Drücker für BUND und DRK: Stundenlohn? Zwei Euro
Mitgliederwerber für BUND und Deutsches Rotes Kreuz arbeiten im Auftrag einer Agentur vor allem auf Provisionsbasis – mit geringem Verdienst.
BERLIN taz | Der Berliner Schüler hatte sich auf den Ferienjob gefreut: Mehrere Wochen sollte er für den Umweltverband BUND in der bayerischen Stadt Dillingen Mitglieder werben. Der 17-Jährige hatte sich auf eine Anzeige gemeldet, die attraktive Arbeitsbedingungen versprach und eine „Vergütung von etwa 2.000 Euro pro Monat plus Prämien“.
Seine Realität sah anders aus: Für zwölf Tage mit jeweils neun Stunden Arbeit im Spätsommer 2013 habe er unter dem Strich 201,20 Euro erhalten, sagt der Schüler – ein Stundenlohn von rund 2 Euro. Dafür musste er von Haustür zu Haustür gehen, klingeln und an die 100 Gespräche am Tag führen, um auf diese Art zahlende Unterstützer für den Umweltverband zu gewinnen.
Die Arbeit als sogenannter Dialoger fand im Auftrag der Agentur Holub, Steiner und Partner GmbH statt, die unter anderem im baden-württembergischen Herbolzheim sitzt. Sie betreibt Werbung für den BUND, das Deutsche Rote Kreuz, den Malteser Hilfsdienst und andere.
Nach Auskunft von Geschäftsführer Horst Holub betrug der „Verdienst“ des Schülers 496,87 Euro. Davon seien jedoch 246,30 Euro für Kosten abgezogen worden. Außerdem habe die Agentur eine „Stornorücklage“ einbehalten, die erst 2015 ausgezahlt werden solle, falls die von ihm geworbenen BUND-Mitglieder auch weiterhin Beiträge entrichten.
Arbeiten auf Erfolgsbasis
Insgesamt sehe das Provisionsmodell so aus: Bei Anfängern übernimmt die Firma in der „ersten Arbeitswoche die Kosten für Quartier, Benzin und Auto“, so Holub. Zusätzlich gebe es „eine Pauschale von 20 Euro pro Tag“, unabhängig von der Leistung. Ab der zweiten Woche arbeite der Dialoger auf reiner Erfolgsbasis. Weil die Werber als Selbstständige tätig seien, so der Geschäftsführer, „müssen sie natürlich ab der zweiten Arbeitswoche ihre Wohnung, anteilige Benzinkosten und so weiter selber bezahlen“. Dass die Kosten für die eigene Verpflegung von Anfang an selbst getragen werden, sei doch „selbstverständlich“.
Das Problem bei Provisionen: Wer nur wenige Neumitglieder wirbt, verdient sehr wenig. Dazu Holub: „Die Bezahlung unserer Dialoger ist hervorragend. Wir haben viele Partner – keine Einzelfälle, sondern die ganz große Mehrheit–, die über oder sogar deutlich über 2.000 Euro monatlich verdienen.“
Laut dem Berliner Arbeitsrechtsanwalt Jon Heinrich erklären hiesige Arbeitsgerichte Verträge oft für unwirksam, die eine ausschließlich provisionsorientierte Bezahlung festlegen. Weil die Arbeitnehmer das vollständige Risiko trügen, würden die Arbeitsverhältnisse als sittenwidrig nach Paragraf 138 des Bürgerlichen Gesetzbuches eingestuft. Heinrich: „In der Regel gilt, dass höchstens ein Viertel des Entgelts erfolgsabhängig gezahlt werden darf.“
Mit Holub arbeite der BUND seit Mitte der 90er Jahre zusammen, so Verbandssprecher Norbert Franck. Im letzten halben Jahr habe es nur eine Beschwerde gegeben. „Der Durchschnittsverdienst von Menschen, die bei Holub Informations- und Werbearbeit für den BUND machen, betrug 2013 für Beginner rund 400 Euro in der Woche.“
Ethikkodex für wohltätige Organisationen
Wie die Firma bestätigt, gilt das Provisionsmodell für alle Dialoger der Agentur – auch in der Werbung für das Deutsche Rote Kreuz. Der DRK-Bundesverband ist Mitglied im Spendensiegel des Deutschen Zentralinstituts für soziale Fragen, einem Ethikkodex für wohltätige Organisationen. Dessen Leitfaden untersagt „eine ausschließlich erfolgsabhängige Vergütung“: „Der erfolgsabhängige Anteil beträgt höchstens 50 Prozent der jeweiligen Vergütung.“
Warum zahlt Holub dann auch hier nur provisionsbasiert? Nicht der Bundesverband werbe die Mitglieder, „sondern die rechtlich völlig selbstständigen 500 Kreisverbände des DRK“, so DRK-Sprecher Dieter Schütz. Man wisse jedoch um den „Verbesserungsbedarf“. Deswegen laufe ein „verbandlicher Abstimmungsprozess“.
Andere Organisationen, die sich dem Gemeinwohl verpflichtet fühlen, gehen mit der Lohnfrage anders um. Dialoger, die für Greenpeace arbeiten, bekommen in der halbjährigen Probezeit zunächst einen Grundlohn von 8,50 Euro pro Stunde. Bei der Organisation Foodwatch gibt es derzeit mindestens 8 Euro pro Stunde, ab Mai 8,50 Euro.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten
Nordkoreas Soldaten in Russland
Kim Jong Un liefert Kanonenfutter
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken