Drug-Checking in Berlin: Berlins Drogen-TÜV

Die Bilanz nach einem Jahr Drug-Checking fällt positiv aus. Doch wo es einen Ausbau bräuchte, bedrohen Sparpläne des Senats das Projekt.

In einem Jahr wurden 1.800 Proben ausgewertet und fast 850 Warnungen vor gefährlichen Substanzen veröffentlicht Foto: Christian Jungeblodt

Berlin taz | Auf einem Pilztrip muss es sich anfühlen, wie ein Ausflug in Alices Wunderland: Kaum sind die letzten Sonnenstrahlen am Dienstagabend aus dem Innenhof des Oxi verschwunden, tauchen die beleuchteten Bäume den Clubgarten in ein buntes Farbenspiel.

In dem Lichtenberger Club sitzen an diesem lauen Sommerabend etwa 60 Gäste mit Bier und Limonade auf Paletten und Stühlen. In dem Holzpavillon, wo sonst DJs Bässe pumpen, haben es sich Tamara Lüdke, Nina Pritzens, Felix Blei und Vassili Franco auf einem Perserteppich in einer Stuhlrunde gemütlich gemacht.

„Wir akzeptieren die Realität“, sagt Vassili Franco, innen- und drogenpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus. „Menschen in dieser Stadt nehmen Drogen und wenn sie es tun, sollen sie es so tun, dass es möglichst wenig Schaden anrichtet.“ Anlässlich des einjährigen Bestehens des von der Senatsgesundheitsverwaltung geförderten Projekts Drug-Checking Berlin hat das Safer Nightlife Projekt Sonar zur Soiree eingeladen, um über Erkenntnisse aus dem vergangenen Jahr und die Zukunft des Projekts zu diskutieren.

Seit Juni 2023 können Kon­su­men­t*in­nen bei drei Beratungsstellen, Vista in Kreuzberg, Fixpunkt in Neukölln und der Schwulenberatung in Charlottenburg ihre psychoaktiven Substanzen kostenlos, legal und anonym analysieren lassen. Innerhalb von drei Tagen wird geprüft, ob sie gefährlich oder gestreckt sind und den Kon­su­men­t*in­nen das Ergebnis übermittelt.

Ex­per­t*in­nen werten das Projekt als Erfolg

Der Andrang auf die Teststellen ist enorm: Im Zeitraum von Juli 2023 bis Juni 2024 wurden rund 1.800 Proben ausgewertet und fast 850 Warnungen vor gefährlichen oder verunreinigten Substanzen veröffentlicht. Das geht aus einer Bilanz der Gesundheitsverwaltung hervor, die auf Nachfrage Francos erstellt wurde. Auf der Website drugchecking.berlin, auf der die Warnungen veröffentlicht werden, gab es im ersten Jahr über 200.000 Aufrufe. Jede dritte Person muss aufgrund mangelnder Kapazitäten abgewiesen werden.

Das Projekt werten die vier Podiumsgäste daher als Erfolg. Doch der Weg dahin war lang und beschwerlich, da sind sie sich einig. „Es gab viele Vorbehalte und Widerstände, immer wieder mussten wir den gesundheitspolitischen Ansatz und die Förderung der Konsumkompetenz erläutern“, erzählt Nina Pritzens, Geschäftsführerin von der Drogen- und Suchtberatung Vista, einer der drei Beratungsstellen.

„Das Projekt ist auch deshalb ein Erfolg, weil wir Menschen erreichen, die das Gesundheitssystem und die Gesundheitspolitik des Landes zuvor nicht erreicht hat“, sagt Franco. Die Bilanz der Senatsgesundheitsverwaltung ergab, dass 82.5 Prozent der Nut­ze­r*in­nen davor noch nie Kontakt zu Drogen- oder Suchthilfeangeboten hatten.

Dennoch richtet sich das Angebot primär an eine Gruppe: Partygänger*innen. Die am häufigsten analysierten Drogen sind typische Partydrogen. Am häufigsten – 453 Mal – haben Kon­su­men­t*in­nen MDMA und Ecstasy-Pillen testen lassen. Unter den „Top 5“ sind daneben Kokain, Ketamin und Speed, erzählt Martin Jasyk vom Landesinstitut für gerichtliche und soziale Medizin Berlin, der die Substanzen analysiert.

Verfall an Kokainqualität zu beobachten

Die häufigsten Warnungen, vor allem wegen Verunreinigung oder Falschdeklaration, wurden bei MDMA und Ecstasy ausgesprochen. Vor allem bei Kokain beobachteten sie einen „dramatischen Verfall an Qualität“. Dies wird häufig gemischt mit dem Tierentwurmungsmittel Tetramisol. Der Wirkstoff steht in Verdacht bei regelmäßigen Konsum gefährliche Nekrosen und Gefäßerkrankungen zu verursachen.

