„Don Carlo“ in der Semperoper: Zeichen der Selbstbehauptung
Mit dem Verdi-Blockbuster kehrt man in Dresden aus der Corona-Besucherpause zurück. Superstar Anna Netrebko begeistert darin als Elisabetta.
Einige Musikstädte wie Dresden trifft die Schließung der Opernhäuser besonders hart. Die Semperoper und die Sächsische Staatskapelle gehören zum Selbstverständnis der Stadt und ihrer Bürger. Da sind Zeichen der Selbstbehauptung und kreative Lösungen für die sogenannte neue Realität gefragt! Vor allem für die Orchester, die Chöre und die Sänger. Die Zuschauer im Saal mit Sicherheitsabstand zu verteilen, ist das geringste Problem.
Die Semperoper hat jetzt einen ersten Schritt in diese Richtung gemacht und ihn demonstrativ „Aufklang!“ genannt. Mit einem Konzert der Luxusklasse und etwa 300 im Handumdrehen verkauften Karten pro Vorstellung. Das sind 1.000 weniger als unter normalen Bedingungen möglich, aber immerhin besser als nichts.
Es ist ein Konzert der besonderen Art: Entlang eines Best-of zaubern nur acht Musiker, eine Handvoll Sänger und eine Abordnung des Chores eine Ahnung von Verdis „Don Carlo“ vor die Ohren und das innere Auge der unter Opernentzug leidenden Zuschauer. Und es funktioniert, weil man Spitzenkönner der Sächsischen Staatskapelle mit jeweils einer Flöte, Oboe und Violine sowie an einem Violoncello, Kontrabass und Harmonium zur Verfügung hat.
Und einen Mann am Klavier wie Johannes Wulff-Woesten, der als Komponist den Mut hatte, den Verdi-Blockbuster auf anderthalb Stunden einzudampfen und obendrein das Geschick, diese Minibesetzung auf der Bühne vom Klavier aus zu leiten.
Erstklassige Besetzung
Semperopernintendant Peter Theiler hat zudem einen erstklassigen jungen Bariton wie Sebastian Wartig für die Partie des Herzensfreundes des Infanten und der Freiheit, Marquis von Posa, zur Verfügung, dazu kommen eine elegant glutvolle Mezzosopranistin wie die Russin Elena Maximova und der Bassist Tilmann Rönnebeck als König Philipp II. und Alexandros Stavrakakis für den geheimnisvollen Mönch. Schon deshalb konnte er sich ruhigen Gewissens auf dieses Abenteuer einlassen.
Um daraus aber einen enthusiastisch bejubelten Erfolg beim Publikum zu machen, braucht’s einen strahlenden Prinzen und eine wirklich königliche Königin. Die immerhin war zur Stelle: Anna Netrebko. Der Opernsuperstar schlechthin. In Dresden hatte sie 2016 einen spektakulären Auftritt. Da wagte sie ein Experiment, das sie dann in Bayreuth leider nicht wiederholte. In der Semperoper gab sie im „Lohengrin“ ein exzellentes Elsa-Debüt von tadelloser deutscher Diktion (da kann sie selbst sagen, was sie will).
Die auch sie hart treffende Corona-Zwangspause beendete sie jetzt an der Elbe mit einer fulminanten Elisabetta. Einstudiert hatte sie die Rolle für die mit Dresden koproduzierte Inszenierung, die Vera Nemirova eigentlich zu den in diesem Jahr ausgefallenen Salzburger Osterfestspielen präsentieren wollte. Der konzertante „Rest“ wurde jetzt gleichwohl zu einem Zeichen der Selbstbehauptung der Branche.
Weder überbordende Emotion aus dem Graben noch intellektuelles Inszenierungsbeiwerk auf der Bühne wetteiferten diesmal mit den Einfällen eines Genies wie Verdi und mit dem Wichtigsten, was Oper zu bieten hat, den Stimmen. Die kundigen Zuschauer dürften Fehlendes aus der Erinnerung ergänzt haben. Auf den Disput zwischen Philipp und Posa zu verzichten, schmerzt allerdings doch. Ebenso wie die gestrichene Forderung Elisabettas an ihren Mann nach Gerechtigkeit. Aber sei’s drum.
Tenor-Pathos wie in einer Ritterrüstung
Wenn die Netrebko in ihrer schwarzen, silberbestickten Robe mit hoch gestecktem Haar auftritt und zu singen anfängt, dann ist das alles geschenkt. Selbst, dass ihr Ehemann Yusif Eyvazov (so schlank, dass man ihn kaum wiedererkennt) den Don Carlo singt. Seinen gaumigen Start muss man einfach überhören – das wird im Laufe des Abends besser. Sein Timbre bleibt Geschmackssache. Tenor-Pathos wie in einer Ritterrüstung. Doch mit enormer Kraft – den (höchst kultiviert singenden) Posa singt er schon mal an die Wand.
Bei seiner Frau versucht er es gar nicht erst. Er hätte auch keine Chance. Diese Donna Anna ist auch als Elisabetta schlichtweg überwältigend – mit einer ausgebauten, bronzenen Tiefe als Fundament, von dem aus sie sich mühelos in die Höhe aufzuschwingen vermag, um sich dann in ein Piano fallen zu lassen.
So geht Verführung durch große Oper! Hinzu kommt, dass die Netrebko eigentlich keine Inszenierung braucht. Ihr Charisma reicht allemal. Ohne dass es aufgesetzt oder albern wirkt. Außerdem erweist sich die Netrebko auch in diesem Konzert wieder einmal als eine mustergültige Teamplayerin. Stehende Ovation. Ein alter Herr ruft in den Beifall „Wiederkommen!“ Recht hat er.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
BSW-Chefin im ZDF
Wagenknecht macht BND für Irrtum verantwortlich
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Elon Musk torpediert Haushaltseinigung
Schützt die Demokratien vor den Superreichen!
Fragestunde mit Wladimir Putin
Ein Krieg aus Langeweile?
Pro und Contra Letzte Generation
Ist die Letzte Generation gescheitert?