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Dublin-Regeln durchsetzen?Habeck will EU-Länder verklagen

EU-Staaten wie Italien sollen wieder Flüchtlinge zurücknehmen, für deren Asylverfahren sie zuständig sind.

Mi­gran­t:in­nen auf Lampesusa, die auf Weiterfahrt aufs italienische Festland warten. Nah den Dublinregeln müssen sie dort bleiben Foto: Ciro Fusco/imago

Freiburg taz | Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) droht anderen EU-Staaten mit Vertragsverletzungsverfahren, weil sie EU-Asylrecht nicht richtig anwenden. „Deutschland kann nicht länger akzeptieren, wenn andere Staaten die geltenden Dublin-Regeln nicht umsetzen“, so Habeck. Habeck nannte keine Namen, gemeint war aber wohl zum Beispiel Italien.

Habeck reagierte damit auf einen Vorstoß von Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz, der die Zurückweisung aller Flüchtlinge an den Grenzen fordert. SPD und Grüne lehnen das ab, weil es gegen EU-Recht verstoße. Merz konterte, das EU-Recht sei „dysfunktional“. Er meint damit die Dublin-III-Verordnung, die regelt, welcher Staat jeweils für ein Asylverfahren zuständig ist. In der Regel ist es der EU-Staat, über den ein Flüchtling in die EU kam.

Danach sind vor allem die Staaten an den EU-Außengrenzen für die Asylverfahren zuständig, also zum Beispiel Italien, Griechenland oder Bulgarien. Diese Staaten finden die Dublin-III-Verordnung natürlich höchst ungerecht. Sie versuchen deshalb, die Dublin-Regeln zu unterlaufen, indem sie ankommende Flüchtlinge oft nicht registrieren und bei der Rückübernahme wenig kooperieren oder sich (wie Italien derzeit) generell weigern, Flüchtlinge zurückzunehmen.

Habeck will verhindern, dass Deutschland unter Berufung auf die Rechtsbrüche anderer EU-Staaten nun selbst EU-Recht bricht. In seinem Youtube-Video „Tun Sie es nicht, Herr Merz“, in dem er vor einer Übernahme rechtspopulistischer Positionen warnte, sagte Habeck: „Unsere europäischen Partner müssen jene Menschen zurücknehmen, für deren Asylverfahren sie zuständig sind.“ Deutschland müsse alle politischen Hebel nutzen und „als letzte Konsequenz auch die Möglichkeit eines Vertragsverletzungsverfahrens nutzen“.

Dublin-Regel wurden kaum eingehalten

In der EU wurden im Vorjahr rund 1 Million Asylanträge gestellt, rund 225.000 davon in Deutschland. Nach den Dublin-Regeln wäre Deutschland zwar nur sehr selten zuständig, doch es gelang nur in einigen zehntausend Fällen, den zuständigen EU-Staat zu identifizieren. Und selbst hier gelang die Rücküberstellung nur in weniger als 10 Prozent der Fälle. Entweder verpasste Deutschland die Sechsmonatsfrist oder der Zielstaat kooperierte nicht ausreichend. 2023 gelangen deshalb nur 5.063 Überstellungen in andere EU-Staaten.

Das Dublin-System war auch schon vor zehn Jahren dysfunktional. Dennoch hat Deutschland noch nie einen anderen Staat der Europäischen Union deshalb verklagt. Auch die EU-Kommission als Hüterin der Verträge hat im Asylrecht bisher nur gegen Ungarn Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. Alle wissen, dass das Dublin-System ungerecht ist und deshalb Korrekturen an der Lastenverteilung erforderlich wären, die aber politisch nicht durchsetzbar sind. Die Androhung Habecks ist daher ein ungewöhnlicher Schritt.

Falls die Bundesregierung Habecks Klageankündigung aufgreift, wäre es aber kein schnelles Instrument. Schon die Ausarbeitung von Klageschriften dürfte Monate dauern. Bis zu einer Entscheidung des EuGH würden wohl weitere zwei Jahre vergehen. Bilaterale Verhandlungen über eine Lastenteilung könnten dagegen schneller zu Ergebnissen führen.

