Drohende Neuwahlen in Israel: Von den Toten erwecken
Die Koalition mit Netanjahu ist dysfunktional, sie weiterzuführen, kann man von Gantz nicht erwarten. Jetzt muss sich das linke Lager neu sortieren.
I srael steuert auf Neuwahlen zu. Schon wieder. Auf dem Höhepunkt der Coronakrise hat nun auch der Koalitionspartner Benny Gantz dafür gestimmt. Er hatte keine andere Wahl. Denn eine Fortsetzung der Regierung würde das Elend nur verlängern. Auch wenn einige sagen, dass die Regierungsbeteiligung von Gantz' Partei Blau Weiß zumindest dafür gesorgt hat, dass Netanjahu wichtige Posten nicht mit seinen Verbündeten vom rechten Rand besetzen konnte: Gantz, der ehemalige Kopf der israelischen Armee, unerfahren in politischem Taktieren, war hilflos gegenüber den schmutzigen Bandagen, mit denen der Weltklasse-Stratege und Zauberer Netanjahu spielte.
Man darf nicht vergessen: Neuwahlen wird es ohnehin geben. Kein Israeli hat jemals geglaubt, dass Netanjahu Gantz seinen Posten nach zwei Jahren – wie vereinbart – übergeben würde. Unter diesen Bedingungen eine derartig dysfunktionale Regierung, wie es die jetzige ist, weiterzuführen, kann man von Gantz nicht erwarten. Die Händelung der Coronakrise ist ein Desaster, wichtige Ämter des öffentlichen Dienstes wie das des Generalstaatsanwalts, des Generaldirektors des Justizministeriums und die Leitung der Haushaltsabteilung im Finanzministerium sind wegen Rangeleien zwischen den Regierungsparteien seit Monaten unbesetzt. Und noch immer gibt es keinen Haushalt für 2021.
Trotz sinkender Umfragewerte für Netanjahu gilt bei Neuwahlen eine Regierung unter jemand Anderem als Netanjahu als ausgesprochen unwahrscheinlich. Der Schaden, den die Regierungskoalition für das Mitte-Links-Lager angerichtet hat, ist indes riesig. Gantz Glaubwürdigkeit ist bei den Wähler*innen seines blau-weißen Bündnisses sturzflugartig gesunken, die Arbeitspartei Avoda in Folge ihres Regierungsbeitritts in der Bedeutungslosigkeit verschwunden.
Doch für das darniederliegende Mitte-Links-Lager könnte nun die Zeit sein, wieder zu sich zu kommen, die Arbeitspartei Avoda von den Toten zu erwecken und eine vernünftige Kooperation mit den arabischen Parteien aufzubauen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen