Drohungen gegen Journalisten: Nennt sich Meinungsfreiheit
Ein Journalist hat das Pech, über Nacht zur Zielscheibe von Nazis zu werden. Und sein Sender? Lässt ihn mit dem Mob lange alleine.
Wegen einer sarkastischen Bemerkung versuchen Neonazis gerade einen Journalisten einzuschüchtern. Seit Samstag erreichen Danny Hollek, einen freien Mitarbeiter der „Aktuellen Stunde“ des WDR Gewalt- und Todesdrohungen. Und der Sender reagiert nur zögerlich.
Anlass ist ein Tweet von Hollek zur Debatte rund um ein satirisches Kinderlied im WDR. Im Lied hieß es unter anderem: „Oma ist ’ne Umweltsau“, was viel überzogene Ablehnung erfuhr, bis der WDR vor rechten Protesten einknickte und das Video des Liedes löschte. Hollek schrieb: „Eure Oma war keine Umweltsau. Stimmt. Sondern eine Nazisau.“
In Hunderten Kommentaren und Postings in den sozialen Netzwerken und auf rechtsradikalen Websites wird seitdem über Hollek hergezogen. Auch der WDR als Arbeitgeber von Hollek wird adressiert. Der Mob will, daran lässt er keinen Zweifel, den Journalisten arbeitslos sehen. Mindestens.
Der Hass bleibt dabei nicht digital. Der stellvertretende Landesvorsitzende der neonazistischen Kleinpartei Die Rechte, Michael Brück, verbreitete ein Foto von sich, auf dem er angeblich vor dem Elternhaus des Journalisten steht. „Hausbesuch bei der Familie von WDR-Antifajournalist Danny Hollek“, schreibt der Neonazi, der bis zu ihrem Verbot eine Führungsfigur der gewalttätigen Organisation Nationaler Widerstand Dortmund war und über einen Onlineversandhandel die militante Neonaziszene mit Sturmhauben und Ähnlichem versorgt. Eine ernsthafte Bedrohung.
Oma war kein Nazi
Mittlerweile ist es fast an der Tagesordnung, dass Journalisten – insbesondere solche, die zum rechtsextremen Milieu recherchieren – heftig bedroht werden. Erst im November organisierten Neonazis eine Demonstration vor dem Wohnhaus eines NDR-Mitarbeiters in Hannover. Doch dort gab es breite Solidarität für den betreffenden Kollegen, auch aus dem Sender.
Im Fall von Hollek hingegen schrieb die „Aktuelle Stunde“ auf Twitter: „Der betroffene Mitarbeiter […] hat den Tweet von seinem privaten Twitter-Account abgesetzt. Wir distanzieren uns scharf von Form und Inhalt.“ Zur Bedrohung ihres Mitarbeiters durch Nazis twitterte die „Aktuelle Stunde“ zunächst nichts. Stattdessen hieß es am Sonntag, man habe mit Hollek gesprochen. Und: „Aus unserer Sicht ist zu dem Thema nun alles gesagt.“
Selbstredend ist es nicht die Aufgabe des WDR, jede Meinungsäußerung jedes Mitarbeiters vollinhaltlich zu teilen. Doch bei dem Tweet handelt es sich weder um eine strafbare noch extremistische Äußerung. Ein frühes, verteidigendes Wort in Sachen Meinungsfreiheit hätte Hollek stützen können.
Überraschend ist die massive Ablehnung von Holleks überspitzter Äußerung „Oma war Nazisau“ natürlich nicht: So wie zur nationalsozialistischen Vergangenheit die Unterstützung der Nazis durch die Bevölkerung gehörte, so gehört zur postnazistischen Bewältigung das Leugnen dieser Realität.
Verdrängen und Verleugnen
Die soziologische Studie „Opa war kein Nazi: Nationalsozialismus und Holocaust im Familiengedächtnis“ hat dies schon vor Jahren dokumentiert. In den meisten deutschen Familienerzählungen waren die eigenen Vorfahren im Nationalsozialismus selbst Opfer oder gar Helden; Modus Operandi ist das Leugnen und Verdrängen der individuellen Schuld der eigenen Vorfahren.
Gerade vor diesem Hintergrund wäre es die Aufgabe des WDR gewesen, seinen Mitarbeiter so früh wie möglich zu schützen.
Georg Restle, der Redaktionsleiter von „Monitor“ (ebenfalls WDR), zeigt, wie das aussehen könnte: „Freie Mitarbeiter sind die schwächsten Glieder im ÖRR. Wenn sie öffentlich bedroht werden, müssen wir uns hinter sie stellen. Unabhängig davon, ob uns gefällt, was sie veröffentlichen. Nennt sich Meinungsfreiheit. Nennt sich Standhaftigkeit – gegen die Feinde der Demokratie.“
Auf Anfrage beim WDR macht sich der Sender diese Äußerung von Restle zu eigen und teilt mit, dass Morddrohungen vollkommen indiskutabel seien. „Wir bieten diesen Kolleginnen und Kollegen Personenschutz an und gehen mit allen juristischen Mitteln dagegen vor.“ Inzwischen hat Hollek um Entschuldigung für seine sarkastische Äußerung gebeten. Erst danach schrieb die „Aktuelle Stunde“, dass „kein verunglückter Tweet“ Drohungen rechtfertige und man Hollek Unterstützung angeboten habe.
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