Drohendes Aus für „Moabit hilft“: Menschen helfen schwer gemacht
Seit mehr als zehn Jahren springt „Moabit hilft“ dort ein, wo die Behörden versagen. Nun droht das Aus, weil das Land Berlin die Räume gekündigt hat.

Zehn Jahre später ist die Initiative noch immer in Moabit, seit 2018 in einem städtischen Flachbau in der Turmstraße. Bis heute werden in dem hellen und freundlichen, aber improvisiert wirkenden Gebäude täglich über 60 Menschen in Not von rund 85 Ehrenamtlichen versorgt, erzählt Ronja Lange, eine von drei hauptamtlichen Mitarbeiterinnen des Vereins, der taz.
Es gibt eine Kleiderkammer sowie ein Lager für Kleiderspenden, einen großen Beratungsraum, zwei Büros und eine Teeküche. Nicht nur Geflüchtete, auch Obdachlose und andere sozial Benachteiligte kommen hierher. „Wir versuchen, jedem zu helfen“, so Lange. Der Verein, der keinerlei staatliche Förderung erhält, leistet Arbeit, „die eigentlich durch staatliche Strukturen abgesichert sein müsste“, schreibt die Initiative über sich selbst.
„Wir beraten Menschen in sozialen und asylrechtlichen Fragen, unterstützen bei Behördengängen, bieten Sprachmittlung an und geben Sachspenden aus“, sagt Lange. Der Verein ist jedoch mehr als nur eine niedrigschwellige und unbürokratische Anlaufstelle für Hilfesuchende. Darüber hinaus macht er immer wieder auf Missstände aufmerksam, die sich im Zusammenhang mit sozial Benachteiligten zeigen – zuletzt etwa bei der diskriminierenden Bezahlkarte für Geflüchtete.
Noch kein Nachmieter in Sicht
Doch damit könnte bald Schluss sein. Denn die Räumlichkeiten von „Moabit hilft“ wurden zum 1. Juni gekündigt. Das Gebäude gehört dem Land Berlin und wird durch die landeseigene Berliner Immobilienmanagement GmbH (BIM) verwaltet. Die ist für die Vermietung und den Verkauf von landeseigenen Immobilien zuständig und untersteht der Senatsverwaltung für Finanzen.
Der Verein hat das marode Gebäude 2018 übernommen und in Eigenregie saniert, erzählt Lange. Davor wurden dort Akten gelagert. Die Hilfsorganisation hatte eigentlich auf eine langfristige Perspektive gehofft. „Doch die BIM hat uns nie ein Angebot gemacht, das über Juni 2025 hinausging“, kritisiert die Helferin.
Die Forderung nach einem Vertrag mit längerer Laufzeit lehnt die BIM ab, „weil die Flächen nicht auf Jahre für landeseigene Nutzer blockiert werden dürfen“, so ein Sprecher auf taz-Anfrage. Bereits seit 2020 gibt es keinen Mietvertrag mehr, stattdessen wurde ein laut BIM „stillschweigender Vertrag“ Anfang des Jahres zum 1. Juni gekündigt. Obwohl es „derzeit noch keinen konkreten Nachnutzer gibt“, könnten demnächst dort wieder Akten gelagert werden.
Der Verein zeigt sich fassungslos und will das nicht hinnehmen. „Wir werden nicht umziehen“, stellt Diana Henniges, Gründerin von „Moabit hilft“, klar. „Wir fordern ein Gespräch auf Augenhöhe mit der BIM.“ Diese müsse „klar und transparent“ darstellen, warum sie den Verein nun rauswerfe, obwohl sie noch gar keinen Nachmieter habe. „Wir wollen deutlich machen, dass zivilgesellschaftliche Organisationen wie unsere nicht immer als lästig abgeschüttelt werden sollten.“
Wichtige Stimme gegen Missstände
Die mangelnde Wertschätzung ihrer größtenteils ehrenamtlichen Arbeit macht den Helferinnen zu schaffen. Sie hätten sich von Anfang an unerwünscht gefühlt, sagen Hennige und Lange. „Diese Situation jetzt ist die Krönung dafür, dass wir elf Jahre dem Senat die Arbeit abgenommen und Menschen geholfen haben, die sonst, wer weiß, wo, gelandet wären“, kritisiert Lange. „Wir sind nicht mehr bereit, uns als Bittsteller vor den Senat hinzustellen“, sagt Henniges kämpferisch. „Wir haben es wirklich satt.“
Die beiden Frauen berichten von zahlreichen Fällen von Behördenversagen, Verzögerungen, Plan- und Kompetenzlosigkeit. Das System sei total überfordert, sagt Henniges. „Das liegt auch daran, dass wir im Sozialsystem in den letzten Jahren so harte Kürzungen erfahren haben.“ Dem setzt der Verein jahrelange Netzwerkarbeit entgegen. Mit Menschen und Initiativen, die den Willen haben, etwas für die Ärmsten in der Stadt zu tun.
Damit haben sie sich in Politik und Verwaltung nicht nur Freunde gemacht. „Wir sind bekannt wie ein bunter Hund. Vor allem deswegen, weil wir sehr deutlich sagen, wo die Missstände sind“, sagt Gründerin Henniges stolz.
Das steht nun alles auf dem Spiel: „Wenn die Stadt das nicht haben will, wenn sie sagt, wir lagern hier lieber Akten – dann sind wir raus. Und wir werden auch nirgendwohin anders umziehen, wir haben keine Kapazitäten, weder finanziell noch physisch“, stellt Henniges klar.
Petition fordert Rücknahme der Kündigung
Besonders zermürbend ist für die Helferinnen das Kompetenzgerangel zwischen Land und Bezirken. „Wir sind der Ball, und die spielen mit uns Pingpong“, bringt es Lange auf den Punkt. „Und wir hängen dazwischen und denken: Wir wollen doch bloß Menschen helfen, die in dieser Stadt sonst keine Anlaufstelle haben.“
Lieber wäre es ihnen, wenn die Stadt ihre Aufgaben gegenüber hilfsbedürftigen Bürgerinnen und Bürger wahrnehmen würde. „In unserer Satzung steht: Wenn die Menschen uns nicht mehr brauchen, hören wir auf“, so Lange. Das sei aber nicht der Fall. „Diese Stadt kann in vielerlei Hinsicht überhaupt nicht mehr das leisten, was sie eigentlich müsste. Nämlich, sich um die ärmsten Menschen zu kümmern“, so Henniges.
Daher will „Moabit hilft“ weitermachen und sieht nun den Finanzsenator am Zug. Der Verein hofft, dass sie mit genug öffentlichem Druck in ihren Räumen bleiben können. Eine Petition von Freitag, die die Rücknahme der Kündigung fordert, haben bis Sonntagnachmittag mehr als 1.700 Menschen unterzeichnet.
„Unser Ort ist ein Ort für alle“, sagt Henniges. „So viele davon gibt es nicht mehr. Wenn es uns nicht mehr gibt, wäre das ein herber Verlust für diese Stadt.“
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