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14 Kommentare

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  • "Das Dublin-System war auch schon vor zehn Jahren dysfunktional. Dennoch hat Deutschland noch nie einen anderen Staat der Europäischen Union deshalb verklagt."

    Warum eigentlich nicht? Die Androhung von Habeck, so richtig sie auch ist, kommt etwas arg spät. Die Ampelkoalition hatte drei Jahre Zeit, etwas in der Richtung zu bewegen. Das Problem sind Teile der eigenen Partei. Als Özdemir bei seinen Vorstößen in Sachen Migrationspolitik im vergangenen Jahr u.a. äußerte, dass diese zentral für die Erfolge der AfD seien, hat ihn die Parteispitze weitgehend im Regen stehen gelassen. Stattdessen musste er sich Rassismusvorwürfe aus der eigenen Partei anhören www.spiegel.de/pol...-ab32-049a74459990

    Bis heute halten es erhebliche Teile der Grünen für überflüssig, in der Migrationsfrage an so etwas wie einem gesellschaftlichen Konsens mitzuwirken. Man weiß sich moralisch so unendlich im Recht, dass selbst das schon Verrat an den eigenen Idealen wäre. Aber an der seit Jahren wachsenden Zustimmung zur AfD sind natürlich immer die anderen schuld.

  • Die Union ist selbstverschuldet in der Sackgasse. Aber eine zerstörte Mitte-Rechts-Partei kann nicht das Ziel sein, siehe andere Länder.



    Habeck ist dennoch gerade sehr nett zur Union, um sie nicht in der Sackgasse zu lassen. Mit dem Kopf verstehe ich ihn, mit dem Bauch nicht. Merz war ein teurer Irrtum der Union. Günther wird es ausputzen und eine wirkliche Erneuerung vornehmen müssen.

  • Das klingt für mich etwas hilflos. Viele der Flüchtlinge möchten vermutlich nach Deutschland und ich wüsste nicht, wie andere Länder sie "festhalten" könnten.

    Desweiteren unterstützen auch Kirchen u.a. mittels vorübergehendem Kirchenasyl den Verbleib dieser Menschen in Deutschland.

    Ich bin der Ansicht, dass wir Italien nicht dafür kritisieren können, wenn die geflüchteten Menschen dort nicht so gut versorgt werden, uns aber gleichzeitig der Aufnahme der Menschen entziehen.

    Somit habe ich nicht so ganz verstanden, was die Zielsetzung von Herrn Habeck ist.

    • @*Sabine*:

      Zitat: "Das klingt für mich etwas hilflos. Viele der Flüchtlinge möchten vermutlich nach Deutschland und ich wüsste nicht, wie andere Länder sie "festhalten" könnten."

      Na, ja ganz so ist das bzw. war das auch nicht. Zu Merkels Zeit hat es im Umkreis des Hamburger Hauptbahnhofes lange Zeit eine regelrechte Pufferzone und Drehscheibe gegeben, wo der Strom nach Schweden lediglich dahingehend gesteuert wurde, daß man die Fährhäfen an der Ostsee sowie die Bahnstrecken via Flensburg bzw. Fehmarn nicht zu sehr überlastete. Etwa 1.000 bis 1.200 gingen pro Tag durch, davon blieben jeweils nur drei Dutzend in Hamburg ... Damals hat sich Deutschland auch einen feuchten Kehricht um Dublin geschert.

      • @dtx:

        Danke für diese Information, das war mir noch nicht bekannt. Prima, etwas zu lesen, was noch nicht gewusst wurde.

  • Reines Wahlkampfgetöse. Warum hat das die Ampel nicht schon längst gemacht, sie hatte immerhin drei Jahre Zeit. "Europaministerin" ist eigentlich Frau Baerbock, im Außenministerium gibt es dafür die Staatsministerin Frau Lührmann. Aus der Ecke hat man niemals was zu diesem Thema gehört.

