„Dorfschönheiten“-Tour: „Dat Medici war ziemlich zickig“

Mit Kabarettist Manes Meckenstock bei einer Stadtführung durch seine Heimatstadt Düsseldorf.

Die Promenade am Rhein, der sich „hier vor Schmerzen windet. Bild: Franz Lerchenmüller

DÜSSELDORF taz | Im heutigen „Einhorn“ in der Ratinger Straße hatte Tante Adele ihr „Etablissmang“. Tante Adele wurde 1903 geboren, hatte mit 16 zwei Kinder von zwei katholischen Priestern und ihr Leben lang „so ’ne Krause, wenn sie ’nen Kleruskittel sah“. 1936 übernahm sie das Lokal mit den „Gästezimmern“ im oberen Stock, 1948 hatte sie es abbezahlt und stiftete ein Kinderheim, von dem sie verfügte, dass es nie kirchlich geleitet werden dürfe.

Als Manes Meckenstock 1969 im Kreise seiner Familien die erste heilige Kommunion feierte, rauschte auch Tante Adele herein, „Äpfelchen schön in de Uslage, Frettchen d’r Hals eröm, Kapotthötchen und behange wie ’ne Weihnachtsboom“. Sie beglückte den Jungen mit einem 50-Mark-Schein – und schockierte die feierlich gestimmten, brav katholischen Familien mit einer anschaulichen Schilderung, wie lange eine Dame ihres Standes sich mühen müsse, bis sie so einen Schein zusammenhabe.

Genau um diese Art von Mühe geht es auch in dem alten Lied im Düsseldorfer Idiom, das der Mann in den blauen Jeans und dem karierten Hemd gleich anschließend singt. Die Übersetzung spart er sich, da es als frauenfeindlich missverstanden werden könnte. Und schon jetzt stellen die 30 Teilnehmerinnen und Teilnehmer der „Dorfschönheiten“-Tour fest: Da vorn steht eine Rampensau!

Tiger & Turtle: Eine stählerne Pyramide in Bottrop, eine überdimensionierte Grubenlampe in Moers - an markanten Stellen der Ruhrgebietslandschaft erheben sich ungewöhnliche Skulpturen, die "Landmarken". Die neueste heißt "Tiger & Turtle", steht in Duisburg und erinnert an eine Achterbahn. www.du2010.de/landmarke-angerpark

Sky Diving: Wer immer schon mal die Sensation eines Fallschirmsprungs erleben wollte, aber Höhenangst hat, kann in Bottrop im Windkanal für 49 Euro eine Minute lang das Fliegen lernen. www.indoor-skydiving.com

Dasa Dortmund: Es geht um die Frage: Was macht der Job mit einem? Antworten erfährt man in einer virtuellen Fabrik, am Steuer eines Lkws oder beim Blick ins Nanomikroskop. www.dasa-dortmund.de

Schimanski-Tour: Wo hat Schimmi sein erstes "Scheiße" ausgesprochen? Welches Gasthaus war das Bordell? Wo lebte seine Geliebte, die Kneipenwirtin Lilo? Der Rundgang auf den Spuren des "Tatort"-Kommissars Schimanski führt tief in die Vergangenheit des Duisburger Stadtteils Ruhrort. www.du-tours.de

Kluterthöhle: Nichts für Leute mit Klaustrophobie ist eine XXtreme-Tour unter Tage bei Ennepetal. Patrice lässt seine Gäste zweieinhalb Stunden lang sprinten, klettern und sich durch hohe Kamine zwängen. www.kluterthoehle.de

Unterhaltsame Rampensau

Manes Meckenstock, 1,90 groß, stämmig, mit einem Gesicht, in dem Eigensinn, Spottlust und die Freuden guten Lebens aufgehoben sind, ist „Düsseldorfer in achter Generation oder auch Degeneration“. Er wird als Kabarettist gefeiert und war der Mann, der 15 Jahre lang für die WDR-Sendung „Zimmer frei“ die Wohnungen Prominenter durchwühlte und mit süffisantem Grinsen vertrocknete Käsestullen, rosa Teddybären und ausgeleierte Unterhosen in die Kamera hielt.

Seit 2008 führt er mehrmals im Jahr Stadtführungen durch und mutet den Teilnehmern dabei einiges zu: Fünfeinhalb Kilometer Fußmarsch in vier Stunden, große Geschichte und private Histörchen, ein Feuerwerk aus Boshaftigkeiten in Hochdeutsch mit rheinischen Einsprengseln, aber auch eine Menge handfester Informationen. Am Ende bleibt manches Bild haften.

Bei den besseren Leuten

„1288!“, donnert der Führer am Stadterhebungsdenkmal. „Wir haben es hier nit groß mit Zahle, und die Erbfolge der Jülich-Kleve-Berg geht uns am sonst wo vorbei, aber die Nummer merkt ihr euch, Herrschaften – auch fürs Quiz am Ende.“ Und dann erzählt er vor dem siebeneinhalb Meter langen kleinteiligen Bronzedenkmal mit den apokalyptischen Reitern und den gequälten Pferdeköpfen mit großem Ernst von den Gräueln der Schlacht bei Worringen 1288. Ein paar Düsseldorfer Bauern kämpften und siegten auf der Seite Johann von Brabants gegen den Erzbischof von Köln, woraufhin der 400-Einwohner-Flecken noch im selben Jahr zur Stadt wurde.

