Dossier des „Antifaschistischen Infoblatts“: Wie der Verfassungsschutz Nazis nützt
Das „AIB“ veröffentlicht ein Dossier über Neonazis und Verfassungsschutz. Sein Fazit: Die Behörde nützt Neonazis eher, als dass sie ihnen schadet.
Mitte der 90er Jahre prahlt Michael Wobbe in der taz, wie er Jugendliche angeworben und geschult habe, um eine Neonazi-Gruppe aufzubauen: „Da entstand langsam eine unabhängige Kameradschaft, die sich ohne mich nie gegründet hätte.“ Das Pikante an der Geschichte: Wobbe war V-Mann des niedersächsischen Verfassungsschutzes und sagte, dass sein Kontaktmann in der Behörde ihn angestachelt habe. Später seien die Kameradschaftsmitglieder allesamt im Gefängnis gelandet: „Ich habe gegründet, damit das Amt zuschlagen kann.“
Von solchen Geschichten wimmelt es in einem Dossier, dass das Antifaschistische Infoblatt nun veröffentlicht hat. Das Fazit der Fachzeitung: Der Verfassungsschutz habe als Frühwarnsystem versagt. Mehr noch: Das System der V-Leute, das der Verfassungsschutz nutzt, war Neonazis eher dienlich, als dass es ihnen geschadet habe. Der Verfassungsschutz habe damit sein eigenes erklärtes Ziel untergraben. Mehrere Beiträge des Dossiers fordern wohl deshalb: Den Verfassungsschutz abschaffen.
Auch Peter Schulz, der Gründer des „Heimatschutzkorps Ostwestfalen-Lippe“, einer Gruppe, die in SS-Uniformen aufmarschierte und mit Waffen aus dem Zweiten Weltkrieg „Sturmangriffe“ übte, war V-Mann. Bernd Schmitt, in dessen Kampfsportschule sich die Neonazis radikalisierten, die in Solingen fünf Menschen bei einem Brandanschlag ermordeten, war V-Mann. Und Tino Brandt, der mit rund 200.000 DM vom Thüringer Verfassungsschutz die Neonazigruppe „Thüringer Heimatschutz“ aufbaute und wahrscheinlich mit Falschinformationen an die Behörde die Rechtsterroristen des NSU deckte, war V-Mann. Die Liste lässt sich – gerade in Bezug auf den NSU – lange weiterführen.
Angesichts solcher indirekt durch den Staat mitfinanzierten oder gestützten Verbrecherbanden, scheinen die fragwürdigen Aktionen des Verfassungsschutzchefs Hans-Georg Maaßen schon fast geringfügig. Er soll die rechtsradikale AfD beraten haben, deren völkische Argumentation sich lediglich in der Wortwahl von der der rechtsextremen NPD unterscheidet, soll Informationen an die AfD weitergegeben haben und befeuerte rechte Verschwörungstheorien mit der unbelegten Behauptung, ein Video aus Chemnitz, in dem Neonazis nichtweiße Menschen jagen, sei „gezielte Falschinformation“.
Doch überraschend ist Maaßens Verhalten angesichts der Geschichte des Verfassungsschutzes nicht. Entsprechend argumentiert Grundrechtekomitee-Vorstand Heiner Busch deshalb schon 2012 im AIB, dass der Verfassungsschutz mitsamt V-Leute-System geschlossen gehöre: Die Informationen von V-Leuten seien oft nicht vor Gericht verwertbar und ohnehin von fragwürdiger Qualität. Andererseits habe die Finanzierung von V-Leuten, rechtsextreme Strukturen eher gestärkt.
Medien und Forscher sind besser informiert
Ähnlich argumentieren die antifaschistischen Gruppen AKKU und Avanti in eigenen Beiträgen: Als Inlandsgeheimdienst habe der Verfassungsschutz systematisch versagt. Seit 1990 habe es mehr als 180 Tote durch rechtsextreme Gewalt gegeben, sowohl beim NSU sei der Verfassungsschutz gescheitert, als auch bei islamistischen Gruppen, wie der um Mohammed Atta, die vor genau 17 Jahren den Anschlag vom 11. September in den USA verübten.
Avanti weist außerdem darauf hin, dass die Verfassungsschutzberichte keinen wirklichen Mehrwert liefern: Diese „geben an Informationen lediglich wieder, was engagierte JournalistInnen, WissenschaftlerInnen und AntifaschistInnen sowieso, meistens sogar besser, wissen. Eine wissenschaftliche, quellenkritische Nachprüfbarkeit der Arbeit des Dienstes ist nicht möglich“.
So schließt sich auch der Kreis zur heutigen Zeit: AntifaschistInnen und JournalistInnen liefern die Belege für die Zusammenarbeit und Kontakte der AfD mit Neonazis. Während von zahlreichen AfD-Führungskadern völkische, holocaustverharmlosende und rassistische Äußerungen zu hören sind, diese offen über „Systemwechsel“ oder „Revolution“ sprechen und sogar mit bekannten Rechtsextremen gemeinsame Sache machen, heißt es aus dem Innenministerium, dass es für eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz „keine Voraussetzung“ gebe.
Stattdessen finden sich im aktuellen Verfassungsschutzbericht Einträge wie der zur „Gruppe ArbeiterInnenmacht“ in der Rubrik „Linksextremismus“. Das 40-köpfige Kollektiv aus Berlin biete bei Lesekreisen und Vortragsreihen „Diskussionen und Schulungen“ an und beteilige sich an 1.-Mai-Demonstrationen.
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