„Leonce und Lena“ am Theater Osnabrück: Die stumme Frau ergreift das Wort

Die Osnabrücker Inszenierung von Büchners Lustspiel vertauscht die Texte der beiden Hauptfiguren. Das eröffnet den Spielraum für eine grandiose Lena.

Leonce und Lena hinterm Steuer

Lena hält das Steuer, Leonce ist ängstlicher Beifahrer auf dem Trip nach Italien Foto: Joseph Ruben

Selten war Langeweile so schön: Ein Mix aus Kirsch-Lolli und Techno-Beats, Bubble-Tea-Bechern und Glitzerkonfetti. Georg Büchners Lena, im Theater Osnabrück eine überdrehte Rave-Luxusgöre von Prinzessin, hat schließlich alles, womit sie sich die Zeit vertreiben kann. Doch so richtig spaßig ist ihr Leben nicht: Ideen- und Antriebslosigkeit sind ihre Paten, Melancholie und Rebellionslust deren Schatten.

Als Topping aller Genervtheit soll Lena – so will es ihr wunderbar schluffig regierender Vater (Ronald Funke) – mit Prinz Leonce (Raphael Akeel) verheiratet werden. Und so vergeht in der „Leonce und Lena“-Inszenierung von Katharina Schmidt und Roman Konieczny eine zwar hübsche, aber auch sehr bildhaft zerdehnte Stunde, bis die Protagonistin nach Italien abhauen darf.

Denn eine arrangierte Ehe kommt bei aller Trägheit überhaupt nicht in Frage. Dann doch lieber mal raus aus dem gähnenden Räkel-Dasein auf einen Roadtrip, den sie mehr aus Versehen antritt – mit ihrem geduldigen Diener Valerio (großartig: Oliver Meskendahl) samt zerknitterter Landkarte auf dem Beifahrersitz. Moment, Lenas Diener Valerio? Gehört der in Georg Büchners Lustspiel von 1836 nicht eigentlich zu Leonce?

Ja, eigentlich. Doch in der Schmidt-Konieczny-Inszenierung spricht Lena die Leonce-Texte, und Leonce die von Lena. Ein kluger Move des Regieduos, der am Die-Liebe-findet-sich-eh-Verlauf des Stücks nichts ändert, aber der bei Büchner weitgehend stummen Frauenfigur deutlich mehr Textanteil und Spielräume gibt. Elegant dreht sich die Inszenierung so in eine gender-offene Gegenwart und zeigt mit Lua Mariell Barros Heckmanns zudem eine grandiose, herrlich coole, faule, launische und später hemmungslos verliebte Lena.

„Was machen wir jetzt?“

Eine, die allein und wild zu Techno tanzt, die die Scheinwerfer immer wieder auf sich richtet und mit einem schnoddrigen „is’ vorbei!“ mit ihrer Rosetta Schluss macht. Diese – dreifach verkörpert von Sascha Maria Icks, Ronald Funke und Oliver Meskendahl – heult leise hinter ihrer schwarzen Sonnenbrille, doch für die egozentrische Hauptfigur geht’s mitleidlos weiter im Leben, in dem nichts passiert.

Gregor Wickert schenkt dem Abend, in dem jede Menge Sta­tis­t*in­nen endlose Eintönigkeit erzählen, eine lustvoll trashige Ausstattung: Blondhaar-Perücken, spiegelglatte Oberflächen im Neonlicht, ein Gewächshaus, das sich aus der Bühne schraubt, portalbreit aufgeblasene Live-Videoaufnahmen und projizierte Chat-Verläufe, die das Happy End mit aufsteigenden Herz-Emojis feiern (Video: Franziska Junge).

Die Liebe des Lebens ist am Ende gefunden. Der Sinn desselben nicht. Mit einem schulterzuckendem „Was machen wir jetzt?“ setzt Lena ihren anarchischen Freiflug fort. Nun Hand in Hand mit Leonce. Ohne Zwang, ohne Plan und ohne Königskrone. Die liegt längst irgendwo unbeachtet am Bühnenrand.

Schauspiel „Leonce und Lena“, Theater am Domhof, Osnabrück, Wieder am 18. und 24. 2. sowie 1., 3., 12., 13., 19. 3. jeweils 19.30 Uhr

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.