    • @Offebacher:

      Das ist doch aber Unsinn: Was können die anderen Länder dafür, daß Deutschland seine Behörden finanziell und personell ausbluten läßt, so daß seine Beamten die Fristen reißen? Dysfunktional ist das BAMF; der erste, sofort gangbare und rechtskonforme Schritt wäre gewesen, die Zusagen anderer Länder in zumindest erheblich größerem Umfang zu nutzen. Wollte das Bundesinnenministerium nicht, bekam es von Lindner kein Geld, fanden die keine Leute? Letztlich egal, jedenfalls taugt das nicht zum Wahlkampf.

      • @dtx:

        "Was können die anderen Länder dafür, daß Deutschland seine Behörden finanziell und personell ausbluten läßt, so daß seine Beamten die Fristen reißen?"

        Ich möchte unsere Politiker damit nicht entlasten, aber zu berücksichtigen ist meiner Meinung nach, dass wir bis 2015 von einer schrumpfenden und alternden Bevölkerung ausgingen, womit weniger Lehrer, weniger Polizeibeamte, weniger Mitarbeiter in den Behörden etc. einhergehen. Es wäre vermutlich nicht im Interesse des Steuerzahlers (und vielleicht auch nicht erlaubt, Rechnungshof, Steuerzahlerbund usw. ?) gewesen, quasi "auf Vorrat" alle Ämter, Institutionen etc. mit teilweise verbeamteten Mitarbeiter zu besetzen.

        Inwieweit bzw. woran es scheitet, alle Behörden dem Bevölkerungswachstum und den geänderten Rahmenbedingungen anzupassen, kann ich nicht einschätzen.

  • Das soll wohl die etwas feinere Art sein, dem Populismus hinterherzulaufen.

    Einfach nur peinlich für einen Grünen Kanzlerkandidaten. Früher waren die Grünen eine echte Alternative. Heute nur noch unglaubwürdig.

  • Das Problem ist doch, außer Deutschland hat sich de facto kein anderes Land der ungerechten Verteilung gestellt. Und das wird sich auch mit bilateralen Verhandlungen nicht ändern lassen. Insofern ist der Vorschlag von Habeck richtig - kommt nur ein paar Jahre zu spät.

  • Habeck daemmert es auf einmal, dass die Union nach der Wahl eine Minderheitsregierung machen koennte. Jede Abstimmung gegen die Union waere auf die Stimmen der AFD angewiesen, also auf genau das, was Merz heut gemacht hat.

    • @elektrozwerg:

      Wenn Habeck so machtversessen wäre wie du vermutest, wäre er in der CDU.

  • Es wird ewig dauern, das Dublin-System ist ungerecht - auch dieser Vorstoß ist genau der Schulterschluss bürgerlicher Kräfte mit der AfD, den S. Jawabreh hier www.freitag.de/aut...strumentalisierung analysiert hat, ein 'strafender, über sanktionierende Gewalt wirkender Rassismus, der rassifizierte Gruppen besonders trifft'



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    》Von Jobcentern über die Polizei bis hin zu Abschiebebehörden wird eine Infrastruktur der Kontrolle und Ausgrenzung ausgebaut, die Menschen in permanenter Angst und Unsicherheit hält, indem sie stetig damit droht, ihnen die grundlegende Absicherung durch ein Konto oder einen Pass zu entziehen. Die neu geschaffene Unsicherheit durch die Konstruktion eines Generalverdachts begrenzt nicht de facto Migration, sondern hält vor allem hier Schutzsuchende in einer vulnerabilisierten Stellung《



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    Nur dazu leisten solche Ankündigungen einen Beitrag, stärken die AfD



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    Wir haben sie doch vor ein paar Stunden im Bundestag feixen und jubeln gesehe, Baumann Merz verhöhnen gehört - warum springt auch Habeck faktisch auf die falsche Erzählung von Migration als "Mutter aller Probleme" (Seehofer) auf?

  • Riecht nach Wahlkampf.



    Sonst würde man ja das dicke Brett bohren die Verteilung zu verbessern.



    Würde aber dann sowas wie Solidarität erfordern. Etwas was Deutschland in der Finanzkrise vehement bekämpfte.