Manes Meckenstock ist „Düsseldorfer in achter Generation oder auch Degeneration“. Bild: Franz Lerchenmüller

Die Promenade am Rhein, der sich „hier vor Schmerzen windet, weil er durch Düsseldorf muss, wie die Kölner lügen“, gibt es erst seit 1895. Damals kaufte ein Industrieller den Bauern das Land an der unteren Rheinschleife ab, ließ es abtragen und aufschütten – und darauf wurde der Stadtteil Oberkassel errichtet. Schon Oma, sagt Manes, hatte ein gestörtes Verhältnis zu den „Plüschpruhmen un Tintensickers da drüben“. Und er führt die Feindschaft zu „diesen sehr besseren Leut’ “ fast liebevoll fort: „Über 30 Prozent der Duisburger Nazis lebten in Oberkassel. Und dann wurden gerade mal zwei Häuser zerbombt, während Düsseldorfer Arbeiterbezirke wie Oberbilk, Flingern oder Rath bis zu 80 Prozent in Schutt und Asche fielen. Von wejen himmlische Gerechtigkeit!“

Der Reiter auf seinem Sockel

Viele kriegen ihr Fett weg an diesem Sonntagmorgen: Der einstige Oberbürgermeister Josef Kürten als selbstherrlicher Zerstörer alter Bausubstanz. „Killepitsch“, die Düsseldorfer Kräuterlikör-Reliquie, die angeblich im Luftschutzkeller entstand: „Bevor sie uns killen, pitschen wir uns noch einen.“ Künstler, die es sich mit ihrer Kunst zu leicht machen. Und auch die früheren Wirte der Traditionsbrauerei Uerige, an die am Brauereigebäude eine Windfahne in Form eines fröhlichen Trinkers erinnert: „In Wirklichkeit waren das Stinkstiwwel und Knütterbühdel – Opa hat da gekellnert.“

Gekonnt hält der Bühnenprofi seine Zuhörer bei der Stange und ihre Neugier auch auf historische Verläufe und Personen wach. Das Reiterstandbild des beliebten Kurfürsten Jan Wellem etwa, der von 1679 bis 1716 regierte und Protestanten erstmals eigene Gotteshäuser bauen ließ –, jenes Standbild entstand erst im dritten Anlauf. „Die ersten beiden Ausgaben waren sehr realistisch: Jan Wellem war 1,51 Meter groß und 95 Kilo schwer, und als er seine bronzenen Spiegelbilder sah, meinte er: ’Wolle mer bitte noch mal einschmelze lasse.‘ “ Jan Wellem heiratete später Anna Maria Luisa de Medici, aber „dat Medici war ziemlich zickig, als et kam“: Sie brachte Musiker und Maler mit aus Florenz und ließ die Gemäldegalerie und eine Oper bauen. Als die Nazis die Wellem-Statue einschmelzen lassen wollten, transportierten Düsseldorfer Bürger sie bei Nacht und Nebel und versteckten sie; erst 1948 kehrte der Reiter auf seinen Sockel zurück.

Mal deftig, mal böse, mal innig

Es ist ein amüsanter Rundgang, mal deftig, mal böse, mal innig – gespannt warten die Zuhörer, welche Histörchen der Erzähler an der nächsten Station aus seiner Wundertüte schütteln wird. Und immer wieder brüllt ein Passant „Manes!“ herüber, und der Lokalheroe winkt huldvoll zurück. Vorbei an der Berger Allee, in der heute die „Hotwolee“ wohnt, geht es ins Wasserviertel zur Horion-Villa, in der Johannes Rau und seine Vorgänger residierten. Für 5,5 Millionen Euro wurde sie renoviert, wird aber heute nur zwei- bis dreimal im Monat zu Repräsentationszwecken genutzt. Ministerpräsident Clement hatte im Bürohaus Stadttor für 20 Jahre Räume angemietet, und dort waltet nun Hannelore Kraft ihres Amtes. Ein paar Meter weiter plätschert die Düssel, unter dem grünen Landesbauminister Michael Vesper aus ihrem einstigen Betonverlies entlassen, munter dahin.

Der Industriebrunnen auf dem Fürstenplatz mit den „knackigen, nackigen Hintern“ eines Bergmanns und eines Hüttenarbeiters wurde im Auftrag der Stahlindustrie für die Industrieausstellung 1912 geschaffen. 53 Brunnen hat Düsseldorf, erfahren die Zuhörer – sowie einen in New York. Kaiserin Sisi hatte ihn der Stadt zum 100. Geburtstag Heinrich Heines 1897 schenken wollen – aber es gab heftige Widerstände gegen die Ehrung für „den Juden“. Die Kaiserin zog sich zurück, das Denkmal stellte man schließlich 1889 in New York auf.

Die vierstündige Tour endet am „Meckenstocks“ im Volksgarten – der Stadtführer hat sein eigenes Theater mit Biergarten. Gleich daneben tummelt sich eine Versammlung bunter Drachen. Und wenn M. M. geradezu liebevoll davon erzählt, wie Mitarbeiter der Stadtverwaltung sie zur Bundesgartenschau 1987 in 12.000 Stunden freiwilliger Arbeit bauten, um die Entlüftungsrohre der Kanalisation darunter zu verstecken, ahnt man, dass es dem Mann bei aller Freude am Krawall letztendlich immer um seine Stadt geht, die er liebt und die er einfach nicht kurzsichtigen Planer und bedenkenlosen Investoren überlassen will. Bei Häppchen von der Currywurst füllen die Teilnehmer ein Abschlussquiz aus: 16 Fragen zur Stadtgeschichte sind zu beantworten, vom Jahr der Verleihung der Stadtrechte bis zum „bekanntesten lebenden Düsseldorfer überhaupt“: Heino. So weit hat Tante Adele es nie gebracht.

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