem.“ Müll, freilaufende Hunde, Verkehr und – Waldbrände.
Michael Rudolph sagt: „Es gab bereits über ein Dutzend Brandeinsätze in diesem Jahr.“ Durch Corona kämen vor allem an den Wochenenden viele Tagesbesucher, die von Verhaltensregeln im Wald keine Ahnung haben. „Die schmeißen Kippen weg, bringen Einweggrille mit, biwaken und machen Lagerfeuer.“
Der Harz umfasst eine Fläche von 2.226 Quadratkilometern. Seit April macht der Landesfeuerwehrverband Niedersachsen Kontrollflüge über die Region. Von oben sieht man Rauchschwaden besser, aber auch das Ausmaß des Borkenkäferfraßes.
Der Forstwirtschaft geht es schlecht
Der Forstwirtschaft geht es mindestens genauso schlecht wie den Fichten. Die ist neben dem Tourismus ein wesentlicher Arbeitgeber für die Menschen in der Region „Die Bilanzen sinken. Wir leben seit zwei Jahren weitestgehend von unseren Reserven. In normalen Jahren können wir durch Holzverkauf etwas auf die Seite tun.“ Aber der gesamte europäische Holzmarkt ist zusammengebrochen. In guten Jahren warf die Harzer Fichte rund 90 Euro pro Kubikmeter ab, jetzt sind es zwischen 20 und 30 Euro.
Rudolph ist kein Pessimist, aber er kann rechnen: „Wenn es das dritte Jahr in Folge trocken wird, sind die Rücklagen aufgebraucht. Das bedeutet, wir können die riesige Aufforstung von 10.000 Hektar, die jetzt nötig wäre, nicht aus eigener Kraft finanzieren.“ Einspringen müssen der Bund und das Land Niedersachsen.
Ohne Regen ist Aufforsten schwierig
Aber das Geld ist nicht sicher angelegt. Michael Rudolph stoppt seinen Geländewagen. Er steigt aus, schreitet los, alle paar Meter hockt er sich hin. Vor ihm stehen rund 30 Zentimeter hohe Pflänzchen. „Das ist eine trockengeschädigte Douglasie.“ Sieht man genauer hin, haben viele der neu gepflanzten Bäumchen bereits braune Nadeln. Fällt kein Regen, wird es schwierig mit dem Aufforsten. Auf dem Weg zurück zum Auto klopft sich Rudolph Pollenstaub von den Hosenbeinen.
Der gelbe Blütenstaub ist das Zeichen eines letzten Aufbäumens. „Die Fichte bildet in den letzten Jahren sehr viele Pollen, das hat vermutlich mit dem Trockenstress und Wassermangel zu tun. Die Bäume merken, dass es an ihr Ende geht, sie stecken ihre Energie noch mal in den Nachwuchs und produzieren Pollen. Das schwächt den Baum zusätzlich und das macht es für den Borkenkäfer noch leichter.“ Es sieht ganz danach aus, als ob der Käfer auch die nächsten Wettrennen für sich entscheidet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Sport und Krieg in der Ukraine
Helden am Ball
Nachhaltige Elektronik
Ein blauer Engel für die faire Maus
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Studie zu Zweitem Weltkrieg
„Die Deutschen sind nackt und sie schreien“
Bodycams bei Polizei und Feuerwehr
Ungeliebte Spielzeuge