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Doppel-Tanz-Abend in OsnabrückStumme Schreie

Das Theater Osnabrück koppelt zwei Choreografien für den Abend „Dwa – Zwei“. Tänzerisch geht das Konzept auf, inszenatorisch bleiben Fragen.

Eine echte Ensembleleitung: Maciej Kuźmińskis „Beginningend“ Foto: Oliver Look/Theater Osnabrück

Erst war es Syrien, dann die Türkei, derzeit ist es Polen: Mit jeder neuen Spielzeit wählt sich das Theater Osnabrück ein anderes „Partnerland“. Zu dem stellen dann alle Sparten künstlerische Bezüge her; auch Gastspiel-Einladungen werden ausgesprochen. So erklärt es sich, dass der neue Doppelabend der Osnabrücker Dance Company polnisch-deutsch „Dwa – Zwei“ betitelt ist. Und dass ihn der polnischstämmige Choreograf Maciej Kuźmiński eröffnet mit seinem 35-Minüter „Beginningend“; darin geht es um Stanisław Dróżdż, so ist zu erfahren, einen Vertreter der polnischen Konkreten Poesie.

Wir blicken in einen engen, papiergrauen Quader, riesige Buchstaben an den Wänden, ohne einen Sinn zu ergeben. In diesem Raum variiert das Ensemble geometrische Bewegungsmuster, abstrakt, kühl: Arme bilden Winkel, Beine werden zu Diagonalen. Geradezu maschinell wirkt das, entpersönlicht.

Die Akteure schreiten und stehen, knien und liegen. Sie kommen, sie gehen, mal einzeln, dann wieder als Gruppe. Sie starren ins Nichts. Manchmal öffnet sich ein Mund wie zu einem stummen Schrei. Dazu ist elektronisches Klirren und Klicken zu hören, sanftes Piano, alles aber oft fast unhörbar (Musik: Matthew Bourne, Murcof). Dazwischen: tiefste Stille.

Ein starkes Bild ist das, und vom ersten Moment an ist klar: Die tanztechnische Souveränität der DarstellerInnen steht ebenso außer Zweifel wie ihre Bereitschaft, eine echte Ensembleleistung abzuliefern. Den Wiederholungen, die Kuźmiński ihnen abfordert, verleihen sie sensible Nuancen.

Zerrissen gemeinsam

An den Tanzenden liegt es also nicht, dass es dem Bühnengeschehen schwerfällt, sein Thema zu transportieren. Sprache, sagt das Programmheft, helfe, die Welt zu verstehen, zu dekonstruieren. Sprache helfe, zu identifizieren, wer wir sind. Es geht in „Beginningend“ demnach um die Balance zwischen Zerrissenheit und Gemeinschaft, zwischen Individuum und Gesellschaft – und das „eng verknüpft“ mit Kuźmińskis Heimat. Ein Konzept, das sich aus dem, was sich vor uns abspielt, leider nicht erschließt. Kuźmińskis Bedeutungsbehauptung ist sich selbst genug; der Großteil des Polen-Bezugs findet statt nur auf dem Papier.

Margarita Bocks Bühnenbild demonstriert die Dekonstruktion der Welt dagegen perfekt: Die Wände ihres Quaders heben sich, schrägen sich ab, werden verdeckt, öffnen neue Bedeutungsebenen, Buchstaben verschwinden. Ein sprechender Verweis auf Dróżdż. Wer weiß, dass Sprache sich in der Konkreten Poesie selbst darstellt, kann das goutieren.

Am Ende stimmt die Beleuchtungs-Crew, bis dahin eher unbeschäftigt, in Kuźmińskis Repetetiv-Kanon ein: Fade-out auf Fade-out liefert sie, immer bis kurz vor das Black und wieder zurück. Als es dann endlich doch mal final dunkel wird und bleibt, fühlt es sich wie eine Erlösung an: Umbaupause!

Danach übernimmt die israelische Choreografin Adi Salant mit „Position A“. Auch sie bezieht sich, heißt es, auf Polen – aber erneut klärt der Tanz nicht, worin genau die Bezugnahme besteht. Die Tanzleistung selbst allerdings überzeugt, von der Athletik bis zur Präzision noch im Filigranen.

Abstrakt und repetitiv

Auch in „Position A“ geht es, ohne erkennbare Handlung, dafür abstrakt, repetitiv und zeitgedehnt, um Individuum und Kollektiv, auch hier sind wieder stumme Schreie zu sehen, und wieder kommen Sounds aus den Boxen, die sich anhören wie elektrische Entladungen (Musik: Hania Rani, Dobrawa Czocher, Zakè; Musikbearbeitung und Sounddesign: Idan Kupferberg).

Allerdings ist die Bewegungssprache nun organischer. Statt eines engen Quaders öffnet sich ein weites Rechteck aus hängendem Stoff. Wie Hautfalten wirkt der, wie Gestein, skulptural, architektonisch. Durch unsichtbare Öffnungen verschwinden die Akteure ebenso gespenstisch darin, wie sie wieder aus ihm auftauchen.

Nächste Vorstellungen

13., 19. + 21. 4., Osnabrück, Theater am Domhof

Farbiges Licht unterstreicht das, von Blau-Silber bis Pink-Violett, von Mattrot bis Sonnengelb. Welt um Welt tut sich vor uns auf, alle Grenzen scheinen durchlässig für jeden. „Guten Abend, gut’ Nacht, von Englein bewacht“, hören wir es singen. Ist es das Paradies, das uns hier im Traum erscheint? Schön wäre es ja.

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