Drogenkriminalität in Kolumbien: Das allmächtige Kartell
Mit einem „bewaffneten Streik“ demonstriert der Golf-Clan seine Macht in Kolumbien. Anlass: die Auslieferung seines Ex-Chefs „Otoniel“ an die USA.
Vier Tage zeigte die Verbrecherorganisation Golf-Clan, dass sie in weiten Teilen Kolumbiens das Sagen hat. Fast den gesamte Norden des Landes legte sie lahm – von der Karibikregion die Pazifikküste hinab, ein Drittel der kolumbianischen Departamentos. Betroffen waren nicht nur ländliche Regionen, sondern auch Städte. In der Region La Guajira, wo die Kohlemine El Cerrejón ist, mit der Deutschland künftig russische Kohle ersetzen will, waren laut der Sonderjustiz für den Frieden (JEP) alle Gemeinden betroffen.
Der Golf-Clan verhängte Ausgangssperren. Schulen blieben geschlossen, Lokalmedien hörten auf zu berichten, der Verkehr wurde gestoppt. Lebensmittel und Treibstoff wurden knapp. Die bewaffneten Kämpfer zündeten Busse und Lastwagen derjenigen an, die es wagten, trotzdem zu fahren. Bilder zeigten verwaiste Straßenzüge, an denen Gebäude frisch mit dem Kürzel AGC beschmiert waren. Das steht für Gaitanistische Selbstverteidigung Kolumbiens, einer der Namen der Verbrecherorganisation.
Wer sich nicht an die Regeln hielt, der bezahlte einen hohen Preis – wie Francisco Miguel Soto López, der ermordet wurde, weil er auf dem Markt Kochbananen verkaufte, obwohl alle wirtschaftlichen Aktivitäten verboten waren.
Drogenhandel, Abholzung, Mord
Anlass für die brutale Aktion war laut Pamphleten die Auslieferung des Drogenbosses Dairo Antonio Úsuga alias Otoniel an die USA weniger als 24 Stunden zuvor. Dort wird er wegen Drogenhandel gesucht.
Otoniel galt bis zu seiner Festnahme im Oktober 2021 als der gefährlichste Drogenboss und war Anführer des Golf-Clans. Dieser ist die mächtigste Verbrecherorganisation Kolumbiens. Ihre illegalen Einnahmequellen sind Drogenhandel, Bergbau, Abholzung der Wälder für Bergbau, der Anbau von Drogenpflanzen und Holzhandel. Der Golf-Clan ist verantwortlich für Vertreibungen, ermordet Bürger- und Menschenrechtlerïnnen und kooperiert mit Gruppen, die Kinder rekrutieren, erpressen und Auftragsmorde begehen. Zudem arbeitet er mit dem mexikanischen Sinaloa-Kartell zusammen im Drogen- und Waffenhandel.
Der Golf-Clan behauptet, er sorge sich um die Rechte der Opfer und protestiere so gegen die Regierung. Für Expertïnnen ist das lächerlich: Sie gehen davon aus, dass der „Paro Armado“ allein der Machtdemonstration gegenüber der Regierung und anderen bewaffneten Gruppen diente – und der Einschüchterung der Bevölkerung.
Es ist bekannt, dass der Golf-Clan mit Militärs, Polizistïnnen, Politikerïnnen und Landbesitzerïnnen in Kolumbien kollaboriert. Otoniel hatte der Sonderjustiz eine Liste mit 63 Namen hochrangiger Personen ausgehändigt und zeigte sich willig auszupacken.
Aufklärung verhindert
Im mehr als 50 Jahre währenden bewaffneten Konflikt war er in verschiedenen Organisationen aktiv: zuerst Mitglied der linken Guerilla EPL (Volksbefreiungsarmee), dann kurze Zeit in den Reihen der Farc (Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens) und später Mitglied der rechten Paramilitärs AUC (Kolumbianische Selbstverteidigungskräfte). Die Opfer hofften deshalb, endlich die Wahrheit zu erfahren und dass Otoniel Strukturen bloßlegen würde, die teilweise bis heute aktiv sind.
Doch dazu kam es nicht. Präsident Iván Duque überging ein Gerichtsurteil zugunsten der Opfer und genehmigte die Auslieferung an die USA per Dekret. Das Ausmaß der Gewalt beim bewaffneten Streik verleugnete Duque vollkommen. Er sprach von „feigen Einzeltaten“, mit denen der Clan versuche, einzuschüchtern und eine Stärke zu zeigen, die er nicht habe.
Duque verkündete die Mobilisierung von 52.000 Sicherheitskräften an kritischen Punkten – wobei diese nach Berichten aus der Bevölkerung an vielen Orten nie auftauchten. Danach entschwand Duque nach Costa Rica, um für den Wirtschaftsstandort Kolumbien zu werben.
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