„Heroin sehen wir sehr selten, würden es aber gern häufiger sehen“, sagt Jasyk. Die Gruppe der Opi­at­ver­brau­che­r*in­nen gilt es verstärkt zu erreichen, da diese etwa aufgrund von Überdosierungen und ihrer Lebensumstände eine besonders hohe Mortalitätsrate aufweisen. Viele Nut­ze­r:in­nen leben auf der Straße.

Mit Blick auf die Zukunft wird deshalb diskutiert, ob es sinnvoller wäre, ein mobiles Angebot zu schaffen, anstatt das bestehende stationäre Angebot auszubauen. Denn dies ist sehr hochschwellig: Die Beratungsstellen sind nur an drei Tagen in der Woche geöffnet, Kon­su­men­t*in­nen müssen vor Ort die Substanzen in einem Zeitfenster von nur 1 bis 2 Stunden am Tag abgegeben, bis die Analyseergebnisse ankommen dauert es drei Tage.

Daher werden Stimmen laut, die kritisieren, dass das Drug-Checking ein guter Ansatz ist, jedoch an der Lebensrealität der Ber­li­ne­r*in­nen vorbeigehe. Der Drogenkonsum in Berlin steigt, die Zahlen für Amphetamine und Kokain gehen nach oben, die Probleme an Drogenhotspots, wie am Görlitzer Park oder Leopoldplatz explodieren. „Wir brauchen schnelle und gut erreichbare Analysemethoden“, fordert daher Tamara Lüdke, drogenpolitische Sprecherin der SPD, die sich für den Ausbau eines mobilen Angebots ausspricht.

Mobiles Drug-Checking-Angebot in Thüringen

Ein solches Angebot wird in Thüringen durch das Pilotprojekt Alive (Analysebasierte Intervention) von Drug-Checking Miraculix bereits seit 2021 angeboten. Sie fahren zu Festivals und Partys und analysieren vor Ort Substanzen und beraten Konsument*innen. „Dadurch ist der Zugang inklusiver und wir erreichen mehr Menschen, die sonst schwer mit Prävention zu erreichen sind“, sagt Felix Blei von Miraculix.

Auffallend sei, dass die Nachfrage nach „Blue Punisher“ seit letztem Jahr angestiegen ist. Die Ecstasy-Pille ist vor allem für ihre unberechenbare Dosierung bekannt. „Ab einem Wirkstoffgehalt von 120 Milligramm wird es kritisch, im Durchschnitt haben die Substanzen, die wir analysieren 140 Milligramm, wir haben aber auch schon welche mit 400 Milligramm gesehen“, sagt Blei.

Das Angebot des „Drogen-TÜVs“, wie die AfD in Thüringen sie bezeichnet habe, sorge neben der akuten Schadensminimierung zu Konsum- und Risikokompetenz, so Blei. Durch die Analyse der Substanzen vor den Augen der Kon­su­men­t*in­nen komme es zu einer Risikosensibilisierung für das Klientel.

Für Berlin plädieren im Oxi einige für ein ähnliches Angebot. Doch für den Ausbau des Drug-Checkings, das Vista-Geschäftsführerein Pritzens als „unterfinanzierte Erfolgsgeschichte“ wertet, werden mehr Mittel benötigt. „Aufgrund der Kontroverse um das politische Experiment mussten wir mit einem geringen Finanzvolumen starten“, sagt Pritzens.

Die Zukunft ist wegen Haushaltseinsparungen ungewiss

200.000 Euro waren das im ersten Jahr, die aber auch für 2024 und 2025 nicht erhöht wurden. Pritzens sagt: „Für 2024 und 2025 ist das Projekt finanziert, aber es ist so auf Kante genäht, dass wir es so, wie wir es derzeit anbieten, nicht dauerhaft leisten können.“

Angesichts des Defizits im Landeshaushalt müssen in den nächsten Jahren Milliarden eingespart werden. Ob das Drug-Checking von den neuerlichen Sparvorgaben für das kommende Jahr betroffen ist, kann die Senatsverwaltung laut eigenen Angaben noch nicht absehen. Für den Doppelhaushalt 2026/2027 wünscht sich Pritzens eine Verdopplung der Mittel. Auch hierzu kann die Senatsverwaltung derzeit keine Aussagen treffen.

Franco glaubt, das Projekt im selben Umfang aufrechtzuerhalten wird „richtig hart“. Pritzens zeigt sich jedoch kämpferisch: „Wir müssen jeden Euro erstreiten, den wir erstreiten können“, sagt sie. „Ich bin bereit, mit ordentlicher Frisur zu allen Akteuren zu gehen und ihnen zu erklären, warum Drug-Checking als Gesundheitsschutz wichtig ist.“

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