Dresdner Handyskandal: Hat die Polizei illegal abgehört?
Interne Dokumente belegen es: Die Polizei hat in Dresden auch Handygespräche abgehört. Die Frage ist: Was weiß Innenminister Ulbig?
BERLIN taz | Die Polizeiüberwachung der Antinazidemonstration am 19. Februar in Dresden war noch umfangreicher als bisher angenommen. An diesem Tag wurden nicht nur über eine Millionen Handyverbindungsdaten erfasst, gespeichert und ausgewertet. Nach taz-Informationen wurde vielmehr auch mindestens ein sogenannter Imsi-Catcher eingesetzt. Dieser kann Handys im Umkreis nicht nur genau orten, sondern auch in Echtzeit abhören.
Die Anordung zum Einsatz des Imsi-Catchers "zur Standortbestimmung" geht aus einem internen Aktenvermerk des Landeskriminalamts Sachsen vom 19. Februar hervor, der der taz vorliegt. Aus dem Dokument wird aber deutlich, dass mit dem Imsi-Catcher auch Inhalte von Gesprächen in Echtzeit abgehört wurden. Dies würde den richterlichen Beschluss überschreiten und wäre demnach rechtswidrig.
Imsi-Catcher ahmen eine Funkzelle nach und zwingen alle Handys in einem Umkreis, der mehrere hundert Meter groß sein kann, sich bei ihnen einzuloggen. Damit hat die Polizei die komplette Kontolle über die Mobilfunkgeräte. Sie kann Gespräche abhören, Kurzmitteilungen mitlesen, die genaue Position bestimmen, aber auch eingehende Anrufe blockieren. Meist nutzt die Polizei für den Einsatz einen Kleinbus, mittlerweile gibt es aber auch mobile Geräte.
Interessant wird es für die Ermittler, wenn sie die Erkenntnisse aus den bisher bekannten Ermittlungen vom 19. Februar zusammenführen. So ist es denkbar, dass sie durch den Imsi-Catcher Gespräche abhören und später im Rahmen der Funkzellenauswertung und einer Abfrage beim Provider zu den Handynummern Namen ermitteln.
Erneute Rücktrittsforderung an den Innenminister
Die neuen Erkenntnisse zu den Ermittlungsmethoden der Polizei können für Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) politisch brisant werden. Er hatte am Mittwoch im Sächsischen Landtag zunächst eine Echtzeiterfassung von Telefongesprächen am 19. Februar ausgeschlossen. Später erklärte er dann aber, er könne dies für andere Behörden als die Polizeidirektion Dresden nicht mehr ausschließen.
"Es kann ja sein, dass er von der Echtzeitüberwachung nichts gewusst hat. Dann hat er aber sein Haus nicht im Griff", sagte Johannes Lichdi, Rechtsexperte der Grünen in Sachsen. Ulbig hätte sich kundig machen, dann die Öffentlichkeit und das Parlament informieren müssen, dass auch Gesprächsinhalte live mitgehört wurden. Entscheidend sei jetzt die Frage, welche Daten und Gesprächsinhalte in welchem Umfang erfasst und an die Polizei weitergereicht wurden.
André Hahn, Fraktionschef der Linkspartei, bezichtigt Ulbig gar der Lüge und forderte ihn am Donnerstag erneut zum Rücktritt auf. "Ein Minister, der sowohl den Landtag als auch die Öffentlichkeit in einem gravierenden Punkt belogen hat, darf nicht im Amt bleiben", sagte er und forderte erneut die Einsetzung einer unabhängigen Untersuchungskommission. Auch einen Untersuchungsausschuss schließt die Opposition nicht mehr aus.
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