Druck auf Krankenhäuser: Mehr Schutz für Frühchen
Kliniken müssen künftig offen legen, wie es Frühgeborenen bei ihnen ergangen ist. Eltern und Krankenkassen fordern, dass nur spezialisierte Häuser Frühchen behandeln dürfen.
Solche Schreckensberichte gibt es immer wieder: über frühgeborene Kinder, die durch fehlerhafte Pflege in der Klinik erblinden, Hirnblutungen erleiden oder schwer am Darm erkranken. Bald soll es für derlei Nachrichten weit weniger Anlass geben. Ab Ende Mai müssen Krankenhäuser, die sogenannte Frühchen behandeln, auf ihren Internetseiten ihre Behandlungserfolge und mögliche Erkrankungen der kleinen Patienten auflisten. So sollen werdende Eltern und ihre GynäkologInnen besser beurteilen können, wo das Ungeborene die optimale Pflege erhält. Darauf einigte sich am Donnerstag nach langem Streit der Gemeinsame Bundesausschuss, das Selbstverwaltungsgremium im Gesundheitswesen.
Die Vertreter von Kliniken, Ärzten und Krankenkassen schlossen bei diesem sensiblen Thema einen Kompromiss: Demnach müssen Kliniken, die Frühgeborene behandeln, künftig auf ihren Internetseiten informieren, wie viele ihrer kleinen Patienten gestorben sind, in wie vielen Fällen es zu Hirnblutungen, Netzhauterkrankungen oder Darmentzündungen gekommen ist. Frühchen leiden überdurchschnittlich oft unter solchen Beschwerden und brauchen daher spezielle Pflege und Medikamentendosen.
Hingegen konnten sich die Vertreter der Krankenkassen und der Patienten nicht mit der Forderung durchsetzen, diese komplizierte Behandlung nur solchen Kliniken zu erlauben, die besonders viel Erfahrung mit den Kleinsten vorweisen können. Seit Jahresbeginn gilt die Regel: Spezialisierte Klinikabteilungen müssen mindestens alle 29 Tage ein Frühchen mit einem Geburtsgewicht unter 1.250 Gramm aufnehmen. Das wären mindestens 12 Fälle pro Jahr.
Viel zu wenig, kritisiert Doris Pfeiffer, die Chefin des Spitzenverbands der gesetzlichen Krankenkassen. Statt 12 Fällen müsse die Zahl der behandelten Frühgeborenen "in etwa bei dem Dreifachen" liegen. Laut Pfeiffer wurden 2005 in 520 Krankenhäusern 8.514 Babys mit einem Gewicht unter 1.500 Gramm geboren. Davon wogen rund 3.500 Neugeborene sogar weniger als 1.000 Gramm, sie kamen in insgesamt 388 Kliniken zur Welt. Berlins Senat scheiterte Ende 2008 am Widerstand von Kliniken mit dem Vorhaben, eine Mindestanzahl von 50 Frühgeborenen pro Jahr festzuschreiben.
Für dieses Ziel setzt sich auch der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach ein. Frühgeborene würden aus finanziellen Interessen mancher Krankenhäuser oft unnötigen Risiken ausgesetzt: "Wir dürfen die Sicherheit der Kinder nicht dem Profit von Kliniken unterordnen." Er forderte das Gesundheitsministerium dazu auf, den Beschluss über die Mindestzahl zu beanstanden.
Ähnlich sieht das Hans-Jürgen Wirthl vom Selbsthilfeverein "Das frühgeborene Kind": "Die Bekanntgabe von Fallzahlen und Erkrankungen müsste selbstverständlich sein." Die Qualität verbessere dies nicht. "Die Frühgeborenen sind durch die jetzige Regelung immer noch bedroht."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Angriffe auf Neonazis in Budapest
Ungarn liefert weiteres Mitglied um Lina E. aus