Dresdner Handy-Skandal: Innenminister täuscht die Öffentlichkeit
Zuerst wurde der Polizeichef abgesetzt - nun fordert die Opposition auch den Kopf des sächsischen Innenministers. Die Linkspartei will eine Sondersitzung einberufen.
BERLIN taz | Einen Tag nach der Absetzung des Dresdner Polizeipräsidenten Dieter Hanitsch gerät jetzt der sächsische Innenminister Markus Ulbig (CDU) unter Druck. Erstmals fordert die sächsische Opposition wegen der massenhaften Ausspähung von Handydaten seinen Rücktritt. Die zuständigen Minister trügen die politische Verantwortung, so André Hahn, Fraktionschef der Linkspartei. "Es sind in Deutschland Minister schon wegen weit weniger gravierender Skandale zurückgetreten", sagte er der taz.
"Sollten die Minister jetzt nicht massiv zur Aufarbeitung beitragen, machen sie sich politisch angreifbar und müssen mit Konsequenzen rechnen", sagte auch SPD-Fraktionschef Martin Dulig.
Wie die taz aufgedeckt hatte, hat die Dresdner Polizei rund um die Antinaziproteste am 19. Februar über eine Millionen Handyverbindungsdaten ermittelt, gespeichert und ausgewertet. Von diesen Funkzellenauswertungen waren rund 300.000 Handybesitzer betroffen. Die Daten sollten zur Aufklärung von Angriffen auf Polizisten dienen, wurden in vielen Fällen aber auch zweckentfremdet. In einer achtstündigen Sondersitzung von Rechts- und Innenausschuss gab es kaum neue Antworten, stattdessen viele neue Fragen.
Die Linksfraktion prüft daher, ob sie noch vor der Sommerpause eine Sondersitzung des Landtags beantragt. Selbst einen Untersuchungsausschuss bringt Fraktionschef Hahn ins Spiel. Auch SPD-Mann Dulig will das nicht ausschließen, sollten die Minister weiterhin nicht zur Aufklärung beitragen.
Öffentlichkeit grob getäuscht
Innenminister Ulbig hat die Öffentlichkeit gar grob getäuscht. So versucht er seit Freitag die Funkzellenauswertung als Normalfall herunterzuspielen. Dafür zitiert er eine Statistik des Bundesamts für Justiz, wonach "für das Jahr 2009 Funkzellenauswertungen in der Bundesrepublik insgesamt 15.707 Mal in 9.459 Verfahren vorgenommen" wurden. So steht es noch immer auf der Homepage des Ministeriums, etliche Medien und Nachrichtenagenturen haben die Zahlen weiterverbreitet.
Dabei sind sie schlicht falsch. "Diese Zahlen beziehen sich nicht allein auf Funkzellenabfragen, sondern allgemein auf Verkehrsdaten", erklärte das Bundesjustizministerium der taz. In den meisten Fällen handelt es sich um Einzelabfragen. Wie häufig massenhafte Funkzellenabfragen vorkommen, wird in keiner Bundesstatistik erfasst.
Darauf hat die taz das sächsische Innenministerium bereits am Freitag aufmerksam gemacht. Passiert ist seither nichts. Dresdens Polizeichef wurde wegen mangelhafter Informationspolitik entlassen. Diese Maßstäbe legt das Innenministerium an sich selbst offenbar nicht an. Der sächsische Landtag debattiert heute über die Funkzellenauswertung. Am Freitag wird sich auf Antrag der Linkspartei auch der Bundestag in einer Aktuellen Stunde mit dem Fall befassen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Zweite Woche der UN-Klimakonferenz
Habeck wirbt für den weltweiten Ausbau des Emissionshandels
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Krieg in der Ukraine
Biden erlaubt Raketenangriffe mit größerer Reichweite
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga