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Doppelte Neujahrsansprache in BelarusAlle zusammen!

Lukaschenko ruft seine Landsleute zur nationalen Einheit auf. Olga Deksnis erzählt von stürmischen Zeiten in Minsk. Folge 49.

Mit der Jugend ins Neue Jahr: Alexander Lukaschenko ist am 29.Dezember 2020 nach wie vor im Amt Foto: Andrei Stasevich/POOL BelTa/AP/dpa

S eit vielen Jahren ist es in Belarus Tradition: zum Klang der Neujahrsglocken, fünf Minuten vor Mitternacht, hört die ganze Familie die Ansprache des Präsidenten. Wer sich schon früher vor den Fernseher setzt, kann wegen des Zeitunterschiedes auch noch die Ansprache des russischen Präsidenten hören.

Lukaschenko sprach auf Russisch im staatlichen Fernsehen und Tichanowskaja online auf Belarussisch.

Записки из Беларуси

Записи из дневника на русском языке можно найти здесь.

„Wir haben uns im August zusammen geschlossen, um unsere Stimmen für einen Wandel zu erheben. Wir haben gemeinsam vor Schmerz geweint, als wir von Okrestino (Minsker Untersuchungsgefängnis, das seit August Symbol für Gewalt und Folter wurde; Anm. d. Redaktion) erfahren haben, und vor Freude, als wir sahen, dass hunderttausende von uns am „Marsch für Freiheit“ teilgenommen haben“, sagte Swetlana Tichanowskaja.

„Wir haben uns zusammengeschlossen, um zu spüren, dass uns niemand brechen, anhalten oder aufhalten kann, weil jeder von uns nicht für sich alleine, sondern für alle auf die Straße geht, und dass ein zerrissener Pass stärker als die ganze Repressionsmaschinerie ist“. (Anspielung auf die Oppositionspolitikerin Maria Kolesnikowa, die von Sicherheitskräften entführt wurde und außer Landes gebracht werden sollten, was sie mit dem Zerreißen ihres Passes verhindern konnte; Anm. d. Redaktion)

Lukaschenko hingegen rief in seiner Neujahrsrede die Bürger des Landes dazu auf, eine „neue Seite“ aufzuschlagen und 2021 in der Republik zu einem Jahr der nationalen Einheit zu machen. Nach seinen Worten müssen man „das Jahr 2020 zu Geschichte erklären, aber dürfe seine Lektionen nicht vergessen“, und alle „die die Welt anders sehen,sollten realisieren, dass es nur einen einzigen Wert gibt, und zwar den Flecken Erde im Zentrum Europas.“

Bild: privat
Olga Deksnis

35 Jahre alt, lebt in Minsk und arbeitet bei dem Portal AgroTimes.by. Sie schreibt über besonders verwundbare Gruppen in der Gesellschaft: Menschen mit Behinderung, LGBT, Geflüchtete etc.

Am 1. Januar 2021 unterschrieb Lukaschenko Ukas (Präsidentenerlass mit Gesetzeskraft; Anm. d. Redaktion) Nr. 1, demzufolge die Konsolidierung der Gesellschaft, die Einheit des belarussischen Volkes auf der Grundlage der Souveränität und der Unabhängigkeit des Landes beruht und das Jahr 2021 in Belarus zum Jahr der nationalen Einheit ausgerufen wird.

Am 5. Januar besuchte er das Unternehmen Horizont. Während des Gespräches mit den Angestellten kommentierte er seine Entscheidung. Die Informationen und das Video wurden im Telegram-Kanal des präsidialen Pressedienstes „Pool des Ersten“ veröffentlicht.

„Ich möchte einfach unterstreichen, dass ich dies nicht getan habe, um irgendjemandem irgendetwas zu beweisen. Obgleich der Grund wahrscheinlich auch ist, dass die Menschen verstehen sollen, dass ich kein Feind des eigenen Volkes bin und vor allem nicht mein eigener. Ich möchte, dass es im Land ruhig ist. Vermutlich möchten Sie das selber auch. Wenn Ihnen der derzeitige Präsident nicht gefällt, dann können nur Wahlen über diese Frage entscheiden. Einzig und allein Wahlen. Ich sage das, egal, ob das nun jedem gefällt oder nicht“, sagte Lukaschenko.

Und wandte sich dann an die Jugend. „Ja, ihr (Jugendliche) seid die Zukunft. Wir gehen. Dann ist es an euch, dieses Land zu bewahren. Ihr seid die Zukunft. Aber Wahlen – das ist, wenn junge Menschen (über 18 Jahre) und alte Menschen die gleichen Stimmzettel haben. Darum brecht nicht das Gesetz. Auch wenn es eine Minderheit ist, sind es doch meine Leute, egal wie pathetisch das jetzt klingen mag“, sagte Lukaschenko mit Blick auf die Gegner der aktuellen Machthaber. „Und ich möchte nicht, dass sie sonntags auf die Straße gehen und das Leben anderer Menschen stören. Darum ist es an der Zeit, dass das jetzt aufhört. (die Proteste, die seit den Wahlen im August anhalten; Anm. der Autorin)

Nach diesem Neujahrstreffen haben die Menschen auf Facebook sofort heftig diskutiert. Die einen schreiben, dass sie müde sind vom Demonstrieren und dass die Proteste zu nichts geführt haben. Und die anderen bitten darum an das Beste zu glauben, dem Druck nicht nachzugeben und „mit aller Kraft weiterzumachen.“

Aus dem Russischen Gaby Coldewey

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